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Constantin Pinitilii ist in die Wohnschmiede bei der Christuskirche gezogen. Foto: Rainer Wiemers
Constantin Pinitilii ist in die Wohnschmiede bei der Christuskirche gezogen. Foto: Rainer Wiemers
Magazin #37

Von draußen rein

Constantin Pintilii ist von der Straße in einen Wohncontainer bei der Christuskirche gezogen. Was ein Dach bewirken kann.

Von Julia Haas

Immer wieder war der harte Beton seine Matratze – über Jahrzehnte schlief Constantin Pintilii auf der Straße. Mal in einem Park, mal unter einer Brücke, mehrere Monate vor einem Eingang der Europapassage. Unter ihm nur ein Karton. Eine Lüftung wärmte ihn.

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Vor knapp einem Jahr ist er in die Wohnschmiede gezogen – ein Wohnprojekt für obdachlose EU-Bürger direkt an der Christuskirche. Sechs Menschen wohnen hier in je einem Container und teilen sich eine Küche. Für Pintilii hat der Container nach über 30 Jahren eine Zukunft eröffnet, die er lange gesucht hat.

Fand nicht das Leben, das er suchte

Regentropfen prasseln auf den Container. Er ist etwa 14 Quadratmeter groß: Bett, Schrank, Tisch, Stuhl, Kühlschrank, Bad. Wie eine Decke liegen Geschirrhandtücher auf dem Tisch, in der Ecke steht ein Konservenglas mit Löffeln, Gabeln und Messern. „Mini-Luxus”, sagt Pintilii und grinst. Er sitzt aufrecht auf dem Bett, sein Hemd ist glatt gebügelt.

1990 kam er von Rumänien nach Deutschland. Damals war er 22 Jahre alt, in seiner Heimat herrschte Revolution. Er war neugierig, sagt er heute. Auf die Welt, auf Deutschland. Er wollte arbeiten, ein Leben aufbauen. In mehreren deutschen Städten versuchte er genau das. Mal hatte er einen Job, mal schlief er bei Freunden. Das Leben, das er gesucht hatte, fand er nicht – irgendwann blieb ihm nur die Straße, und der Alkohol.

Wo schlafe ich?

„Die Menschen kommen nicht hierher, um auf der Straße zu landen”, sagt Nikolas Borchert. Er arbeitet seit 25 Jahren als Sozialarbeiter, aktuell begleitet er Pintilii und die anderen Bewohner der Wohnschmiede. Bei vielen hätte sich das, was sie in Deutschland zu finden hofften, nicht erfüllt. Weil sie keinen Arbeitsvertrag bekamen oder plötzlich gekündigt wurden. In den meisten Fällen seien es Menschen, denen etwas Blödes widerfuhr. Und die keine Hilfe fanden.

Nikolas Borchert begleitet die Bewohner der Wohnschmiede in Eimsbüttel. Foto: Rainer Wiemers
Nikolas Borchert begleitet die Bewohner der Wohnschmiede in Eimsbüttel.

Wo schlafe ich, ohne überfallen zu werden? Was esse ich? Wie trockne ich meine nassen Sachen? Das sind Fragen, die die letzten Jahre in Pintiliis Leben geprägt haben. Für andere Themen, Jobsuche oder Gesundheitsvorsorge, war kein Platz mehr. Die Lüftung über der Eingangstür der Europapassage war damals sein Luxus. „Es war warm, auch bei Schnee”, erzählt er. Das – er hebt die Bettdecke hoch – brauchte er nicht; hatte er nicht.

Zahl der obdachlosen Menschen steigt

Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Hamburg steigt. Zählte das Statistische Bundesamt im Januar 2022 noch 18.915 wohnungslose Personen, waren es zwei Jahre später 32.615 Menschen. Dabei wurden nur wohnungslose Menschen erfasst, die in Not- und Gemein­schaftsunterkünften leben, nicht auf der Straße. Die tatsächliche Zahl der obdachlosen Menschen in Hamburg dürfte entsprechend höher sein. Laut Sozialbehörde Hamburg gaben bei einer Befragung im Jahr 2018 1.910 Menschen an, auf der Straße zu leben. Aktuelle Zahlen werden im Dezember 2024 veröffentlicht – die Sozialbehörde und Verbände gehen von einer gestiegenen Anzahl aus.

Wie beendet man Obdachlosigkeit?

Bis 2030 will die Bundesregierung Obdachlosigkeit in Deutschland beenden. Im Mittelpunkt steht dabei, Menschen in eigenen Wohnraum zu vermitteln – und sie zu unterstützen, in diesem dauerhaft zu bleiben. Eine wichtige Rolle spielt dabei das „Housing First”-Konzept, bei dem Obdachlose eine eigene Wohnung beziehen.

