
A Tale of Two Stadtderbies
Gegen den HSV II noch gut mitgespielt, vom FC St. Pauli II mit 0:5 demontiert. Nach dem Debakel im Derby am Freitag geht es für den SC Victoria in den letzten drei Regionalligaspielen nur noch darum, Platz 17 zu verteidigen – und auf eine Verkettung glücklicher Umstände zu hoffen. Andernfalls droht der Abstieg in die Oberliga Hamburg.
Von GastDie Voraussetzungen waren ähnlich: Eine Woche nach dem 0:0 gegen die U23 des HSV empfing der SC Victoria erneut am Freitagabend die Zweitvertretung des FC St. Pauli, wiederum vor einer relativ guten Kulisse von diesmal 617 Zuschauern. Doch wo nach dem torlosen Unentschieden gegen die kleinen Rothosen noch Zufriedenheit und vorsichtiger Optimismus an der Hoheluft zu spüren waren, schienen viele Anwesende diesmal regelrecht geschockt von der schwachen Vorstellung der Blaugelben, die mit dem Endergebnis von 0:5 durchaus noch gut bedient waren.
Auch Trainer Lutz Göttling, zu dessen Qualitäten es zählt, nach Abpfiff kühl und sachlich das Spiel zu analysieren, wirkte noch etwas benommen, als er zur Pressekonferenz kam. Dort hob er dann die starke Leistung des Gegners hervor. Dieser hatte in der Tat exzellent aufgespielt und bestätigte seine gute Rückserie (Dritter der Rückrundentabelle). Aber im Fußball, in dem sich, wie wir seit Jean-Paul Sartre wissen, alles durch die Anwesenheit des Gegners verkompliziert, ist es oft Geschmackssache, ob man den Verlierer schwach oder den Sieger stark findet. Noch zur Pause des Champions-League-Halbfinalhinspiels zwischen Real Madrid und Bayern München resümierte etwa Béla Réthy im ZDF, Bayern liege zurück, „weil sie vorne zu harmlos sind und hinten zu viele Fehler machen“, Real Madrid kam in dieser Analyse gar nicht vor.
Und nach dem 0:5-Debakel in Hannover vor drei Wochen hatte man beim SCV noch selbstkritisch die Leistung der eigenen Mannschaft als Tiefpunkt der Rückserie charakterisiert, weniger die Klasse des Kontrahenten hervorgehoben. Viel besser als an der Leine spielte Vicky allerdings auch im Auswärtsspiel dahoam gegen den Stadtrivalen nicht. Es war das vorletzte Heimspiel der St. Pauli-Reserve an der Hoheluft, bevor der Stadtteilclub in der kommenden Saison in Norderstedt seine Gäste empfangen will – warum nicht gleich in Neumünster?
Gastierende Gastgeber
Angesichts des großen Unterschiedes zwischen Heim- und Auswärtsform des SCV in dieser und auch schon der Vorsaison leuchtet nicht ganz ein, warum die organisierten Fans Wert darauf legten, das Spiel am Freitagabend wie ein Auswärtsspiel zu behandeln, indem sie sich im Gästeblock auf der Gegengeraden sammelten, anstatt den gewohnten Block hinter dem Tor am Lokstedter Steindamm einzunehmen. Sicher lag es allerdings nicht daran, dass Vicky (erst sechs Auswärtspunkte in dieser Saison, zu Hause aber erst eine Rückrundeniederlage) so desolat auftrat.
Eher schon lässt sich das erneute Fehlen der beiden Mittelfeldspieler Michael Sara und Vincent Boock als Grund anführen. So spielten mit den beiden Benjamins Bambur und Hoose zwei gelernte Offensivspieler im Mittelfeldzentrum, und der SCV bekam vor allem in der ersten Hälfte kaum Zugriff auf die in die Halbräume ziehenden Außenspieler des Gegners – Kwasi Wriedt und Fabian Graudenz erzielten dann auch die ersten drei Tore des Abends. Als Göttling nach der Pause auf Schadensbegrenzung setzte und Außenverteidiger Kutay Keklikci für Spielmacher Hoose brachte, stabilisierten sich die gastierenden Gastgeber, aber zu diesem Zeitpunkt stand es schon 0:4, und St. Pauli ließ es ohnehin etwas ruhiger angehen.
