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Foto: Fiona Kleinert
Ausstellung im Stellinger Weg

Hauptsache Arbeit

Im Stellinger Weg sitzt eine Frau im Schaufenster eines fast leeren Ladens. Über ihr hängt ein riesiges Schild mit der Aufschrift „Hauptsache Arbeit“. Aus Spaß sitzt sie dort nicht. Sie arbeitet. Sieben Stunden am Tag, mit einer Pause zwischendrin. Alles geregelt in einem ganz normalen Tarifvertrag.

Von Fiona Kleinert

Die Frau heißt Evelyn. Außer ihr befindet sich noch ein Teppich in dem Laden und drei Stühle – mehr gibt die Einrichtung nicht her. Ab und zu schaut sie aus dem Fenster, winkt den Leuten zu, die sie schon kennt oder verwundert stehen bleiben. Die meiste Zeit sitzt sie aber auf dem Stuhl und beobachtet die Gegend. Ihr Arbeitgeber ist Claus Erbrecht. Ihm kam die Idee zu diesem Projekt vor ein paar Jahren, als er durch die Ottensener Hauptstraße ging und ein leeres Geschäft entdeckte. Plötzlich habe er diese Vision gehabt: eine Person auf einen Stuhl in ein Schaufenster setzen und sie nichts machen lassen. Anfänglich ein bloßer Gedanke entwickelte sich die Idee schnell weiter und das Konzept mit der Überschrift „Hauptsache Arbeit“ entstand. „Dann habe ich mich gefragt, welches Satzzeichen kommt dazwischen?“, sagt Erbrecht. Mit einem Doppelpunkt werde die Arbeit zur Hauptsache. Mit einem Komma sei sie nur etwas unter vielen Dingen.

Was ist Arbeit?

Erbrecht will vor allem eins: Menschen zum Nachdenken anregen. In einem Fragebogen vor dem Geschäft haben Passanten die Möglichkeit, Fragen zur Arbeit zu beantworten. Es geht ihm darum, ab wann man nicht mehr nur seine Arbeitskraft verkauft, sondern auch sich selbst. Viele Leute hätten auf die Frage, was sie mit Arbeit verbinden, mit der „gesellschaftlichen Teilhabe“ und „Mündigkeit“ geantwortet. „Das ist gruselig“, findet Erbrecht. Kein Mensch sei unmündig, nur weil er keine Arbeit habe.

Wie weit würdest du für Arbeit gehen? Foto: Fiona Kleinert
Wie weit würdest du für Arbeit gehen? Foto: Fiona Kleinert

Nicht jeder hält „Hauptsache Arbeit“ für gelungen. „Das ist ja keine Arbeit. Du erbringst gar keine Leistung“, hören Evelyn und Claus Erbrecht immer wieder aus ihrem Umfeld. Doch man müsse nicht immer etwas produzieren, um zu arbeiten, sagt der 64-jährige Initiator.

Evelyn war zunächst unsicher, ob sie wirklich bei dem Projekt mitmachen sollte, entschied sich dann aber doch dafür und hat es nicht bereut. Ihr sei vieles klar geworden in der Zeit, die sie alleine im Schaufenster verbrachte. Früher habe sie viel Zeit „verdaddelt“. Jetzt wolle sie strukturierter an ihr Leben herangehen. Noch dieses Jahr möchte sie in Rente gehen und dann nur noch das machen, „worauf ich Bock habe“.

Suche nach Aufmerksamkeit

Viele Menschen laufen an Evelyns Arbeitsplatz im Schaufenster täglich vorbei. Die meisten von ihnen winken ihr oder versuchen ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. „Ich habe so das Gefühl, die Leute wollen beachtet werden“, obwohl doch eigentlich sie diejenige ist, die gut sichtbar hinter einer Glasfront sitzt. Vielleicht hat es etwas mit der heutigen Zeit zu tun, in der viele Menschen nur noch auf ihr Smartphone gucken und die Welt mit Kopfhörern ausblenden, sagt die 62-Jährige.

Was andere aus dem Projekt machen, ist ihnen überlassen. Evelyn nimmt für ihren Teil eine Menge mit: „Das ist Selbsterfahrung pur.“ Seit dem Start des Projekts Anfang März habe sie zwischendurch aber hin und wieder auch aufgeben wollen. Sieben Stunden am Tag mit sich ganz alleine, ohne eine Art Beschäftigung, gehen an die Nerven. „Man denkt so viel nach. Eines Sonntagmorgens bin ich aufgewacht und hatte so ein Gewusel in meinem Kopf, dass ich einfach alles aufschreiben musste.“

Dass sie durchgehalten hat bis zum Ende an diesem Donnerstag, macht Evelyn stolz. Und auch Claus Erbrecht, der eigentlich eine Firma für Autoersatzteile hat, ist mit seinem Projekt zufrieden. Mehr als 15 Fragebögen seien an machen Tagen abgegeben worden.

Claus Erbrecht (links) und Evelyn (Mitte) im Gespräch mit Torben Braun, der als Erzieher arbeitet. Foto: Fiona Kleinert
Claus Erbrecht (links) und Evelyn (Mitte) im Gespräch mit Torben Braun (rechts), der als Erzieher arbeitet. Foto: Fiona Kleinert

Phase Zwei des Projekts

Am Donnerstag wird es eine Finissage im Stellinger Weg geben, bei der die Ergebnisse der Fragebögen vorgestellt werden und Evelyn ausführlich über ihre Erfahrungen des letzten Monats sprechen wird. Doch das ist nur der Anfang. Claus Erbrecht möchte im zweiten Teil seines Projekts fragen: „Was würde ich tun, wenn man mich ließe?“ Die fünf Leute mit den besten Vorschlägen möchte er einstellen und bezahlen, damit sie das tun können, was sie schon immer machen wollte. Dabei gehe es nicht um so etwas wie eine Weltreise, sondern etwas, was man der Gesellschaft zurückgeben möchte, so Erbrecht. Die Frage sei ziemlich komplex, da man sich erst einmal von dem finanziellen Gedanken lösen müsse. Den nächsten Abschnitt von „Hauptsache Arbeit“ will Erbrecht aus Spenden finanzieren.

Mehr Kultur.

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