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Stabhochspringer Gerhard Lickfett katapultiert sich mit seinem Stab über 2,33 Meter. Foto: Holger Vogel
Stabhochspringer Gerhard Lickfett katapultiert sich mit seinem Stab über 2,33 Meter. Foto: Holger Vogel
Drei Vizeweltmeisterschaften

Mast- und Stabbruch!

Gerhard Lickfett war nicht nur auf den sieben Weltmeeren zuhause. Der 79-Jährige kommt auch in der Luft sehr gut klar. Im Stabhochsprung setzt der Segelschiff-Kapitän immer wieder zu neuen Höhenflügen an. Wie gelingt ihm das im 80. Lebensjahr?

Von Holger Vogel

Irgendwann im Frühjahr 1982 braust ein orangefarbener VW Käfer durch die Straßen Hamburgs. Auf dem Dach eine weiße Plastikstange, festgebunden mit zwei langen Gummibändern. Die Stange ist zu den Enden hin gebogen und überragt Haube und Heck des Wagens. An den Stangenenden baumeln zwei rote Fahnen. Ein Hingucker. Mit der auffälligen Last, die trotz vier Metern Länge nicht mal ein Kilogramm wiegt, geht es ohne Umwege vom Flughafen in Fuhlsbüttel nach Lokstedt. Ziel: eine Seitenstraße vom Grandweg. Dort wohnt Käferfahrer Gerhard Lickfett. Er freut sich, dass er an diesem Tag seinen ersten Stabhochsprungstab unfallfrei nach Hause gebracht hat.

Stabhochsprung als edle Leidenschaft

Die Liebe von Gerhard Lickfett zum Stabhochsprung entflammt spät, ist aber sehr leidenschaftlich. Im fortgeschrittenen Alter hat er viele Lorbeeren mit seinem Stab geerntet, ist dreifacher Vizeweltmeister der Senioren. Ende Oktober fliegt der Leichtathlet um die halbe Welt ins australische Perth, um an seiner fünften WM teilzunehmen. Eine eintägige Flugreise mit Zwischenstopp in Dubai. Er nimmt die Strapazen auf sich, ohne zu wissen, wo er im Wettkampf auf der Südhalbkugel landen wird. „Es liegt daran, ob die anderen verletzungsfrei durchkommen. Ich möchte 2,40 Meter springen. Für den Titel reicht das nie und nimmer“, macht sich Lickfett keine Illusionen. „Sightseeing“ entfällt  für ihn in „Down Under“. Er will sich ganz auf den Wettbewerb konzentrieren und erst hinterher eine kleine Party feiern. Als lockeres Aufwärmprogramm nahm der Senior am HSV-Jedermannzehnkampf in der Jahnkampfbahn teil und belegte einen bemerkenswerten 14. Platz in der Gesamtwertung.

Mit Leib und Seele ist Lickfett Leichtathlet und noch mehr Stabhochspringer: „Stabhochsprung ist die edelste Disziplin der Leichtathletik“, schwärmt der 79-Jährige, ja, der Neunundsiebzigjährige, dessen biologische Uhr mal eine Pause eingelegt hat. Man brauche turnerisches Talent, Schnelligkeit und Technik. All das besitzt der drahtige Senior, auch wenn die Schnelligkeit langsam nachlässt. Erst mit 45 Jahren absolviert der Spätstarter, der 41 Mal das Deutsche Sportabzeichen bestanden hat, seinen ersten Zehnkampf und springt auf Anhieb 2,20 Meter. „Weniger hätte es nicht sein dürfen, denn die Ständer im alten Volksparkstadion ließen sich nicht niedriger einstellen“, erinnert er sich. Sein Fachwissen hat er sich bei anderen abgeschaut oder in Büchern nachgelesen.

