Als Granny Aupair in Bolivien
Die Eimsbüttelerin Margret Kramer ist Anfang Oktober in Santa Cruz de la Sierra gelandet, der größten Stadt Boliviens. Sie hat sich eine Auszeit genommen und ist über Granny Au Pair für sechs Monate ehrenamtlich in einer Aldea, einem SOS-Kinderdorf im Osten der 1,5- Millionen-Stadt, im Einsatz. Hier werden etwa 80 Kinder in zehn Häusern betreut. Per E-Mail berichtet sie von ihren Erlebnissen.
Von Anja von Bihl„Mich trifft der Schlag: gefühlte 50 Grad. Vom Flughafen wurde ich von Joselito und Ruben mit einer Gurke abgeholt, sprich Kleinwagen ohne Innenverkleidung. Rauchend und mit offenen Fenstern. Ich wartete, dass die große Stadt à la Hamburg in Sicht kam, aber es blieb alles flach und staubig. Joselito spricht Deutsch, Ruben nicht. Sie haben mich bei Dona Nelvi abgeliefert, dem guten Geist des Hauses. Sie hieß mich herzlich willkommen und eröffnete mir dann, dass ich mir mit einer anderen Granny ein Zimmer teilen muss. Wir sind begeistert! Aber angeblich soll ich Montag dann doch ein Einzelzimmer bekommen. Ansonsten hab ich grad mal kalt geduscht (sehr angenehm), bin jetzt aber schon wieder komplett durchgeschwitzt, um nicht zu sagen: mir läuft der Schweiß in Bächen.“
Im Kinderdorf
Zwei deutsche Grannies arbeiten zusammen mit drei Voluntarias, das sind freiwillige Betreuerinnen von einer anderen Organisation. Jedes Haus hat eine Hausmutter und Frauen, die nach Bedarf einspringen und aushelfen. Für das ganze Dorf gibt es eine Psychologin und eine Sozialarbeiterin – mehr nicht.
„Heute hatte ich meinen ersten Einsatz im Kindergarten. 20 Kleinkinder können ganz schön laut sein. Einer ist bei dem Krach doch tatsächlich auf meinem Arm eingeschlafen. Ich finde, das kann ich doch mal als Erfolg verbuchen. Die Kinder müssen ganz selbstverständlich mit im Haushalt arbeiten und ihre Wäsche waschen. Doch alles geht sehr fröhlich und begeistert zu, es wird viel gelacht und getobt. Die Heimleitung will den Kleinen vor allem Bildung vermitteln, damit sie bessere Chancen haben. Das ist ganz schön schwierig bei Jungen und Mädchen, die zwar bis 20 zählen können, aber überhaupt nicht verstehen, was 2+2 bedeuten soll…“
Alltag
„Mein Zimmer wird langsam das Luxuszimmer hier. Ich habe neue Vorhänge aus Verdunkelungsstoff, eine neue Matratze und einen neuen Duschkopf, an dem ich keinen Schlag mehr kriege! Könnt ihr euch das vorstellen, Kriechstrom und Wasser? Die haben hier so weiße, honigmelonengroße, birnenförmige Dinger, aus denen das Duschwasser kommt – das sind Durchlauferhitzer. Meiner knallte neulich beim Einschalten und leuchtete – danach trat Qualm aus und es stank nach verschmortem Plastik. Das war mir dann doch unheimlich. Ich kaufte einen neuen für umgerechnet 12,50 Euro und der Hausmeister hier baute ihn an. Als ich ihm erzählte, dass der Wasserhahn auch unter Strom steht, holte er eine Rolle Isolierband aus der Tasche und umwickelte den Wasserhahn. So werden hier Probleme gelöst .“
Im Land herumzukommen, funktioniert etwas anders als bei uns. „Busfahren ist hier sehr billig – 2 Bolis, 20 ct – egal wie lange und wie weit man fährt. Die kleinen Busse heißen Micros und man winkt sie am Straßenrand einfach heran. Das heißt jeder, der aus seinem Haus kommt, winkt und so hält der Bus manchmal alle 100 Meter. Oft sind sie sehr voll und bei einer Stehhöhe von ca. 1,65 Metern nehme ich zwangsweise eine Demutshaltung ein – tut ja auch mal ganz gut.“
