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Ingo Werth ist im Mittelmeer und in Bergedorf in der Flüchtlingshilfe aktiv. Foto: Martin Kranz-Badri

Ein Flüchtlingsschiff auf der Hanseboot

In der einen Messehalle glänzende Luxusboote, in der nächsten ein olles Schlauchboot. Der Kontrast könnte kaum größer sein. Unser Autor Martin Kranz-Badri trifft auf der Hanseboot Ingo Werth, Kapitän der „MS Sea-Watch“. Seit März ist er Teil der Crew des einzigen zivilen deutschen Schiffs für Flüchtlingsrettung auf dem Mittelmeer.

Von Gast
Ingo Werth ist im Mittelmeer und in Bergedorf in der Flüchtlingshilfe aktiv. Foto: Martin Kranz-Badri
Ingo Werth ist im Mittelmeer und in Bergedorf in der Flüchtlingshilfe aktiv. Foto: Martin Kranz-Badri

Ingo Werth repariert eigentlich Autos in seiner KFZ-Werkstatt in Bergedorf. Diese Woche ist er wieder ein Käpt’n. Ich frage ihn, was ein Schlauchboot auf einer Freizeitmesse soll: „Wir wollten die Leute hier damit konfrontieren, was sie sonst nur vom Fernsehen kennen. Das Mittelmeer ist für die Messebesucher ein Freizeitparadies, für viele andere Menschen ein Massengrab . Wir zeigen ihnen, was ein paar hundert Seemeilen weiter geschieht. So ein Boot anzufassen, da reinzugucken, die liegen gelassenen Klamotten zu sehen, die herausstehenden Bolzen im Fußbereich, das berührt die Leute. Es ist sicher eines der meistfotografierten Boote auf der Messe.“

Der Standplatz am Ausgang der Halle 5 ist gut besucht, alle Crewmitglieder sind im Gespräch mit Messebesuchern. Damit setzt Hamburg Messe & Congress ihr Engagement für Flüchtlinge fort, so Karsten Broockmann, Sprecher des Unternehmens: „Ob in der Kleiderkammer Messehalle oder auf der MS Sea-Watch im Mittelmeer – in beiden Fällen sind es Ehrenamtliche, die nicht selten bis zur Erschöpfung arbeiten, um Menschen in Not zu helfen. Das ist zutiefst beeindruckend, sehr berührend und verdient alle Unterstützung.“ Ein tolles Signal, sagt Ingo: „Hier waren ja die Flüchtlinge auch vorübergehend untergebracht, bevor die Unterkünfte in Bergedorf fertig waren.“ Dort und in Reinbek engagiert sich Ingo seit zwei Jahren in der Flüchtlingshilfe. Das brachte ihn dazu, auf der MS Sea-Watch anzuheuern.

„Sorry sir, there is no other ship“

Das Schiff ist ein umgebauter Fischkutter. Es kreuzte von Juli bis Oktober vor der lybischen Küste auf der Suche nach Schlauchbooten wie dem auf der Hanseboot. Übervoll mit Menschen, die auf der Suche nach Frieden und Sicherheit einen oft tödlichen Weg wählen. Wenn Ingo und sein Team ein Flüchtlingsboot sichten, verfolgen sie einen strikten Plan: zunächst bringt ein Schlauchboot Rettungswesten und –inseln, die Sea-Watch selbst hält Abstand, damit kein Flüchtling auf eigene Faust den Kutter zu entern versucht. Dies hat schon größere Schiffe zum Kentern gebracht. Die dünnen Luftkammern der Schlauchboote platzen zudem schnell, wenn sich zu viele Menschen auf einer Bootsseite versammeln.

Parallel funkt Ingo die italienische Seenotrettungszentrale in Rom an oder versucht eines der europäischen Militärschiffe der Frontex-Mission zu erreichen. Bisher blieb dies jedoch erfolglos: „Als wir zu einem sinkenden Schiff gerufen wurden, das 40 Seemeilen entfernt war, wollten wir darum bitten, dass ein viel schnelleres Kriegsschiff zu Hilfe kommt. Doch uns wurde gesagt: ‚Sorry sir, there is no other ship‘.“ Das Rettungsgebiet der Sea-Watch erstreckt sich auf 75 mal 20 Seemeilen etwa doppelt so groß wie das Saarland. „Wenn die EU dieses Gebiet ernsthaft kontrollieren würde, dann müssten kaum noch Menschen ertrinken“, meint Ingo.

Handelsschiffe retten Flüchtlinge in Seenot

In Libyen gehe man davon aus, dass die Europäische Union Rettungsmanöver fährt. Die Leute aus Afrika rechnen damit, „dass deutlich mehr Seenotrettung geschieht, als es tatsächlich der Fall ist.“ Viele Flüchtlinge würden diesem tragischen Irrtum erliegen. Aus Ingos Sicht helfen andere. Ärzte ohne Grenzen, die italienische Küstenwache oder die private Handelsschifffahrt.

