Das sonore Rauschen der Kieler Straße
Unser Kolumnist Harald H. Haase ist maßlos berauscht. Nee, kein Alk, keine Drogen, keine Frauen: Das Hintergrundrauschen der Kieler Straße hat ihn beschwingt. Ein halbstündiger Spaziergang an der sechsspurigen Bundesstraße war wie eine Überdosis von allem, was high macht.
Von Harald H. HaaseKuckuck Eimsbüttel!
Herrje nochmal! Was für eine Straße! Sie rauscht, dass man berauscht ist. Sie dröhnt, dass man ´ne Aspirin braucht. Sie kreischt wie eine verstimmte Gitarre bei einem Heavy-Metal-Konzert. Man kann kaum in Worte kleiden, was die Kieler Straße mit einem macht. Geschwindigkeitsrausch, Lärmrausch, Kohlendioxidrausch und Kribbelrausch im Bauch, wenn ein Laster vorbeidonnert. audiovisuelle Reizüberflutung. Polytoxisch.
Eine Straße, die nie schläft
Die direkte Verbindung zwischen Stresemannstraße und Eidelstedter Platz hat halt, was man braucht. Apotheken, Fitnessstudios, Schnellrestaurants, Discounter. Einen Autobahnanschluss, wenn man mal weit weg will. Sogar ein Campingplatz und ein riesiger Baumarkt tragen ihre Adresse. Die Mischung ist kunterbunt und macht´s. Wenn man Lust auf Freude verspürt, hat die Bundesstraße auch Häuser, in die man einkehren kann. Und für Dünnbrettbohrer gibt´s ´nen Holzfachhandel. Was New York recht ist, ist der Kieler Straße billig: Auch in der Nacht schlafen die Autofahrer nie, ist sie doch eine Ausfallstraße, die immer auffällig aber nie ausfällig ist. Todesmutig oder einfach bescheuert, wer auf ihren Gehsteigen joggt.
Impressionen der Kieler Straße im Wandel:
Im Rausch an der Kieler Straße
Mit ein bisschen Fantasie kann man das Rauschen der LKW und Autos auch in Meeresrauschen umdeuten, und das Plärren der Martinshörner der Krankenwagen vom Basselweg in musikalische Akzente einer Klarinette. Das Flugzeugdröhnen ist dann das Kreischen eines ekstatischen Sängers. Oder so ähnlich. Man darf mit seinen Vorstellungen nicht zu festgefahren sein.
Genau betrachtet führt der Name dieser Straße nicht ins Nirwana, sondern in die Irre. Auf ihr gelangt man nicht nach Kiel. Schon ab dem Eidelstedter Platz heißt die Kieler Straße Holsteiner Chaussee. Aber nach Kiel kommt man trotzdem irgendwie, denn die Bundesstraße 4 geht weiter – immerhin bis nach Bad Bramstedt. Früher ging es auf ihr auch weiter bis in die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt, was heute nicht mehr so ist. Aber deshalb die Kieler Straße in Bad Bramstedter Straße umzubenennen, würde zuviel Verwirrung stiften.
Wehe, die Kieler Straße kommt aus dem Tritt
Man merkt erst, was man an jemandem hat, wenn er nicht mehr da ist. Als die Kreuzung Kieler Straße/Stadionring umgebaut wurde, staute sich die Blechlawine oft bis zum Eimsbütteler Marktplatz. Bei der Fahrbahndeckenerneuerung im vergangenen Winter war es ähnlich. Und dann erst die Sperrung wegen des Wasserrohrbruchs – der ganze Hamburger Westen versank im Stau.
Deshalb ist aller Spott und jede Abneigung fehl am Platz. Die Kieler Straße macht auch nur ihren Job, liegt zu Füßen, wer sie braucht. Wenn auch einen lauten und schmutzigen Job. Also, immer eine Handbreit Asphalt unter den Reifen, liebe Kieler Straße!
Schöne Zeit noch. Ich hab jetzt frei.
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