Die Wohnschmiede in Eimsbüttel setzt eine Stufe früher an. Wie ein Schiff transportiert sie ihre Bewohner zum nächsten Hafen. Vom Wetter geschützt, trocken und warm – und mit einem Kompass ausgestattet. Ziel ist es, die Bewohner in eine eigene Wohnung zu vermitteln. In der Zwischenzeit werden sie von Sozialarbeitern bei gesundheitlichen Anliegen oder der Jobsuche unterstützt.
Der Vorteil: Hier fällt noch keine Miete an. Ein unentgeltlicher Nutzungsvertrag regelt das Zusammenleben. Finanziert und ermöglicht wird das Projekt durch eine Spende und die Behrens-Stiftung – eine gemeinnützige Stiftung aus Hamburg, die sich in der Wohnungslosenhilfe engagiert.

„Kein Bier, gar nichts”

Angesprochen auf seine erste Nacht in den eigenen vier Wänden grinst Pintilii. Es ist die Freude über ein Geschenk, mit dem er fast nicht mehr gerechnet hat. „Sehr gut”, sagt er und zieht die Worte dabei in die Länge, als wolle er ihre Bedeutung ausdehnen. Dusche, Waschmaschine, Küche, alles.

Die psychische und physische Situation der Bewohner habe sich nach dem Einzug in kürzester Zeit verändert, sagt Borchert. Weil mit dem eigenen Schlüssel die Angst verschwindet, überfallen zu werden. Und mit dem eigenen Bett die Ruhe zurückkehrt. Nicht permanent im Überlebensmodus zu agieren bedeutet, Prioritäten neu setzen zu können. Einen Zahnarzt besuchen, mit den Eltern oder Kindern telefonieren.

„Kein Bier, gar nichts”, sagt Pintilii über sein neues Leben. Er hat den Alkohol aus seinem Leben verbannt, um der Vergangenheit einen Riegel vorzuschieben. Sein Blick wandert durch den Container, seinen Mini-Luxus will er nicht mehr verlieren.

Unterstützung, um neuen Alltag zu meistern

Borchert weiß, dass eine neue Unterkunft auch mit Überforderungen einhergehen kann. Wieder in einem geschlossenen Raum zu schlafen oder in einem eigenen Bett zu liegen, löse bei manchen Angst aus. „Einige schlafen in der Anfangszeit auf dem Boden”, sagt er. Eine eigene Wohnung und alles wird gut – so einfach ist es oft nicht. Es braucht Unterstützung, damit diese Gleichung aufgeht. Und Antworten auf scheinbar banale Fragen: Wie bediene ich eine Waschmaschine, wie geht der Herd aus?

„Kein Bewohner kommt hier an und fragt am ersten Tag, ob wir zum Amt gehen und Leistungen beantragen.”

Die Sozialarbeiter der Wohnschmiede klären mit den Bewohnern auch, ob Ansprüche auf Leistungen bestehen. Oft bedeute das Detektivarbeit, sagt Borchert, weil die Menschen in der Regel keine Papiere mehr haben. Er fragt Steuerbescheide beim Finanzamt an, erkundigt sich nach Rentenversicherungsverläufen oder bittet frühere Arbeitgeber um Verträge. Aber er betont auch: „Kein Bewohner kommt hier an und fragt am ersten Tag, ob wir zum Amt gehen und Leistungen beantragen.” Stigmata, die manche Boulevardmedien verbreiten, stellt er sich entgegen. Zu oft erlebe er, wie komplex es für EU-Bürger ist, Leistungen zu erhalten. Die meisten würden das aber auch nicht wollen. Sie möchten arbeiten. Borchert und seine Kollegen helfen ihnen dabei.

Seit einigen Monaten hat Pintilii einen Minijob als Reinigungskraft in einer Schule. „Ich mag die Arbeit sehr”, sagt er und drückt die Hände auf sein Herz. Fünfmal die Woche fährt er für vier Stunden nach Klein Flottbek. Er will alles richtig machen, pünktlich sein. Immer wieder sagt er: „Ich bin sehr dankbar.” Endlich sei alles prima – mehr als das.

Wie geht es weiter?

Borchert hat keinen Zweifel, dass die Wohnschmiede ihren Zweck erfüllt – wenn auch nur für erstmal sechs Wohnungslose. „Aber wären diese sechs Menschen nicht hier, wären sie vielleicht wieder im Krankenhaus gewesen.” Mit Blick auf den nationalen Aktionsplan, Obdachlosigkeit zu überwinden, ist er sich sicher: Es funktioniert nur über Wohnraum.

Constantin will hier bleiben, bis er eine eigene Wohnung gefunden hat. Als Regentropfen auf dem Boden landen, steht er auf und schließt das gekippte Fenster. „Super”, sagt er und grinst.


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