Hamburg soll Modellstadt für intelligenten Verkehr werden
Entspannt und bequem unterwegs, dank intelligenter Vernetzung – so stellen sich die Stadt Hamburg und der VW-Konzern die Zukunft vor. Sie haben eine Mobilitätspartnerschaft vereinbart, die das autonome Fahren auf Hamburgs Straßen bringen soll. Doch es bleiben viele Fragen offen.
Von Anna GröhnDer Verkehr auf Hamburgs Straßen soll sauberer, leiserer und sicherer werden – erklärte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am Montag im Kaisersaal des Hamburger Rathauses. Dies gelinge nur durch Innovation, technischen Fortschritt und technische Lösungen. Ideenreichtum, meinte Scholz, könne jedoch nicht vom Staat aus gewährleistet werden. Richten soll es daher der VW-Konzern, mit dem die Stadt nun eine strategische Mobilitätspartnerschaft beschlossen hat. Die entsprechende Grundsatzvereinbarung wurde am Montag von Mathias Müller, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, und Olaf Scholz unterzeichnet.
Warum gerade Volkswagen, fragen sich viele. Nicht nur in Hinblick auf den Abgasskandal, sondern auch wegen der bereits bestehenden Mobilitätsangebote in Hamburg, wie etwa die Carsharing-Angebote Car2go von Daimler oder DriveNow von BMW. Die Antwort, so Scholz, sei einfach: Beide Seiten hätten davon große Vorteile. Hamburg könne an Lösungen für drängendste Probleme arbeiten, wie etwa beim Zuliefererverkehr für den Hafen. VW wiederum könne seine entwickelten Produkte in einem realen Umfeld testen.
„Es geht um globale Mobilität, um Sicherheit und Verkehr“, sagte Scholz. Es gehe darum, die schädlichen Auswirkungen des wachsenden Verkehrs auf Gesundheit, Klima und Umwelt zu reduzieren. Vor allem, und das erwähnte Scholz in einem Nebensatz, gehe es um die gemeinsame Bewerbung um die Ausrichtung des ITS-Weltkongresses für intelligente Verkehrssysteme im Jahr 2021. Bis dahin soll Hamburg „auf modernste, ökologischste und innovativste Weise eine Modellstadt für intelligenten Verkehr“ werden.
„Autos sind nicht mehr das Problem, sondern die Lösung“
Die Zeit drängt, darin sind sich Scholz und Müller einig – nicht nur für die Umsetzung des Strategieplans. „Staus, Parkplatznot, Lärm, Probleme mit der Luftqualität und Unfälle gehören zum Alltag in großen Städten wie Hamburg“, sagte Mathias Müller. Verzichtsapelle oder gar Verbote führten nicht ans Ziel. Vielmehr müsse das Automobil „Teil der Lösung und nicht länger Teil des Problems“ werden. VW setze dafür auf technologische Trends: Digitalisierung, Elektromobilität und autonomes Fahren sollen künftig dabei helfen, den Verkehr „besser, angenehmer und menschlicher“ zu gestalten.
Der VW-Chef stellt sich das in etwa so vor: Noch vor dem Aufwachen gleicht das eigene Fahrzeug die Daten des Terminkalenders mit der aktuellen Verkehrslage ab. Das Smartphone informiert darüber, wann der beste Zeitpunkt zum Losfahren ist, um pünktlich und staufrei im Büro anzukommen. Unterwegs passe das – selbstverständlich emissionsfreie – Elektrofahrzeug seine Geschwindigkeit flexibel an. An Kreuzungen übernimmt der Kreuzungsassistent das Lenkrad. Sobald das Bürogebäude erreicht ist, sucht sich das intelligente Auto vollautomatisch einen Parkplatz und lädt dort induktiv wieder auf. Das, sagte Müller, sei seine Vorstellung von mobiler Zukunft: „Entspannt und bequem unterwegs sein, dank intelligenter Vernetzung.“ Doch wie realistisch ist dieses Szenario?
Wie wird der Datenschutz geregelt?
Noch fehlt es beispielsweise an der Infrastruktur. So müssten alle relevanten Verkehrsträger miteinander vernetzt werden. Ampeln müssten Signale funken können, damit die Fahrzeuge frühzeitig auf Ampelsituationen reagieren können. Auch zuverlässige Fahrbahnmarkierungen, wie es sie bereits auf Autobahnen gibt, wären unerlässlich. „In den nächsten Jahren wird daran gearbeitet, eine vernetzte, datenbasierte Plattform zu schaffen“, sagte Olaf Scholz. Diese müsse offen und dürfe nicht herstellerorientiert sein. Vieles sei allerdings noch mit dem Hamburger Datenschutzbeauftragten, Johannes Caspar, abzustimmen. Denn noch bleiben auch datenschutzrechtlich viele Fragen offen: Wo und wie lange werden die Daten gespeichert? Um welche Daten handelt es sich dabei und wer darf sie nutzen? Wie wird mit personenbezogenen Daten umgegangen? Wie schützt sich das Datensystem vor Hackerangriffen? Wer wird dafür zuständig sein?