„Ein kleiner Exkurs zum Thema Autofahren: allerwichtigste Regel, um nicht zu sagen Pflicht, von der es keine Ausnahme gibt, ist: ÜBERHOLEN! Es kann und darf einfach nicht sein, dass jemand VOR einem fährt! Wenn das Überholen wirklich physisch nicht möglich ist, muss bis auf die Stoßstange aufgefahren werden. Das gilt für alle – auch für Micros! Die fahren im Kreisel Stoßstange an Stoßstange und scheren dann jeweils in die rechtsabbiegenden Straßen ein, um dann den vor ihnen fahrenden Micro zu schneiden und sich wieder in den Kreisel zu drängeln. Und zwar ganz ohne zu hupen. Hupen als Warnung ist glaube ich verpönt. Gehupt wird nur als Gruß. Das ist in der Stadt wirklich sehr lustig, auf der Landstraße allerdings weniger. Da schiebt sich ein Trophy (Großraumtaxi) mit 82 km/h an einem mit 80 km/h vorbei: links Felswand, rechts Abgrund, vorne: Tieflader – es passen drei Autos nebeneinander. Hab ich doch gesagt (grinst Fahrer).“
Weihnachten und der Präsident
Weihnachten nähert sich bei 35 Grad im Schatten. „An Vorfreude ist hier nichts zu spüren, außer, dass die Spendenbereitschaft, die sowieso schon groß ist, noch anwächst. Dauernd kommen ganze Familien mit riesigen Pickups, laden ab und lassen sich von den begeisterten Kindern feiern. Ich finde es komisch, dass die Kinder sich immer wieder wie blöd freuen, obwohl sie so übersättigt sind mit Kram und die Sachen noch am selben Nachmittag kaputt irgendwo im Dreck liegen. Das ist bei der Armut hier irgendwie verkehrte Welt.“
Ein Tag im März brachte eine Überraschung. „Ganz typisch bolivianisch, ohne Planung oder Vorankündigung, wurden plötzlich alle weißen Plastikstühle in die große Sporthalle getragen und auf Nachfrage, was denn los sei, hieß es: Evo Morales kommt zu Besuch. Das war’s. Keine Hundertschaften, keine Absperrungen, keine Durchsuchungen von Mülleimern oder Gullydeckeln. Evo kam auch nur anderthalb Stunden später als angekündigt, also alles im Rahmen. Meine kleine Romina durfte ihm ein Kreuz überreichen. Evo hielt eine Lobrede, besonders auf die gute Ausbildung, die die Kinder hier erhielten, wozu wir Voluntarias ja auch unseren Beitrag leisten. Eine kleine Pressetruppe umringte ihn kurz und dann war er auch schon wieder weg.
Es geht ans Abschiednehmen
„Die Zeit hier ist nicht wie im Flug vergangen. Im Gegenteil, es ist jetzt eben so heiß/laut/nicht lecker/langweilig/unverständlich, gehörte zu meinen meistgedachten Sätzen. Jetzt, nach fast sechs Monaten, merke ich, dass ich gerne noch bleiben würde. Jetzt erst – unmerklich in Minischritten – sind meine Familienmitglieder aufgetaut. Zuerst saßen sie alle zusammen an einer Seite des langen Tisches und ich gegenüber an der anderen Seite. Ich habe meinen Platz die ganze Zeit über behalten, aber sie sind Stück für Stück zu mir aufgerückt.“
„Meinen Namen Margarita habe ich noch nie so oft gehört wie hier. So wie wir in Deutschland die Hand heben oder ein Hallo murmeln, wenn wir jemandem begegnen, so sagen die Bolivianer bei jeder Begegnung, bei jedem flüchtigen Sehen, meinen Namen. Dabei haben sie einen Tonfall, der mich am Anfang immer zusammenzucken ließ – so harsch rufen sie ihn. Rau aber herzlich, wie ich viel später erkannte. Das ist hier eben so.“
„So, jetzt weiß ich aber wirklich nichts mehr zu berichten, außer, dass mir eine Kakerlake übers Gesicht gelaufen ist, aber das möchte ich am liebsten ganz schnell wieder vergessen.“
Fotos: Margaret Kramer
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