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Musiker und Tänzer wechselten sich regelmäßig ab. Foto: Dennis Imhäuser

„Ich bin der Container“

Am Freitagabend hat nicht nur Helene Fischer im Umkreis des Volksparks getanzt. Knapp 800 Meter weiter neben dem Durchreiseplatz Braun bewegte sich auch das Schwabinggrad Ballett rhythmisch zur Musik. Gemeinsam mit Mitgliedern der Lampedusa-Gruppe machten die Künstler auf die Lage der Menschen in der Flüchtlingsunterkunft Schnackenburgallee aufmerksam.

Von Annika Demgen

Ein Menschenzug wandert in der ausklingenden Wärme des ersten heißen Sommertages in Richtung Volkspark. Am Straßenrand werden Getränke verkauft – überwiegend Bier.  Helene Fischers Stimme klingt aus lauten Boxen. Sie singt davon, dass sie früher doch gegen alles war und jetzt doch nichts mehr von Protest zu spüren sei. Wir biegen ab. Gehen jetzt nicht mehr mit dem Strom, sondern den Schlagerfans entgegen, an den Reisebussen vorbei zu dem Parkplatz, von dem aus Hunderte zu ihrer Dröhnung Popkultur aufbrechen.

Das Containerdorf

Direkt neben einem der Arena-Parkplätze befindet sich das Containerdorf Schnackenburgallee. Die sogenannte Zentrale Erstaufnahme (ZEA) bietet offiziell 1.300 Menschen Platz. Hinter vorgehaltener Hand ist jedoch auch von höheren Zahlen die Rede. Eigentlich sollen die Bewohner nicht länger als drei Monate in dem Camp verweilen. Alternative Unterbringungen zu finden, ist jedoch schwer und der Baustopp in der Sophienterrasse macht die Vermittlung der Menschen nicht einfacher. Der Alltag in der ZEA ist äußerst strukturiert. Es gibt Frühstück von 8 bis 10 Uhr und Mittagessen von 12 bis 15 Uhr. Zeiten für die Ausgabe von Waschmittel (bis 20 Uhr) und so weiter. Zwischen 17 und 19 Uhr gibt es Abendbrot. Danach macht die Kantine dicht und es gibt nichts mehr zu essen.

Dieser Abend ist jedoch eine Ausnahme. Nicht innerhalb des Containerlagers, aber davor dürfen die Bewohner noch bis spät in die Nacht zulangen. Das Schwabinggrad Ballett, das gemeinsam mit Teilen der Lampedusa-Gruppe die Veranstaltung organisiert, hat ein Buffet bereitgestellt. Zuvor hatten die Künstler im Camp nachgefragt, was sich die Bewohner wünschen. Das spätabendliche Essen stand ganz oben auf der Liste – und Musik.

Die „No-Citizens“

Das Wort „Flüchtling“ nimmt auf dem kleinen staubigen Vorplatz der ZEA niemand gern in den Mund. „Ein Flüchtling ist kein Mensch, sondern ein Status,“ sagt Melanie Zimmermann, „wir sprechen in der Regel von ‚No-Citizens‘.“ Sie ist verantwortlich für die dramaturgische Gestaltung des Live Art Festivals von Kampnagel, in dessen Rahmen auch das Ballett auftritt. Die Idee, vor der ZEA am Freitag und dem ehemaligen Kreiswehrersatzamt in der Sophienterrasse am Samstag einen Mix aus Choreographie und Protest zu starten, kam ihr und der Intendantin Amelie Deuflhard, als das erste Gerichtsurteil gegen die Fertigstellung der Flüchtlingsunterbringung in Harvestehude im Januar fiel. Die Umsetzung liegt jedoch ganz in der Hand des Balletts.

Die Tänzer und Musiker sind gerade beschäftigt. „Ich bin der Container,“ schallt es über die Lautsprecheranlagen. Das Gesagte wird noch einmal auf Englisch und Französisch wiederholt. „Ich kann ineinander gesteckt werden.“ Zu elektronischer Musik wiegen sich die Tänzer im Takt. Die Schritte sind monoton und repetitiv. Vier Schritte vor, zurück, zur Seite und nochmal von vorne. Anders als der Name Ballett vermuten lassen würde, geht es der Gruppe nicht darum, durch besonders artistische Drehungen eine Distanz zum Zuschauer aufzubauen. „Jeder soll sofort mitmachen können,“ sagt uns Christine Schulz. „Wir wollen ein Zeichen für Willkommenskultur setzen.“ Daher auch das Motto „Die Chöre der Kommenden“ – angelehnt an den Ausspruch „Das Europa der Kommenden“ des Sozialwissenschaftlers Vassilis Tsianos von der Universität Hamburg. Das Konzept funktioniert. Schon längst ist nicht mehr zu erkennen, wer Bewohner, wer Besucher ist. Wer normalerweise hinter dem Zaun lebt und wer davor. „Ich bin die NATO,“ schallt es weiter aus den Boxen. „Ich wurde geboren, um zu zerstören.“

Das Programm

Rafik ist der erste, der zum freien Mikrofon greift. Foto: Dennis Imhäuser
Rafik ist der erste, der zum freien Mikrofon greift. Foto: Dennis Imhäuser

Zwischen den Tänzen bitten Campbewohner darum, ihre Musik spielen zu dürfen. Sie müssen warten. Das Programm soll erst abgearbeitet werden. Erst dann dürfen die Protagonisten ihre Wünsche auf die Playlist bringen. Keine Bühne zwischen sich und den Zuschauern zu haben, ist für Christine Schulz neu. „Wir haben uns das so gewünscht,“ sagt sie. Kein Podest soll den Kontakt behindern, ein frei zur Verfügung gestelltes Mikrofon die  Möglichkeit zur spontanen Meinungsäußerung bieten. Die Nähe findet Schulz ungewohnt, aber gut.

Rafik aus dem Libanon lässt sich nicht lange bitten. Er hat eine kleine Rede auf Deutsch vorbereitet. Seit sechs Monaten ist er im Land. Ob sein Dank für die Aufnahme an Angela Merkel und den Rest der Bundesregierung ironisch oder ernst gemeint ist, lässt sich an seiner Betonung nicht ablesen. Mit fester Stimme sagt er hingegen: „Wir möchten die Gesellschaft wissenschaftlich und wirtschaftlich voranbringen.“ Was ihn zu seiner Flucht aus dem Libanon bewegt hat, möchte er hingegen nicht erzählen. „Meine Geschichte ist zu schmerzvoll,“ sagt er. Papiere hat er keine, Freunde und Verwandte sind nicht mitgekommen. „Aber ich schaue in den Himmel und gebe nicht auf.“ Wir unterhalten uns fast ausschließlich auf Deutsch, obwohl Rafik erzählt, er sei erst zwei Monate im Sprachkurs.

Über das Leben im Camp beschwert er sich nicht. Die vielen Regeln könne er verstehen, das Sicherheitspersonal sei nett. Er ärgert sich nur über sein Asylverfahren, das sich in die Länge zieht. „Ohne Papiere kann ich nichts machen.“ Die Performance des Schwabinggrad Balletts ist zu Ende. Die Musik wird lauter. Rafik zieht es zur Tanzfläche und zum Mikrofon. Er könne gut singen, sagt er. Helene Fischers Stimme ist auf dem Vorplatz vor dem Containerdorf nicht zu hören.

Triff deine neuen Nachbarn: Mehr Informationen über Flüchtlinge in Eimsbüttel in unserer audiovisuellen Pageflow-Reportage.

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