Frauen hatten oft doch keine Wahl
Vor genau 100 Jahren, dem 16. März 1919, durften Frauen das erste Mal in der Geschichte an den Hamburger Bürgerschaftswahlen teilnehmen. Wir haben mit einer Eimsbüttelerin gesprochen, die die Entwicklung der Frauenrechte in mehr als neun der letzten zehn Jahrzehnte miterlebt hat. Was hat sie zu berichten?
Von Catharina RudschiesWiltrud Rosenkranz ist 1927 geboren – nur acht Jahre nachdem Frauen das aktive und passive Wahlrecht in Deutschland erhielten. So wuchs sie zwar schon mit dem Recht, ihre Stimme abzugeben, auf. Doch trotzdem hatten es Frauen in ihrer Zeit nicht leicht.
In der Zeit des Nationalsozialismus konnte die Eimsbüttelerin ihr Wahlrecht gar nicht nutzen: “Da war ja schon alles für uns entschieden”, sagt die 91-Jährige. Arbeit zu finden, war nach dem Krieg schwer genug: Vieles war einfach zerstört. Und Ehemänner mussten ihre Zustimmung geben, ob ihre Frauen arbeiten durften oder nicht.
“Das war eben so”
Wenn man Wiltrud Rosenkranz fragt, wie sie die Entwicklung der Frauenrechte in der Zeit ihres Lebens wahrgenommen hat, schüttelt sie nur nachdenklich mit dem Kopf. Später sagt sie: “Das war eben so. Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau war für uns selbstverständlich.”
Wiltrud Rosenkranz ist eine aufgeweckte und robuste Frau. Das liegt wohl auch an ihrer Geschichte. 1944 musste sie nach dem Schulabschluss ihr Pflichtjahr für Mädchen leisten, das die Nationalsozialisten eingeführt hatten, um Frauen auf ihre künftige Rolle als Hausfrau und Mutter vorzubereiten. “Ohne das Pflichtjahr absolviert zu haben, konnte man keine Ausbildung machen”, erzählt Rosenkranz.
Verschüttet im Krieg
Später kam die 16-Jährige in den Reichsarbeitsdienst nach Ostpommern, wo sie in einem Barackenlager in der Küche arbeitete, Schlafräume säuberte und später auf Bauern- und Gutshöfen arbeitete. Doch dann erreichte die Rote Armee Pommern und Rosenkranz musste vor den Kanonenangriffen flüchten.
Nach Wochen auf der Flucht wurde sie nach Halle befehligt: Als Schaffnerin kassierte sie in der Straßenbahn. In Halle wurde sie dann in einem Bombenhagel verschüttet. Nach Monaten im Krankenlager machte Wiltrud Rosenkranz sich auf eine lange Reise zurück nach Hamburg.
Man kann sich vorstellen: Solche Erfahrungen machen eine Person stark. Und das war sie auch. Nach ihrer Rückkehr machte sie eine Ausbildung zur Buchbinderin. Sie lernte ihren Mann Hugo kennen, mit dem sie in eine Wohnung in Eimsbüttel zog. Bis heute lebt sie dort – nächstes Jahr sind es 60 Jahre.
Frauen hatten keine (andere) Wahl
Als das erste Kind kam, war für Wiltrud und Hugo Rosenkranz klar, dass Wiltrud zuhause blieb. “Kindergärten gab es damals nicht so viele wie heute. Und ein Schlüsselkind wollten wir nicht.” Schlüsselkinder waren Kinder berufstätiger Eltern, die sich nach der Schule mit einem Schlüssel um den Hals die Zeit allein vertreiben mussten. Was blieb also für eine andere Wahl?
Wiltrud Rosenkranz kümmerte sich um die Kinder, kochte mittags für sie und abends noch einmal für ihren Mann. Sie hackte das Holz für den Holzofen im Garten selbst, arbeitete in “Heimarbeit” für ein Unternehmen, für das sie unter anderem die Buchhaltung machte. Heutzutage beteiligen sich immer mehr Männer an dem Haushalt und der Kindererziehung. “Ich habe alles alleine gemacht”, sagt Wiltrud Rosenkranz.
“Wir suchen einen Mann…”
Ob sie sich jemals falsch behandelt gefühlt habe als Frau? “Nein”, sagt Rosenkranz. “Ich wusste immer, was ich wollte. Und habe mir nicht dazwischenreden lassen.” So kam es auch, dass die Eimsbüttelerin eine neue Beschäftigung aufnahm. 1988 stand im Wochenblatt eine Anzeige: “Wir suchen einen Mann, der das Osterstraßenfest organisiert.” Einen Mann? Warum denn nicht eine Frau? Das fragte auch eine Leserin in einem Leserbrief. Wiltrud Rosenkranz sah das genauso und meldete sich auf die Anzeige.
Von 1988 bis 1996 organisierte sie das Osterstraßenfest, vergrößerte es und sammelte über die Jahre insgesamt rund 200.000 DM, die im Anschluss an das Volksfest Organisationen wie der Herz-Kinder-Hilfe gespendet wurden. “Heute werden die Leute, die das Osterstraßenfest organisieren, bezahlt. Wir haben das alles so gemacht – ehrenamtlich”, sagt Rosenkranz. “Weil meine Generation so wenig entgeltlich gearbeitet hat, haben viele Leute wie ich nur wenig Rente.” Hätte sie die Rente ihres bereits verstorbenen Ehemannes nicht, könnte sie gar nicht überleben.
Wahl ist Bürgerpflicht
Ihr Wahlrecht hat die Eimsbüttelerin nach dem Krieg immer wahrgenommen. “Meiner Meinung nach ist Wahl eine Bürgerpflicht! Einfach zu sagen ‘Da geh ich nicht hin’, das geht gar nicht.”