
Wie das Fahrrad zum Trendobjekt wird
Schickes Design, hohe Qualität und Ausdruck der eigenen Individualität – um das zu bekommen, greifen immer mehr Kunden für ihr Fahrrad tief in die Tasche. Ist das Fahrrad das Lifestyle-Produkt der Zukunft?
Von GastEine Umfrage des Portals fahrrad.de von 2015 hat ergeben, dass die Menschen immer mehr Geld für ein neues Rad ausgeben. Demnach sind 29,6 Prozent der Befragten bereit, 1.500 Euro auf den Tisch zu legen. Das ist zum Beispiel bei Dorothee Heine möglich. Ihr gehört der Bike Shop „Two Wheels Good“ in der Bismarckstraße, in dem sie Fahrräder von 800 bis 5.000 Euro anbietet.
Es sei vor allem die Qualität, die die Kunden anlocke, sagt Heine. „Bezahle einmal viel Geld für ein Fahrrad und dann werden auch deine Kinder noch etwas davon haben.“ Zu ihren Kunden zählten vor allem junge Familien und Berufspendler, die mit einem teuren Design-Fahrrad ihrem Lebensgefühl Ausdruck verleihen. Oder, wie es Dorothee Heine ausdrückt:
„Es ist für die Leute einfach cool, ein tolles Fahrrad zu besitzen.“

Dabei steht die Funktionalität der Räder häufig im Hintergrund, hat Weert Canzler festgestellt. Der Soziologe und Mobilitätsexperte vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung nennt ein Beispiel: „Fixies sind Räder, die von der Funktionalität her eingeschränkt, aber trotzdem relativ teuer sind. Bei jugendlichen Subkulturen sind diese Räder momentan sehr angesagt.“ Fixies oder Single Speeds besitzen keine Gangschaltung und sind teilweise sogar ohne Bremsen ausgestattet.
Nach Meinung des Mobilitätsexperten zeichnen sich die Leute, die auf das Fahrrad setzen, vor allem dadurch aus, dass sie relativ zentral in Großstädten leben, eher jünger und gut gebildet sind und ein mittleres bis hohes Einkommen beziehen. Zudem haben diese Subkulturen ihre täglichen Wege im Nahbereich organisiert, sodass Schulen, Arbeitsplatz und Einkaufsmöglichkeiten mit dem Fahrrad angefahren werden können.
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Fahrrad von heute: Design und Komfort spielen eine große Rolle
Dass es Hamburger gibt, die tatsächlich gut auf ein Auto verzichten können, beweist Nina Kirschstein. Die Mutter von zwei Kindern fährt schon immer Fahrrad. Ein Auto braucht sie nur in den seltensten Fällen. „Wir haben Weihnachten auch den Tannenbaum mit unserem Rad geholt“, erklärt sie lachend.
Vor zwei Jahren hat sie sich ein Transportrad gekauft, mit dem sie auch ihre Kinder kutschieren kann. Praktisch – und teuer: Rund 2.400 Euro kostete die ehemalige Eimsbüttelerin die Anschaffung. Investiert hat die Mutter das Geld gerne, nicht nur wegen des praktischen Nutzens, sondern auch weil sie ein schönes Rad besitzen wollte.
Nina Kirschstein gehört zur steigenden Zahl der Menschen in Hamburg, die ihren Alltag weitgehend auf zwei Rädern bestreiten. Nach Angaben der Verkehrsbehörde nutzen zwölf Prozent der Hamburger das Fahrrad als Verkehrsmittel, Tendenz steigend. Mit dem Auto sind in Hamburg rund 42 Prozent und im Bezirk Eimsbüttel 39 Prozent unterwegs, Tendenz sinkend. Eine Befragung des Bezirksamt Eimsbüttel von 2016 mit rund 1.700 Passanten hat zudem ergeben, dass 19,2 Prozent mit dem Rad in die Osterstraße kommen, während nur 13,4 Prozent mit dem Auto fahren.

