Nebenan arbeiten
Handwerkerinnen, Künstler, Kreative: In der Bogenstraße arbeiten sie unter einem Dach. Vieles erinnert an eine WG. Mit der Ausnahme, dass hier niemand wohnt.
Von Julia HaasIn einem Eimsbütteler Hinterhof teilen sie sich 200 Quadratmeter. Zwei Stockwerke verbunden durch eine Stahltreppe. Ein Großteil des Lebens spielt sich oben unterm Dach auf den knarrenden Dielen ab. Manches in der Küche auf Barhockern, das meiste an den Werkbänken.
Zehn Handwerker, Künstlerinnen und Kreative wirken in der Bogenstraße 45C. Sie nutzen das zweistöckige Klinkergebäude als Gemeinschaftswerkstatt, kurz GW. Wie eine WG, nur umgedreht. Nicht zum Wohnen, sondern Arbeiten. Was die Mieter verbindet: Sie wollen etwas mit ihren Händen schaffen. Einige arbeiten in ihrer Freizeit an kreativen Projekten, andere verdienen mit dem Handwerk ihren Lebensunterhalt.
Die GW-Küche liegt im westlichen Teil des Dachbodens: eine Kücheninsel mit Herdplatten und Barhockern. Gewürze neben gemahlenen Kaffeebohnen. Postkarten und ein Kalender an der Wand. Laura füllt ein Glas unter dem Wasserhahn, ihr gegenüber, auf der anderen Seite der Insel, sitzt Amala. Die beiden verstehen sich, lachen, plaudern. Beide arbeiten in der Gemeinschaftswerkstatt. Laura Aulbur seit zwei Jahren als Polsterin. Amala van Czettritz als Tischlerin, sie hat den Workspace in der Bogenstraße gegründet.
Holpriger Anfang für die Gemeinschaftswerkstatt
2016 kauft sie das Gebäude und baut es aus. Den morschen Dachboden verwandelt sie in eine robuste Arbeitsfläche: Stahltreppe statt Leiter, gedämmte Wände, Dachfenster, zwei Toiletten, eine Küche. Dann sucht sie nach passenden Mitnutzern – über Ebay-Kleinanzeigen.
„Der Anfang war holprig”, sagt Amala, die grau melierten Haare zu einem lockeren Dutt gebunden. Ihr fehlt das Gespür, worauf es ankommt, wie eine Gemeinschaftswerkstatt funktioniert. Das Konzept ruckelt.
Zu exzentrische Menschen, resultiert sie, die ihren Willen durchsetzen – ohne Rücksicht. Der eine stellt seinen Laptop auf die Hobelbank des anderen. Zoff. Einer schleift die ganze Zeit, ohne zu saugen. Eskalation. Es braucht eine Weile, bis Amala versteht: Hier passt nur rein, wer in einer Gemeinschaft sein kann – mit allem, was dazugehört. „Keiner darf glauben, er ist wichtiger als andere.”
Alles offen
Amala arbeitet im unteren Stockwerk. Sägen, Hobel, Holzbänke – alles, was zu einer Tischlerei gehört. Weniger klar zuordnen lässt sich das oben, unterm Dach. Hier ein Sessel, fast nackt, nur mit roten Stofffetzen bekleidet. Dort eine Gitarre ohne Saiten. Da ein weißer Rumpf mit Farbklecksen. Aggressive painting, Geigenbau, Polsterei: Jeder verfolgt sein Projekt, macht sein Ding. Jeder für sich und doch gemeinsam. Denn: Es gibt nur wenige Türen. Und die stehen offen.
Laura mag das. Seit zwei Jahren betreibt sie hier ihre „Stoffwerkstatt” – so steht es auf ihrem grauen Kapuzenpulli direkt über dem Herz. Sie polstert Sessel auf, bezieht Stühle neu, passt Gardinen an. Dass sie den Schritt in die Selbstständigkeit wagt, verdankt sie der Gemeinschaftswerkstatt. Eine eigene Gewerbefläche für mehrere tausend Euro kann sie nicht stemmen. Hier zahlt sie 230 Euro pro Monat. Dass sie es nicht bereut, verrät ihr Grinsen, wenn sie mit der Hand über ihren Arbeitstisch streicht.
„Alles ist ungezwungen“
Den teilt sich die Polsterin mit einer anderen Handwerkerin. Es funktioniert: Sie sprechen sich ab, nehmen Rücksicht. Zu eng wird es eigentlich nie, erzählt Laura. Selten sind alle zur selben Zeit da – zu unterschiedlich der Alltag, zu verschieden die Arbeitszeiten. Manche hat Laura erst einmal gesehen.
„Alles ist ungezwungen.” Jeder hat sein Leben, manchmal trifft man sich im Hof oder in der Küche. Eine Zweck-WG – mit Vorteilen. Zum Beispiel der Austausch. Für jemanden wie Laura, die am Anfang der Selbstständigkeit steht, ideal. Mal eben fragen, wie die anderen Rechnungen schreiben oder mit Kunden in Kontakt treten? Kein Problem.
Konstellationen verändern sich
Als Laura die Werkstatt 2020 zum ersten Mal besichtigt, verliebt sie sich in das Knarzen der Dielen. In die Holztür, die sich mehr für Instagram-Bilder als zum Schließen des Raums eignet. Den Dachboden, der mit seinen Querbalken an eine ausgebaute Scheune erinnert. In jeder Ecke eine neue Überraschung: hier ein Grill, da eine Skulptur. Dazwischen Holzreste, Stoffmuster, Plastikfolien, Arbeitskleidung, Werkzeug.
Wie in jeder WG verändern sich auch in der Gemeinschaftswerkstatt die Konstellationen: Eine zieht aus, weil sie mehr Platz sucht. Ein anderer rückt nach, weil er über Freunde davon gehört hat. Jede hat ihren eigenen Mietvertrag, jeder kann solange bleiben, wie er will. Und wie es passt. Die Arbeitsbereiche teilt Amala auf. Sie schaut, wer harmoniert – vor allem daran gemessen, wie laut die jeweiligen Arbeiten sind, wie viel Dreck sie hinterlassen.
In Gemeinschaftswerkstätten arbeiten – ein Konzept für die Zukunft?
Das Konzept in der Bogenstraße 45C findet wenige seinesgleichen. Zwar gibt es auch in Ottensen einen Handwerkerhof und in Altona eine Holz- und Metallwerkstatt, dahinter stehen aber Vereine oder Stadtteilkulturzentren, keine einzelne Privatperson.
Ob sich das in Zukunft ändert? Laura würde sich das wünschen, um Handwerkern den Schritt in die Selbstständigkeit zu erleichtern. Amala weiß aber: Für Vermieter ist das Konzept nicht lukrativ. Mit anderen unter einem Dach zu arbeiten – man muss es einfach wollen.
Die Gemeinschaftswerkstatt „Art & Craft Workspace” ist ein Coworking-Space für kreative Menschen. Immer mal wieder wird ein Platz frei. Wer Interesse hat, kann sich per Mail an artandcraft@mail.de melden.