Musikproduzent Franz Plasa und sein Leben in Achterbahnen
Sein Leben gleicht einem modernen Märchen. Armer Junge wird reicher Rockstar, verliert sich in Drogen und findet zur Einsicht. Es sind die Stürze, die Franz Plasas Geschichte ausmachen. Und die Momente danach. Über einen Mann, dessen Hits mehr Menschen kennen als seinen Namen.
Von Julia HaasFranz Plasa hat sieben Leben – mindestens. Wenn er aus großer Höhe fällt, landet er sicher. Nicht immer sanft, aber so, dass er wieder aufsteht. Er ist oft gefallen. In die Stille, als seine Finger an der Gitarre nicht funktionierten. In die Trauer, als seine Mutter starb. In den Abgrund, als Drogen einen Schatten aus ihm machten.
Der 68-jährige Plasa ist Gitarrist und Musikproduzent. Seit den 90ern betreibt er die Home Studios in der Bogenstraße 52, einen 400 Quadratmeter großen Tonstudio-Komplex. Wer seinen Namen nicht kennt, kennt die seiner Erfolge. 1984 spielt er die Gitarre, als seine Band „Felix De Luxe” mit dem „Taxi nach Paris” fährt. Als Produzent bringt er Bands wie „Selig” und „Echt” groß raus.
Die erste Rettung, die erste Gitarre
An einem stürmischen Freitag im April sitzt Franz Plasa in seinem Tonstudio in der Bogenstraße. Die weißen Haare ordentlich nach hinten gekämmt. Karohemd, dunkelblaue Strickjacke, Jeans, knöchelhohe Sneaker, dazwischen schwarz-grün gestreifte Socken. Unaufgeregt, kein Rockstar. Nicht der Draufgänger, der er einst sein wollte.
Bevor er der wird, muss Franz Plasa fallen. Oft und immer wieder: Der Musiker wächst in Bardowick auf, einem kleinen Dorf bei Lüneburg. Als Kind erkrankt er an rheumatischem Fieber. Mehrere Monate verbringt er im Kinderkrankenhaus. „Dort habe ich Pickel bekommen, lange Haare, bin gewachsen.” Er verlässt die Klinik als Jugendlicher. Um aufzufangen, was er verpasst – Plasa darf damals keinen Sport treiben –, schenken ihm seine Eltern eine E-Gitarre. „Die gab es auf der Rückseite von so einer Hörzu, oder irgendeiner anderen Fernsehzeitung.” Seine erste Gitarre: weiß, für 100 Mark. Sie fängt ihn auf, als ihn die Krankheit aus dem Leben wirft.
Lange Haare, Kette, Gitarre in der Hand
„Am Anfang habe ich auf diesem Ding einfach rumgeschrabbelt.” Plasa drückt Knöpfe, dreht Hebel, zieht an Saiten. Wie was funktioniert, er weiß es nicht. Er fährt mit dem Bus nach Lüneburg, geht in einen Musikladen und legt die Gitarre auf die Theke: „Irgendwas ist kaputt.” Das Tremolo, das Plasa solange gedreht hatte, drückt der Verkäufer nach unten, spielt einen Sound. Alles funktioniert. Plasa haut ab.
Er ist gerade 14, als er seine Sehnsucht für die Musik entdeckt. „Ich habe Leute live auf der Bühne spielen sehen.” Plasa kann es damals nicht beschreiben, will aber genau das: lange Haare, Kette, Gitarre in der Hand.
Franz Plasa wird schnell
Auf seinem Weg dorthin sucht sich der junge Plasa Mentoren. Er lernt die ersten Riffs zu spielen, die ersten Blues-Phrasen zu fühlen. Gong, gong, gong, summt Plasa. „Ein halbes Jahr hab ich nur dieses Ding geübt.”
Wenn Plasa von Songs oder Sängern spricht, fallen häufig Worte wie „Dings” und „Zeug”. So unpräzise seine Beschreibungen sind, so exakt sind seine Imitationen. Zwischen einzelnen Sätzen beginnt Plasa zu pfeifen, summt Melodien, vertont Liedtexte, hält plötzlich die Luftgitarre in den Händen. Plasa spricht bilingual. Am liebsten spricht er Musik.
Die Wette
Mit 15 oder 16 Jahren gründet er seine erste Band. Danach geht alles ganz schnell. „Ich hatte eine gewisse Fingerfertigkeit entwickelt.” Plasa spielt John McLaughlin, begeistert sich für Fusion, hört Chick Corea.
In seinen 20ern studiert Plasa Philosophie und Psychologie in Hamburg. Seine Zeit aber verbringt er vor allem im Hamburger Konservatorium, dem Epizentrum klassischer Musik. Wie passt das zum Jazz liebenden Plasa, der die Gitarre lieber schnell als richtig spielt? „Es gab diese Wette, dass ich die Aufnahmeprüfung nicht bestehen würde.” Er besteht sie. In die Welt der Klassik findet er aber nicht. „Das war schrecklich, so spießig, wie man es sich vorstellt.”