Dass das Rad einen anderen Stellenwert hat als früher, davon ist André Lange vom Electra-Store am Straßenbahnring überzeugt:
„Für die Leute ist das Rad nicht mehr nur ein Fortbewegungsmittel, sondern sie haben auch einen Bezug zu Dingen wie Design und Komfort hergestellt.“
In seinem Geschäft verkauft Lange nicht nur Fahrräder der kalifornischen Marke, für die ein Kunde bis zu 2.600 Euro investieren muss, sondern bietet auch ein Shopping-Erlebnis, das von der Werkstatt-Atmosphäre eines klassischen Fahrradgeschäfts weit entfernt ist. Statt Öl-und Gummigeruch atmen die Kunden Kaffeeduft ein, denn im Store befindet sich auch ein kleines Café. „Die Leute sollen anfangen das Fahrradgeschäft als einen Laden mit entspannter Atmosphäre wahrzunehmen“, findet André Lange.
Beim Fahrradkauf: Tradition versus Moderne?
Ein Fahrrad auf die ganz klassische Art und Weise zu kaufen, das geht im „Eimsbütteler Fahrradladen“. Uwe Krafft bietet seit mehr als 30 Jahren in seinem Geschäft an der Osterstraße eine große Vielfalt an bekannten Marken an. Auch Manufakturräder können bei ihm erworben werden. Das sind Fahrräder, die sich Kunden nach ihren eigenen Vorstellungen zusammensetzen können. „Doch die Leute wollen lieber im Laden ein fertiges Rad kaufen“, hat Krafft festgestellt. „Wahrscheinlich liegt es daran, dass es auch Firmen gibt, die das über das Internet anbieten und so die Leute erreichen.“

Tatsächlich hat Robin Homolac mit diesem Konzept in seinem Laden Urbike an der Feldstraße mehr Erfolg. In seinem Geschäft und im Internet bietet er individuelle Räder für jeden Geschmack an. Die Käufer können zum Beispiel aus rund 200 verschiedenen Farben wählen. Seine Kunden seien vor allem männlich, zwischen 15 und Mitte 30, oft sogenannte Young Professionals.
Die Berufseinsteiger wollen sich mit individuell designten Fahrrädern von der Masse absetzen, erklärt Homolac. „Man kann das mit Handtaschen vergleichen. Du kannst deine Sachen in einer Aldi-Tüte transportieren – oder in einer italienischen Markenhandtasche. Die Funktion ist die gleiche, aber bei der Markenhandtasche hast du noch ein gewisses Image. Es ist ein anderes Gefühl.“ Die Identifikation mit dem eigenen Fahrrad spiele für viele Großstädter mittlerweile eine größere Rolle.
Das Fahrrad hat ein neues Image
Auch Marcus Mende gehört zu den Menschen, die sich mit ihrem Fahrrad von der Masse abheben wollen. Der Filmproduzent fährt ein Schindelhauer-Rad für rund 1.600 Euro. Warum er so viel Geld investiert hat? „Ich wollte etwas Besonderes haben und ich fand das schlichte und reduzierte Design klasse.“
Sicher, der Hamburger liegt mit seiner Investition deutlich über dem Durchschnitt, aber der Fahrrad-Monitor des SINUS-Instituts hat ergeben, dass die Deutschen immer mehr für ihr Rad ausgeben. Der Durchschnitts-Kaufpreis lag 2015 bei 685 Euro, 2011 waren es nur 620 Euro. Für Marcus Mende hat sich die Investition ausgezahlt. Seit fünf Jahren bestreitet der Filmproduzent den Großteil seines Alltags mit seinem Fahrrad – und genießt die Aufmerksamkeit. „Du merkst über die Jahre auf jeden Fall, dass die Leute bei meinem Fahrrad hingucken“, erzählt Mende.
Das Fahrrad – für Marcus Mende und Nina Kirschstein ist es eine Herzensangelegenheit und im Alltag unverzichtbar. Doch was ist mit den anderen Hamburgern? Klar ist: Das Fahrrad bewegt die Großstädter – und damit auch die Politik. Die Grünen wollen Hamburg bis 2025 zur Fahrradstadt machen, 25 Prozent der Wege sollen dann mit dem Rad zurückgelegt werden.
„Früher war das Fahrrad ein Fortbewegungsmittel für arme Leute. Wer sich kein Auto leisten konnte, fuhr Fahrrad“,
meint Robin Homolac. Das sei heute anders. Heißt es bald also: Mein Haus, meine Frau – mein Fahrrad?
Autorin: Constanze Lerch
Mobilität der Zukunft in Eimsbüttel

Gemeinsam mit Studierenden der Uni Hamburg haben die Eimsbütteler Nachrichten ein Dossier erstellt, das eine Bestandsaufnahme und den Blick in die Zukunft der Mobilität in Eimsbüttel bietet. Hier gelangt ihr zum Mobilität-Dossier.