„Wer rastet, der friert ein“

Das Trainingspensum des weißhaarigen Pensionärs ist immens: „Techniktraining Stabhochsprung, Sprints mit und ohne Stab, Konditionsläufe, Klimmzüge und, wenn möglich, Diskuswerfen und Kugelstoßen.“ Vier- bis fünfmal in der Woche ist er auf Touren. Freitags ist Stabhochsprung-Tag. Dann übt er die letzten drei schnellen Schritte beim Anlauf. Übt, den Stab zu biegen, sich an ihm hochzuschwingen und den Körper über der Latte um 180 Grad zu drehen. Immer und immer wieder. „Wer rastet, der friert ein“, sagt Lickfett, dessen Name aus dem Mecklenburg-Vorpommerischen stammt und „Fett lecken“ bedeutet.

Bei ihm kommt rasten eher von rasen. Er meint nebenbei: „Ich will nicht übertreiben. Oft ist weniger Training mehr.“ Ach so. Seine Motivation: Mit bald 80 Jahren wolle er noch aufrecht gehen. Da sei der Stabhochsprung eine gute Schule. Auch das Tanzen schule den geraden Rücken. Einmal in der Woche tanzt „der Opa“, wie sich Lickfett manchmal selbst nennt, Tango. Ja, ja, der Opa: „Morgens rieselt immer der Kalk aus den Fußgelenken“, gibt er zu Papier. Den Kalk fege er dann mit Besen und Blech zusammen. Wahrscheinlich verschweigt Lickfett, dass er da schon 30 Aufschwünge an seiner Reckstange im Gästezimmer hinter sich hat und bei jedem Aufschwung mit den Zehen die Zimmerdecke berührt.

Er kam, sah und sägte

Die Anfänge seiner Stabhochsprung-Karriere haben geradezu Dadaistisches: Eines Abends schleicht sich Lickfett im Schutze der Dunkelheit ins Lokstedter Wäldchen und sägt einen zwei Meter langen Ast ab. Im tiefsten Winter baut er sich zwei Schneemänner auf dem Hockeyplatz in der Nachbarschaft. Lickfett läuft mit dem stibitzten Ast im Tiefschnee an und springt mit ihm über beide Schneemänner, wobei er versucht, die Balance zu halten. Der Platzwart habe mit seiner ganzen Familie oben am Wohnungsfenster gestanden und kommentarlos zugesehen. „Das war für die wie Fernsehen“, freut sich der Stabhochspringer. Später ersetzt den Ast-Stab eine Gardinenstange aus Buchenholz. „Beim Üben in der Weitsprunggrube hat meine Frau aufgepasst, dass ich mir nicht die Gräten breche“, berichtet der Senior. Irgendwann erhält er in einem Golfladen den Tipp, dass auf dem Flugplatz professionelle Stabhochsprungstäbe zu haben sind. Und tatsächlich: „Dort stand ein Container aus Amerika, randvoll mit Stäben“, staunt Lickfett heute noch.

Foto: Holger Vogel
Gerhard Lickfett lächelt vor einem Gemälde der Preussen. Foto: Holger Vogel

Kreuz und quer über die Ozeane

Als Seemann kreuzt der in Danzig geborene Lickfett länger als ein halbes Jahrhundert über die Weltmeere, zuletzt als Kapitän auf der Sea Cloud II. Er hat was erlebt, schon als Kind. Jung flieht er im Jahr 1945 auf mit dem letzten Schiff, der Ubena, aus Danzig, findet in Helmstedt eine neue Heimat. An der Grenze zur DDR wächst er mit seinen sechs Geschwistern – ein Bruder ist im Krieg – auf, macht die Mittlere Reife und träumt früh von fernen Stränden und frechen Meerjungfrauen. Seine lange Zeit zur See beginnt 1954, als er zarte 17 Jahre alt ist: „An einem sonnigen Nikolaustag stand ich nur mit einem Pappkoffer in Hamburg an der Pier und heuerte auf der Perikles an.“ Fernweh zum Greifen nah.