Kurze Lehrjahre
Am Ende scheitert er an Johann Sebastian Bach – weniger an ihm, als mit ihm. Für eine Zwischenprüfung spielt er das Bach Bourrée. Plasa summt die Melodie – wie jedes Mal, wenn er von einem Musikstück erzählt, hält er sofort die Luftgitarre in der Hand, ein imaginäres Klavier tut sich vor ihm auf. Weil er bei der Prüfung mit dem Fuß wippt, weil er sich nicht fügt, fliegt Plasa aus dem Konservatorium. „Das war gut für mich.”
Auch wenn die Lehrjahre kurz bleiben, machen sie ihn zum Profi. 1981 scheint sein Traum, sich als Studiomusiker zu profilieren, wahr zu werden. Auf der Gitarre soll er im Studio ein Rock-Stück begleiten. Doch er scheitert. Seine Hände zittern, das Plektrum fällt auf den Boden. Ein anderer muss einspringen. „Wie ein kleiner Tod.” Plasas Gesichtszüge verändern sich, plötzlich ist da Enttäuschung. „Ich dachte, ich könnte nicht mehr weiterleben.” Plasa fällt. „Ich hab ernsthaft überlegt, mit dem Auto gegen einen Baum zu fahren.” Er tut es nicht.
Der sichere Aufprall
Eine Nacht in der Max-Brauer-Allee 66 fängt ihn auf. „Wir saßen im Keller, haben gekifft und eine Band gegründet.” Die Band heißt Felix De Luxe. Mit Michy Reincke am Mikrofon, Plasa spielt die Gitarre. „Das war’s.” Sie spielen „Eddie ist wieder da”, später „Taxi nach Paris” – die Nummer, die alle kennen. „Unser eigenes Zeug konnte ich gut spielen. Das hat mich gerettet.” Seine Blockade bleibt im Studio bei Hits, die nicht seine sind.
Nach drei Alben löst sich Felix De Luxe auf. Sie sollten unterschiedliche Wege gehen. Noch heute trifft Plasa seine ehemaligen Bandkollegen – zum Beispiel auf einen Kaffee bei Venezia im Eppendorfer Weg.
„Wir hatten bis 1991 einen Run”
Als Felix De Luxe endet, widmet sich Plasa dem Produzieren. Seinen Durchbruch schafft er mit Peter Hoffmann, ebenfalls Musik- und später auch Tokio-Hotel-Produzent. 1988 vertonen sie „Der blonde Hans”. Das Lied, das Passagen von Hans Albers aus dessen Film „Große Freiheit Nr. 7” enthält, wird zum One-Hit-Wonder, hält sich mehrere Woche in den deutschen Charts. Mit den Einnahmen gründen Hoffmann und Plasa ihr erstes eigenes Studio in Lüneburg. Sie produzieren unter anderem mit Michael Holm und Jürgen Drews. „Wir hatten bis 1991 einen Run.”
Dann fällt Plasa. „Meine Mama ist gestorben, und mein Leben war zum zweiten Mal vorbei.” Plasa beendet die Zusammenarbeit mit Hoffmann. Er geht nach Hamburg und arbeitet erstmals in den Home Studios, die damals noch Norbert Pape unter dem Namen „Chateau Du Pape” leitet. Schwere Depressionen und die Pflege für seinen kranken Vater prägen die Jahre. Heute spricht Plasa von einem Doppelleben.
Auf der einen Seite ist da der Franz Plasa, der „Selig” 1993 groß macht. „Selig wollte sonst niemand anfassen, selbst Norbert sagte zu mir, das musst du alleine machen.” Doch schnell stellt sich der Erfolg ein. Die Plattenfirmen schreiben ihnen: „Selig macht uns selig.” Warum er an Selig glaubte: „Es klang nicht deutsch”, sagt Plasa. Und: „Musik, die ich richtig gut finde, kommt nicht aus Deutschland.”
Woran machst du fest, ob eine Band Potenzial hat?
Franz Plasa: „Für mich gibt es da kein Raster, in erster Linie bin ich egoistisch. Ich guck erstmal, ob das was mit mir macht. Ob die mich bewegen. Das ist das Wichtigste.“
Liegst du mit deinem Riecher immer richtig?
Franz Plasa: „Es gibt Bands, die fand ich ganz schrecklich und später haben die tausende Alben verkauft. Ich habe also keinen Instinkt dafür, was wirklich erfolgreich ist, ich hab eher ein Gespür für innovative Bands.“
„Aber ich war auch all das, was ich eigentlich nicht bin”
Und dann ist da der Franz Plasa, „der vielen Sachen zu nahe kommt”. So wie es vielen in der Branche passiert sei. Drogen waren plötzlich normal wie Kaffee am Morgen – auch Kokain. „Ich kam manchmal morgens ins Studio und war noch drauf.” Plasa übernimmt „Chateau Du Pape” und tauft es Home Studios, er fährt zwei Jaguars und heiratet seine Freundin, die Frau seines Lebens. „Aber ich hatte noch andere Frauen.”