Schicksal nicht mehr in blau-gelben Händen
Boock, der nach seinem Platzverweis in Hannover für drei Spiele gesperrt wurde, fehlt Vicky zurzeit an allen Ecken und Enden. Der 20-Jährige hat sich seit seinem Wechsel im Sommer zu einer unverzichtbaren Stütze der Mannschaft entwickelt. Auch im kommenden Heimspiel gegen Goslar wird „Vinnie“ noch fehlen, erst in Norderstedt am vorletzten Spieltag und zum Abschluss gegen Schwarz-Weiß Rehden darf er wieder ran. Ob diese drei Begegnungen Vickys Abschied aus dem überregionalen Fußball markieren? Das liegt inzwischen nicht mehr in blaugelben Händen, sondern wird an ganz anderer Stelle entschieden. „Die da oben machen ja doch, was sie wollen!“, wird mancher Leser ausrufen, und das stimmt in diesem Fall wohl auch. Wie zum Beispiel der VfL Wolfsburg II, mit vier Punkten Vorsprung Tabellenführer, der am Sonntag beim VfR Neumünster verlor, der wiederum seit fast fünf Monaten kein Spiel mehr gewonnen hatte. Dieses Ergebnis bedeutet, dass Vicky bei sieben Punkten Rückstand auf die Holsteiner faktisch nicht mehr sportlich die Klasse halten kann. Damit es doch noch klappt, müssen nun verschiedene Faktoren zusammen kommen, nicht unbedingt Weihnachten und Ostern, aber diverse andere:
1) Der Zwangsabstieg des SV Wilhelmshaven, bisher von allen Gerichten bestätigt, darf nicht in letzter Minute noch gekippt werde. Dann wäre eine Mannschaft schon mal am Grünen Tisch hinter dem SCV platziert worden.
2) Der SV Eichede, seit 21 Spielen ohne Sieg, seit sieben Spielen ohne Punkt, darf an den letzten drei Spieltagen nicht auf einmal anfangen, wieder zu punkten, zumindest darf Vicky den aktuellen Vorsprung von drei Punkten auf die Stormarner nicht komplett verspielen. So lägen immerhin zwei Mannschaften hinter dem SCV.
3) Holstein Kiel darf nicht aus der 3. Liga absteigen. Dafür reicht den Störchen nächste Woche ein Sieg oder ein Unentschieden in Darmstadt. Wenn Konkurrent Elversberg nicht in Dortmund gewinnt, ist Kiel in jedem Fall gerettet.
4) Der Meister der Regionalliga Nord (wahrscheinlich Wolfsburg II, eventuell aber auch Werder Bremen II) muss sich in den Aufstiegsspielen zur 3. Liga gegen eine Mannschaft aus der RL Südwest (Sonnenhof Großaspach, Mainz II oder Kaiserslautern II) durchsetzen und aufsteigen.
Wenn alle diese vier Umstände eintreten, dann ist der SC Victoria auch in der kommenden Saison ein Regionalligist. Bevor es ab dem Sommer eventuell wieder gegen Oststeinbek oder Niendorf geht, kommen aber in jedem Fall noch zwei waschechte Niedersachsen an die Hoheluft. Angefangen am kommenden Sonnabend um 13:30, wenn der Goslarer SC in Hamburg gastiert. Dann fehlt Lutz Göttling neben dem gesperrten Boock auch Mohamed Labiadh. Der ließ sich, nachdem er mit einem Faller im Laufduell mit St. Paulis Florian Mohr eine Rote Karte gegen den Profi erwirkt hatte, im anschließenden Gerangel zu einer Tätlichkeit gegen Lasse Schlüter hinreißen und flog selbst postwendend ebenfalls runter. Es war der siebte Platzverweis in dieser Saison gegen einen Victorianer. Falls Sie nach Faktoren fragen sollten, die gegen den Klassenerhalt des SCV sprechen.
Gastautor: Klaus Katzenbach