Der Kapitän gerät ins Schwärmen, wenn er von seiner Zeit auf der Passat erzählt, seiner großen Liebe. Während er über den 115 Meter langen Viermaster spricht, geht er zu einem Bild der Passat und wiederholt litaneihaft den Namen des Schiffes, auf dem er als Schiffsjunge anfängt und als Matrose abheuert. „Meine schönste und intensivste Zeit“, bekräftigt er. Wo immer Lickfett etwas auf einem Schiff zu sagen hat, lässt er eine Reckstange aufstellen. „Ich musste doch in Übung bleiben“, lächelt er. Selbst wenn man ihm nach dem Leben trachtet, verliert Lickfett nicht seinen schwarzen Humor. Zweimal erlebt und überlebt Lickfett Piratenüberfälle. Sein lapidarer Kommentar: „Die Piraten schossen immer in Bauchhöhe. Da habe ich gelernt, 1,20 Meter hochzuspringen. So haben die Schurken unter mir durchgeschossen.“

Lickfett wird im nächsten März 80 Jahre alt. Ein Alter, in dem andere am Krückstock gehen oder in einer Seniorenresidenz wohnen. Warum tut sich der Leichtathlet die sportliche Tortour noch an? Er wiederholt die Frage langsam und sagt mit seiner tiefen, knarzigen Stimme, dass er das schon oft gefragt worden sei. Ein langgezogenen „Mmmmh!“ und er hebt er an: Sein Leben lang hätten ihm Vorgesetzte vorgeschrieben, was er zu tun habe. „Als ich Rentner wurde, habe ich gesagt: Jetzt machst du was für Dich! Das war der Stabhochsprung.“ Man spürt, er macht keinen Spaß und keine Gefangenen. Den Stabhochsprung würde er nicht mal gegen eine Meerjungfrau tauschen.

Lickfett kämpft sich durch den Zehnkampf

Und er springt und springt und springt

Aufhören? Das kommt für den alten Kaptein nicht in Frage. „Solange die anderen noch springen, springe ich auch.“  Die anderen, das sind seine Stabhochsprungkontrahenten aus Deutschland, Ungarn, Schweden, die Russen, die Polen und die Amerikaner. Ein weiterer Anreiz dabeizubleiben: Im nächsten Jahr kommt Lickfett in die Altersklasse M 80:  „Da habe ich all diese jungen Hüpfer nicht mehr vor mir“, freut er sich. Und dann erzählt er die Geschichte von Dr. William Bell. Lickfett fährt 2000 Kilometer durch die USA, um den 90-jährigen Stabhochspringer in Arkansas zu treffen. In einer ausgebauten Scheune frönen die beiden ihrer Leidenschaft, und der Deutsche ist beeindruckt: „Barfuß, nur in Turnhose, springt Bell vor meinen Augen 2,18 Meter.“

Unfallfrei durch die Jahre

In seinem Wohnzimmer hat Lickfett die Deckenhöhe von 2,43 Meter markiert. So hoch, wie die besten Hochspringer springen, will er auch mit dem Stab kommen. Selbstverständlich treibt der Segelschiff-Kapitän auch Sport in seiner guten Stuben: Aus einem Handtuch und einem Teppichrest hat er sich im Wohnzimmer in der Ecke des Wintergartens eine kleine Anlage gebaut, mit der er das Einstechen und das Biegen des Stabes üben kann. „Ich muss nur aufpassen, dass ich beim Üben meine Decke nicht ausbeule, und dass beim Nachbarn unter mir die Lampe hängenbleibt“, denkt er pragmatisch. In einer anderen Ecke des Zimmers hat der alte Fuchs eine Öse in der Wand befestigt, in die er ein Gummiband hängt. Mit dem Band um die Brust joggt er auf der Stelle. „So erzeuge ich den Strom für meinen Fernseher.“ Seemannsgarn aus Lickfetts trockenem Humor gesponnen.

Zum Schluss wird Gerhard Lickfett nachdenklich, fast demütig. Er habe keinen wirklichen Unfall gehabt, sei beim Springen noch nicht so rücklings in den Einstechkasten gefallen, dass er nicht mehr habe alleine aufstehen können. „Ich habe Glück gehabt.“ Bezogen auf sein Alter sagt er: „Ich feiere jeden Tag Geburtstag. Jeden Tag kann es zu Ende sein. Ich rechne damit.“ Man glaubt ihm das nicht, wenn man den 79-Jährigen springen, turnen und laufen sieht.

Mehr Sport.

Der Springer und sein Wohnzimmer

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