
Leben in den Grindelhochhäusern: Einer unter 3.500
Vor 70 Jahren entstand in Hamburg die erste Hochhaussiedlung Deutschlands und seit ihrer Bauphase polarisieren die „Klötze“. Wir haben mit einem der 3.500 Bewohner der Grindelhäuser über Gerüchte gesprochen, ihn nach seinen Lieblingsecken gefragt und dabei viel über die Vergangenheit der Häuser erfahren.
Von Karoline Gebhardt„Ich bin glücklich, hier zu leben“, sagt Maik Pramor entschieden. Pramor wohnt seit knapp zehn Jahren in den Grindelhochhäusern, im siebten Stock eines der zwölf Kolosse im Stadtteil Harvestehude. Er schätzt die Vielfalt seiner Nachbarn: Von der Kriminalpolizistin bis zum Architekten sei alles dabei.
Vor siebzig Jahren, am 12. Juli 1946, wurde der erste Spatenstich für Deutschlands erste Wohnhochhäuser in die Erde gesetzt. Seitdem haben die Grindelhochhäuser eine ereignisreiche Entwicklung hinter sich. Siebzig Jahre, in denen sie Geschichte geschrieben, für Furore und Freude gesorgt haben. Und vielen Menschen ein Zuhause boten.
Ursprünglich wollten britische Besatzungstruppen im Rahmen des sogenannten „Hamburg Projects“ ihr Hauptquartier in Hamburg aufbauen. Da die Briten jedoch nach Frankfurt übersiedelten, lag die Baustelle fast zwei Jahre brach. Erst 1948 entschied sich die Stadt Hamburg, die Pläne für die zwölf Hochhäuser doch noch zu verwirklichen. Ausschlaggebend war vor allem der Mangel an Wohnraum in der Nachkriegszeit: Viele Menschen benötigten dringend ein Zuhause. Im Jahr 1950 waren die ersten Wohnungen bezugsfertig, sechs Jahre später die Errichtung abgeschlossen. Für die damalige Zeit ein echter Luxus: Die Mieter hatten Bad, Fahrstuhl und einen Müllschlucker – etwas ganz Besonderes.
Gemeinschaft unter 3.500 Menschen
Nach Angaben der Saga GWG wohnen circa 3.500 Menschen in den 2.000 Mieteinheiten. Die Wohnungen sind sehr unterschiedlich geschnitten: Manche sind mit 17 Quadratmetern nicht größer als ein Schuhkarton, andere umfassen 110 Quadratmeter. Ein Teil der Wohnungen ist mit einem kleinen Balkon ausgestattet, einige haben beinahe bodentiefe Fenster.
Maik Pramor schwärmt von seinem Zuhause. Er erzählt von Toleranz und Offenheit. Von Nachbarn, die nachmittags um zwei nach einer langen Nacht Katerfrühstück vorbeibringen, Gartenfeste gemeinsam feiern oder einen Flohmarkt veranstalten. „Die Stimmung hier ist entspannt.“
Das bestätigt auch die Saga. Die Häuser seien sehr beliebt, die Nachfrage nach freien Wohnungen hoch. Nicht nur wegen der zentralen Lage, sondern auch wegen der stadthistorischen Bedeutung der Häuser. Hinzu kommt: Im Vergleich zu den üblichen Mietpreisen in Eimsbüttel seien die Wohnungen in den Grindelhochhäusern etwas günstiger, erklärt ein Sprecher der Wohnungsbaugenossenschaft.

Klatschgeflüster und Tratschpropaganda
In den 1970er und 1980er Jahren gerieten die Häuser in Verruf. Daher rühren unschöne Geschichten von brennenden Fahrstuhlschächten und Drogendealern in dunklen Gassen, von denen auch Maik Pramor gehört hat. Noch im April berichtete die BILD über Gewalt, Drogen und Kriminalität, Armut und Elend in den Grindelhochhäusern. Darüber kann Maik Pramor nur lachen: „Viele Menschen, die hier wirklich wohnen und leben, haben sich darüber lustig gemacht. Es stimmt einfach nicht.“
Die Medienberichte haben ihre Wirkung dennoch nicht verfehlt. „Jeder, dem du erzählst, dass du in den Grindelhäusern wohnst, denkt: ‚Ah, das Schimmelhaus'“, erzählt Maik Pramor. Im Hamburger Volksmund auch ‚Horrorhaus‘ genannt, ist es das Einzige der zwölf Häuser, das einem Privatbesitzer gehört. Während die Saga bereits Mitte der 1990er Jahre zweistellige Millionenbeträge in die Modernisierung der einzelnen Häuserblocks investiert hatte, wurde das Haus an der Oberstraße lange Zeit sich selbst überlassen. Doch auch an diesem Gebäude wurde die Sanierung in diesem Jahr abgeschlossen. Unter anderem finden eine Kindertagesstätte und Ferienwohnungen dort Platz.
Vielfalt auf einem Fleck
Gleich um die Ecke stehen mondäne Villen und Altbauten aus der Gründerzeit. Die Grindelhochhäuser befinden sich in Harvestehude, einem der vornehmsten Stadtteile Hamburgs. Wie das Statistische Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein mitteilte, lagen 2015 die Preise für ein Grundstück bei 3.047 Euro pro Quadratmeter. Ein- und Zweifamilienhäuser kosten mehr als 8.000 Euro pro Quadratmeter. Für Maik Pramor sind die Villen in seinem Rücken ein Bestandteil der vielfältigen Wohnkultur. „Dort leben keine abgehobenen Menschen. Genauso wenig wie hier ‚Asoziale‘ leben.“ Harvestehude ist ein bunter Mix, die Grindelhochhäuser gehören fest ins Stadtbild – und das seit siebzig Jahren.
Nachbarschaft in den Grindelhochhäusern