Es passiere schon mal, dass ein Tanker nach einem Rettungseinsatz bei der Sea-Watch in 40 Meilen Entfernung eine weitere Gruppe in Seenot Geratener rettet, dann nach Sizilien fährt, die Menschen absetzt und auf dem Rückweg erneut Menschen aufnimmt und sie wieder in Sizilien absetzt, obwohl der Frachter eigentlich aus dem Libanon gekommen ist, um in Libyen Treibstoff zu bunkern. „Natürlich ist es seemännische Pflicht zu retten, doch eigentlich ist es ein Skandal, dass wir dies müssen“, sagt Ingo, „es kann nicht sein, dass die Handelsschifffahrt kreuz und quer fährt, während die EU-Missionsschiffe vor Sizilien ankern.“

Ingo wird grundsätzlicher: „Das Mittelmeer wird zum Massengrab, weil es keine legalen Wege für Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten gibt, um nach Europa zu kommen. Das hat die EU zu verantworten.“

"Eines der meistfotografierten Schiffe der Hanseboot." Foto: Martin Kranz-Badri
„Eines der meistfotografierten Schiffe der Hanseboot.“ Foto: Martin Kranz-Badri

Gummiboote aus China

Die Sea-Watch wird auch 2016 weiter durch das Mittelmeer kreuzen. „Wir gehen davon aus, dass etwa noch eine Million in Libyen warten, um über das Mittelmeer zu fliehen.“ Die Überfahrt ist für sie noch gefährlicher geworden als letztes Jahr. „Am Anfang waren es alte Fischerboote, mit denen sie kamen, doch es sind keine mehr übrig. Daher greift man auf Gummiboote aus China zurück. Die werden containerweise angeliefert, zusammengebaut, dann gehen die Leute aufs Wasser“, erklärt Ingo.

Auch die Flüchtlingshelfer sind auf der Suche nach einem neuen Schiff: „Die MS Sea-Watch 1 ist 98 Jahre alt und wir haben unglaublich viel Manpower verschlissen in der Wartung und Reparatur.“ Die nächste Sea-Watch soll mehr Tiefgang haben und stabiler sein, damit die Crew auch bei höherem Wellengang ihrer Arbeit nachgehen kann. „Wir wollen nächstes Jahr schon ab 1. April fahren und bis Ende Oktober.“

Ohnmacht zu Tatkraft

Ingo macht den Eindruck, ein zupackender Mensch zu sein. Ich spüre die Ernsthaftigkeit, mit der er dieses Projekt betreibt. Es ist nicht Abenteuerlust, die ihn antreibt, auf dem Mittelmeer Leben zu retten. Er will sich mit der Zuschauerrolle vor dem Fernseher nicht begnügen. Etwas tun, weil es sonst keiner tut. Die Ohnmacht in Tatkraft verwandeln, wie so viele in Hamburg und so viele in Eimsbüttel. Während Ingo und ich abseits des Messestandes reden, sind sie die anderen Crew-Mitglieder ebenfalls in Gespräche mit den Hanseboot-Besuchern vertieft. Sie erklären anhand von Fotos und Filmen, wie sie es geschafft haben, bisher jeden Flüchtling heil an Bord zu bekommen. Darauf ist Ingo stolz.

Viel Kommunikation mit den Geretteten hat die Crew jedoch nicht, erzählt der Käpt’n zum Schluss: „Es gibt einen einzigen, der sich auf unserer Facebook-Seite zu erkennen gegeben hat. Wir verlieren normalerweise den Kontakt in dem Moment, wenn die Schiffe die Menschen bei uns abbergen.“ Die Geretteten werden dann entweder nach Lampedusa oder nach Sizilien gebracht. „Dann verlaufen sich die Spuren.“

Auf dem Heimweg steige ich am Hauptbahnhof um. Eine neue Gruppe Flüchtlinge ist angekommen, einige Afrikaner sind dabei. Unter der Treppe in der Wandelhalle hilft man ihnen weiter. Ob sie auch über Libyen geflüchtet sind? Hat Ingo sie gerettet? Völlig egal, jetzt sind sie hier.

Die zentrale Mittelmeer-Route

Die gefährliche Flucht über das Mittelmeer nach Italien ist 2015 mehr als 141.000 Menschen geglückt, schätzt die IOM. Die Mehrheit der Flüchtlinge auf dieser Route kommt aus Eritrea. Sie fliehen vor einem repressiven Regime, das seine Bevölkerung durch willkürliche Verhaftungen, Folterungen und Verschleppungen unterdrückt. Mehr als 2.800 Menschen, die auf der zentralen Mittelmeerroute unterwegs waren, sind gestorben oder gelten als vermisst.

Quelle: International Organization for Migration IOM

Text: Martin Kranz-Badri

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