„Die Pogrome von morgen verhindern“
Es gibt sie noch, die Überlebenden aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. 70 Jahre nach der Befreiung am 27. Januar 1945 konnte man zwei von ihnen, Esther Bejarano und Éva Fahidi-Pusztai, am 5. November in der Universität Hamburg bei einer „Veranstaltung gegen das Vergessen“ erleben. Von Francesca Köslin.
Von GastZwei sehr unterschiedliche und jede auf ihre Weise beeindruckende Frauen kamen zu Wort: Bejarano ist Vorsitzende des Auschwitz-Kommitees und Eimsbütteler Geschäftsfrau, Fahidi-Pusztai kam extra aus Ungarn angereist. Sie ist Nebenklägerin im Lüneburger Auschwitz-Prozess.
Der Lüneburger Prozess erregte viel Aufsehen, da der angeklagte ehemalige SS-Mann Oskar Gröning mit 94 Jahren im Juli dieses Jahres wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde. „Es geht nicht um Strafe“, sagte Fahidi-Pusztai auf der Veranstaltung, „es geht um das Urteil“. Endlich konnten Auschwitz-Überlebende und Angehörige in dem drei Monate andauernden Prozess über all die Gräueltaten und Brutalitäten vor Gericht berichten.
Biografien
Beide Frauen hatten Zeit, die Momente ihrer Befreiung im Frühjahr 1945 zu erzählen. Éva Fahidi-Pusztai 1925 in Ungarn geboren, musste mit ihrer Familie im Frühjahr 1944, als die deutsche Wehrmacht Ungarn besetzte, ins Ghetto umziehen. Sie stammt aus einer jüdischen Holzhandelsfamilie, die 1936 zum Katholizismus konvertierte. Danach folgte die Deportation nach Auschwitz und die Trennung Évas von ihrer Familie. Mutter und Schwester wurden vergast, der Vater starb an den Bedingungen im Lager. Éva überlebte die Zwangsarbeit im Außenlager des KZ Buchenwald. Im März 1945 wird sie, wie sie auf der Veranstaltung berichtete, von US-amerikanischen Truppen befreit und kehrt nach Ungarn zurück. Die heute 90-Jährige bezeichnet sich selbst als „Holocaustaktivistin“. Über ihre Erfahrungen hat sie auch ein Buch geschrieben – „Die Seele der Dinge“.
Auch Esther Bejarano ist Autorin. Sie veröffentlichte 2013 „Erinnerungen“. Die ebenfalls 90-Jährige ist zudem Musikerin. Sie tritt in einer Band auf, in der drei Generationen, drei Religionen und noch mehr Nationalitäten zusammen musizieren. Esther wurde 1924 in Saarlouis geboren. Musik wurde ihr in die Wiege gelegt, der Vater war Oberkantor der jüdischen Gemeinde in Saarbrücken. 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert, wo sie als Musikerin im Häftlingsorchester überlebte. Später kam sie nach Ravensbrück. 1945 konnte sie auf einem „Todesmarsch“ fliehen. Auch sie erlebte die Befreiung durch US-amerikanische Soldaten.
Beide Überlebende haben auf der Veranstaltung deutliche Worte zum Thema „Flüchtlinge“ gefunden. Das Thema gehe sie sehr wohl etwas an als Holocaust-Überlebende. Bejarano will nie wieder Nazis sehen auf der Straße. Fahidi-Pusztai ist sich sicher, dass das, was jetzt bei uns und bei ihr in Ungarn passiert, etwas sei, was die ganze Welt angehe.
Zum Nachlesen
Gedenkstätte Buchenwald Laika Verlag
Text: Francesca Köslin