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In Eidelstedt trüben Gerüste und Schutt die Sicht. In der Hafencity vertreibt ein Gartenprojekt die trüben Gedanken von psychisch Erkrankten. Wie die Blumen zur Baustelle kamen.
Von Lukas GörlitzDie Großstadt braucht die Baustelle wie die Pflanze den Regen. Ohne Baustellen zerfällt und verrottet sie. Und trotzdem: Immer dauert es länger als geplant. Nirgendwo kommt man durch. Überall Bauzäune und rot-weiße Plastikschranken.
Auch in Eidelstedts Mitte wird gebaut. Gerade war das Eidelstedt-Center fertiggestellt, da entsteht gegenüber das neue Bürgerhaus. Zusätzlich soll sich auch am angrenzenden Busbahnhof bald etwas ändern. Mehr Platz für Kultur, weniger Verkehrschaos, neue Begegnungsorte und ein attraktiveres Zentrum: Eidelstedt wächst und wandelt sich. Aber bevor es besser wird, wird es schlimmer. Gerüste, Schutt, Kräne – die Baustelle am Markt, ein trister Fleck im Stadtbild.
Muss das so sein? Nein, findet Harriet Witte, Stadtteilkoordinatorin von Lokale Wirtschaft Eidelstedt-Mitte. Sie machte sich auf die Suche nach Möglichkeiten, den Platz rund um den Neubau des Bürgerhauses „steeedt” zu verschönern. Zwischen Innenstadt und Hafencity wurde sie fündig.
Dort liegt der Oberhafengarten. So wie Baustellen Orte des Wachstums sind, wächst und gedeiht auch hier so manches. „Einige blühen regelrecht auf”, sagt Jürgen Lohfink und spricht dabei nicht über seine Pflanzen, sondern die Menschen, die zu ihm kommen. Lohfink leitet die Initiative „Grau trifft Grün”, ein Projekt, das psychisch Erkrankten einen Rückzugsort bietet. Viele Menschen mit Ängsten könnten dem Druck des Arbeitsmarkts nicht standhalten, so Lohfink. Bei ihm versuchen sie, einen Ausgleich von der Arbeit zu finden. Aber auch Arbeitssuchende, die wegen psychischer Probleme ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können, finden im Garten Ruhe.
Es sind ganz unterschiedliche Menschen, die zu Lohfink kommen. Vom Handwerksmeister aus dem Familienbetrieb bis zur Büroangestellten aus dem Großunternehmen. Druck und Pflichten gibt es für die Beschäftigten hier nicht: „Sie sollen ein paar Stunden im Garten verbringen und ihre Sorgen vergessen”, beschreibt Lohfink die Arbeit. Zwischen Blumen und Erde ist die Welt ein Stück einfacher, die Gartenarbeit rückt Angst und Stress aus dem Fokus. Das weiß Lohfink aus eigener Erfahrung. Auch Forscher an der englischen University of Essex fanden heraus, dass fünf Minuten körperliche Aktivität im Grünen ausreichen, um Stimmung und Selbstwertgefühl deutlich zu verbessern – beide gelten als Indikatoren für psychische Gesundheit.
„Grau trifft Grün” soll aber nicht nur dunkle Gedanken aus den Köpfen der Teilnehmer vertreiben, sondern auch grauen Fassaden und Straßen einen grünen Anstrich verleihen. Lohfinks Motto: „Grün zurück in die Stadt.” Neben Obst und Gemüse entstehen in dem Projekt bepflanzte Kästen, ob für die Fensterbank oder als Hochbeete mit Sitzgelegenheiten. Denn wo kann man besser verschnaufen als im Grünen?
Das dachte sich auch Harriet Witte. Zusammen mit der steg Hamburg, verantwortlich für die Gebietsentwicklung in Eidelstedt-Mitte, stellte sie ein erstes Pflanzenmodul an den Bauzaun auf dem Marktplatz. Dafür wurden rund 2.500 Euro aus Fördermitteln verwendet: Die Finanzierung soll Ansporn und Inspiration sein, sodass umliegende Unternehmen bald Unterstützung zusagen.
Die bepflanzte Baustelle gibt nun nicht nur ein schöneres Bild ab, sie bietet mit Sitzgelegenheiten auch einen Platz zum Austausch und Ausruhen. Witte ist begeistert von dem Feedback der ersten Wochen. Geschäfte riefen an, beschwerten sich, warum kein Hochbeet vor ihrem Laden stehe. Noch fehlen die Gelder dafür, doch Stadtteilkoordination und steg planen weitere blühende Oasen – auf dem Wochenmarktplatz und in anderen Ecken des Stadtteils.
Das wünscht sich auch Michael Wurche, Betreiber von Michis Bistro und Café auf dem Eidelstedter Marktplatz. Er ist begeistert von den neuen Pflanzenbeeten in der Nähe seines Ladens. Zusammen mit den Sitzmöglichkeiten sei die Stadtteilkoordination ein wichtiges Thema angegangen: Schon lange beobachtet er vor seinem Laden, wie ältere Menschen vergebens nach Ruheorten suchen. Viele verschnaufen auf den Caféstühlen vor seinem Laden. „Trinken wollen sie aber nie etwas”, sagt er verständnisvoll. Es gebe keinen Ort, wo sie sich hinsetzen und verweilen könnten. Wurche würde sich über mehr Beete in Eidelstedt freuen – auch vor seinem Laden. Diese selbst zu finanzieren, kommt für ihn derzeit aber nicht infrage: Er habe genug damit zu tun, seinen Laden zu erhalten. Versprochene Corona-Hilfen kämen nicht wie geplant, Besucherzahlen ließen zu wünschen übrig.
Sollten sich aber Geldgeber finden, helfe das am Ende nicht nur den älteren Eidelstedtern: Bei „Grau trifft Grün” gibt jeder verkaufte Pflanzenkasten den Teilnehmern ein Stück mehr Selbstvertrauen und erhält den Ort, an dem Blumen und Menschen aufblühen.
Die Blumen kamen so gut an, dass sich einige Eidelstedter welche mit nach Hause genommen haben. Wer die Bauzaun-Oase unterstützen will, kann Blumen zum Nachpflanzen am Pflanzenstand Haase auf dem Wochenmarkt oder bei Blumen Crischan kaufen. „In einem Örtchen wie Eidelstedt ist das unkompliziert: Man kennt sich und muss beim Blumenkauf nur sagen, dass man etwas zur Bauzaun-Oase beitragen möchte“, erzählt Harriet Witte. Auch wer mehr Finanzierungsmittel zur Weiterentwicklung der Bauzaun-Module einbringen könne, sei herzlich eingeladen.
Wer den eigenen Balkon oder die Fensterbank mit Blumenkästen von „Grau trifft Grün” verschönern will, findet diese im Oberhafengarten in der Stockmeyerstraße 43, auf der Wasserseite hinter Halle 4. Bepflanzt wird mit regionalen und saisonalen Pflanzen oder auch individuell nach Wunsch.
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