„Vielleicht testen wir eines Tages fliegende Autos“
In den kommenden drei Jahren wollen VW und die Stadt Hamburg die rechtlichen Grundlagen klären und gemeinsam einen Strategieplan entwickeln und erproben. Dabei spiele auch der Hamburger Hafen, als zweitgrößter Seehafen Europas, eine wichtige Rolle. Derzeit würden „intensive Gespräche“ geführt. So sollen beispielsweise selbstfahrende Lastwagen im Hafen erprobt werden. Auch der Hamburger Flughafen könne in Zukunft eine Rolle spielen. „Wer weiß, vielleicht testen wir dort eines Tages fliegende Autos“, so Müllers Vision. Im ersten Schritt werde es in Bezug auf den Flughafen aber zunächst um das Thema autonomes Parken gehen.
Bis 2025 will VW mehr als 30 neue Elektrofahrzeuge auf die Straße bringen sowie die Batterietechnologie und das autonome Fahren zur Kernkompetenz des Unternehmens aufbauen. Hamburg wird dabei als Teststadt fungieren. Exklusiv sei die Partnerschaft jedoch nicht, betonte Müller. Eine Zusammenarbeit sei etwa mit Wolfsburg geplant. Auch in Hannover werde das Unternehmen auf breiter Basis unterwegs sein. Für VW sei Hamburg allerdings die zentrale Partnerschaft, so Müller. „Mit Hamburg wollen wir ein Konzept entwickeln, das dann zeitversetzt in anderen Metropolen zum Einsatz kommt.“
„Selbstfahrende Blechkisten sind verzichtbare Spielereien“
Die Kritik des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) lässt nicht lange auf sich warten. Bei der vereinbarten Mobilitätspartnerschaft gehe es ausschließlich um Autos und Busse. Dabei sei es verständlich, dass der Chef eines Automobilkonzerns „nur vierrädrig denkt“. Aber: „Dass Hamburgs Bürgermeister nur mit Motor kann, ist einfach nur gestrig“, kritisiert Georg Sommer vom ADFC Hamburg. „Fahrradstadt? Fehlanzeige“.
Ein zeitgemäßes Mobilitätskonzept komme nicht um den Rad- und Fußverkehr herum. Sonst sei es, „als würde man Energiewende ohne Wind- und Sonnenenergie buchstabieren“, so Sommer. Um einen umweltfreundlichen, verträglichen Verkehr zu gewährleisten, sei zudem eine flächendeckende Reduzierung der Geschwindigkeit notwendig. „Scholz muss endlich Farbe bekennen und für ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept in Hamburg sorgen. Selbstfahrende Blechkisten sind dabei leicht verzichtbare Spielereien.“
ADFC fordert mehr Tempo 30
Der ADFC-Chef verweist dabei auch auf die Auswertung des Lärmaktionsplanes, nach der allein der durch Fahrzeuge verursachte Verkehrslärm in Hamburg jedes Jahr einen volkswirtschaftlichen Schaden in Höhe von 230 Millionen Euro verursache. Darin enthalten seien Gesundheitskosten, Wertverluste von Immobilien sowie mietbezogene Steuerausfälle.
„Die Auswertung macht klar, was es uns alle kostet, wenn die Stadt nicht aktiv gegen Verkehrslärm vorgeht.“, so Sommer. Die Förderung von E-Mobilität könne zwar grundsätzlich ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Verkehrslärm in Hamburg sein. „Gleichwohl hat das Bundesumweltamt nachgewiesen, dass Elektroautos nur bis zu einer Geschwindigkeit von bis zu 25 km/h tatsächlich leiser sind als Autos mit Verbrennermotor.“ Temporeduzierungen und Verkehrsberuhigung in der Stadt seien nicht nur die Lösung für viele Umweltprobleme der Stadt, sondern würden auch unmittelbar die Verkehrssicherheit auf Hamburgs Straßen verbessern. Sommers Fazit: „Wir fordern Olaf Scholz und den Senat auf, vorurteilsfrei und ergebnisoffen über mehr Tempo 30 zu diskutieren – zum Wohle aller Hamburgerinnen und Hamburger.“