Vielleicht war Franz Plasa Ende der 1990er, Anfang der 2000er all das, was er einmal sein wollte. „Aber ich war auch all das, was ich eigentlich nicht bin.” Er ist ganz oben und fällt. Seine Ehe bleibt kurz, seine Gesundheit kritisch. Plasa erleidet einen Herzinfarkt: „Jedes Mal, wenn ich danach gekokst habe, war das wie ein Selbstmordversuch.” Er versucht sich zu fangen, geht in Psychotherapie. Ohne Erfolg. „Die hatten keine Ahnung, wovon ich rede.” Am Ende hilft er sich selbst, schreibt Tag für Tag auf, was er nimmt. Irgendwann ist Plasa 1.000 Tage sauber.
Das finanzielle Aus… oder?
Zur gleichen Zeit erreicht die digitale Revolution die Tonstudios. Mitte der Nullerjahre ist sein Tonstudio nicht mehr das Maß der Dinge. „Früher liefen sie aller hier rein, Mariah Carey, Falco, Lindenberg.” Plötzlich ändert sich das: Jeder macht sein eigenes Ding, in eigenen Studios, an eigenen Rechnern.
Was hat sich verändert?
Franz Plasa: „Früher hast du eine Platte gemacht, und wenn du weiterkommen wolltest, hast du noch eine gemacht. Heute verfügen die großen Firmen – Sony, Warner und Universal – über einen Katalog von Millionen Songs. Und der erwirtschaftet jede Sekunde Geld, weil irgendwo immer ein Lied läuft. Die großen Firmen müssen nichts Neues mehr machen. Ob Prince, Beatles oder Rolling Stones, tausende Leichen singen jeden Tag ihre Lieder für uns. Es geht nur noch um die Auswertung der Rechte. Der Anspruch, etwas Neues zu entdecken, ist weg.“
Plasa muss Insolvenz anmelden. „Ich wusste nicht mal, was das ist”, flüstert er. Fast eine Million Euro Steuerschulden lasten auf ihm, auf dem Studio, auf seinem Lebenswerk. Er geht davon aus, alles zu verlieren. Es kommt anders: Sein Insolvenzverwalter unterstützt ihn, ermutigt ihn weiterzumachen. Plasa macht weiter, er überlebt. 2019 endet das Insolvenzverfahren offiziell.
Franz Plasa: „Ich will nicht mehr produzieren, ich will Musik machen“
Franz Plasa spricht ruhig, aber nicht leise. Macht kurze Pausen, ohne zu stoppen. Er hat seinen Takt gefunden. „Ehrlich gesagt bin ich ein glücklicher Mensch, ich hab alles überwunden.” Heute ist er die gute Version von sich selbst, sagt der 68-Jährige. Ein guter Gitarrist, ein guter Produzent. „Ich glaube, all das bin ich geworden.”
Seit einigen Jahren schreibt Plasa eigene Songs. Kurz vor Weihnachten entscheidet er, das zu tun, was er damals wollte, als er sie spielen sah, auf der Bühne, live: „Ich will nicht mehr produzieren, ich will Musik machen. Ich kann gut singen, ich bin ein guter Gitarrist, das will ich.” Wenige Tage danach spürt er Schmerzen in der Brust. Plasa fährt mit dem Taxi ins Krankenhaus, verabschiedet sich im Studio mit den Worten: „Ich bin kurz weg.” 45 Minuten später wird er für die OP vorbereitet, das Blut fließt nicht mehr zum Herzen. Wieder fällt er.
Achterbahn
Und landet sicher. Vier Monate sind vergangen, die dunklen Ringe unter seinen Augen zeugen von seiner Reise: Intensivstation, Reha, der Kampf zurück. Jetzt ist er zurück, trinkt Espresso in seinem Studio, eilt durch die Räume, wippt im Aufnahmeraum zum Sound eigener Songs. Darin singt er von „Price we have to pay” und „peaceful minds”. Neben dem Mischpult liegt eine DVD-Hülle mit dem Titel „Achterbahn”. Das Hoch und Runter, Auf und Ab zieht sich durch sein Leben. Er ist hoch oben, er fällt, er steht auf.
Heute fährt Franz Plasa mit dem Fahrrad oder Smart ins Tonstudio, geht nach Hause, wenn er keine Lust mehr hat. „Diese Entspanntheit hatte ich früher nicht.” Er ist froh über die Stürze und Landungen. „Es ist eine Gnade, so alt zu werden und dann zu kapieren, worum es geht.” Aktuell arbeitet Plasa an seinen eigenen Songs, will live auftreten, hofft, seine Lieder im Radio zu hören. Die Geschichte geht weiter. Franz Plasa hat viele Leben.
Nachbarschaftskonzert
Am 24. Juni veranstaltet Franz Plasa ein Nachbarschaftskonzert – mit und bei der Kneipe Fasan in der Eichenstraße. Ein ähnliches Event hatte es bereits vor Corona gegeben. „Das war magisch”, sagt Plasa, der sich auf das Treffen mit seinen Nachbarn freut.