Mein Ikea im Heußweg
Warum Corona den Bürgersteig im Heußweg zum Einrichtungs-Eldorado macht.
Von Vanessa LeitschuhIkea greift um sich, kriecht in jede Wohnung und quillt auf die Straßen. Eine richtige Pandemie ist das, eine von der netten Sorte. Nachhaltig und nachbarschaftlich. Wer neue Möbel im Internet bestellt oder sich im Möbelhaus angestellt hat, stellt die alten einfach an die Straße. Nachbarn können sie kontakt- und kostenlos abholen.
„Corona made me do it”
Corona ist zur richtigen Hochphase für „Streetshopper” geworden. Heimelig und homeofficefähig muss die pandemische Wohnung plötzlich sein – und immer mehr Plunderkisten laden mit „Zu verschenken”-Schildern zum Plündern ein, unterbieten jeden Flohmarktschnapper. Eine riesige Entrümpelungswelle rollt durch das Viertel. Man sieht im Geiste Marie Kondo, japanische Aufräumexpertin und Messi-Messias, fröhlich im Dreieck hüpfen.
„Corona made me do it” entschuldigt sich eine Kiste auf dem Heußweg’schen Bürgersteig. Der ist mir der liebste, hier wohnen Ausrangierer mit Stil. Dank ihnen ist meine Wohnung heute richtig schick. Einmal kam ich spätabends von einem Ausflug zurück, lief von der U-Bahn Osterstraße den Heußweg runter und sah es: mein neues Sofa, Viersitzer, blutwurstfarben, ohne Gebrauchsspuren, mit Original-Kissen – und zum Tragen zu schwer. Kurzerhand habe ich mein Fahrrad geholt und es darauf gehievt.
Eine sportliche Angelegenheit war das. Bis eine Nachbarin zufällig in die gleiche Richtung wollte und anbot, mir zu helfen. Für wenige hundert Meter brauchten wir eine halbe Stunde. Aber zumindest ich bin mit dem Gefühl eingeschlafen, etwas geschafft zu haben. Dazu kam das Gefühl, als wäre ich beim Flohmarktbesuch auf eine Seltenheit gestoßen, deren Wert der Verkäufer nicht erkannt hatte.
Möbel mit Vergangenheit
Manchmal denke ich an meinen heißgeliebten Shabby-Chic-Tisch zurück. Der sah nicht nur hip, alt und gebraucht aus, er war es auch. Hatte vorher in einer Kneipe gestanden, richtig was erlebt. Geschichten von Nächten aufgesogen, die er mir beim Frühstück erzählen konnte. Doch die bewegte Vergangenheit sah man ihm nicht bloß an, die roch man auch. Alles Schrubben half nicht, das Essen schmeckte immer ein bisschen als hätte ich einen Aschenbecher in den Kochtopf geworfen. Aber wie heißt es so schön: Ein geschenkter Gaul springt nicht höher als er muss.
Dabei wird einem das Ausmisten in Eimsbüttel wirklich leicht gemacht. Das beginnt bei den zwei Tauschhäusern im Stellinger Weg und auf dem Platz ohne Namen. Die sind das Tinder der Tauschgeschäfte, man lädt unverbindlich seinen Kram ab und geht weiter. Aber auch für Längerfristiges wie Möbel bieten sich Plattformen an. Da gibt es die Tausch- und Verschenkbörse von Stilbruch, Ebay Kleinanzeigen oder den Möbelkeller vom Mook wat e.V. im Doormannsweg, der holt die Möbel sogar kostenlos ab. Davon haben auch bedürftige Menschen etwas. Und dann gibt es natürlich noch die Stadtreinigung. Doch wenn es schnell gehen muss, ist eben der Bürgersteig für die Bürger da.
Ich habe letztens übrigens ein Auge auf den kleinen Nierentisch von Ikea geworfen. Das wollte ich nur noch eben in den Raum rund um den Heußweg werfen.