
ARBEITEN – Teil I
Editorial: Gegen das Vergessen
„Viele Menschen glauben nicht an das, was geschehen ist – oder wollen es beschönigen. Deshalb ist es absolut notwendig, an diese schreckliche Zeit zu erinnern”, sagte Kurt Goldschmidt am 9. November in einer Zoom-Konferenz. Eine Nachbarschaftsinitiative aus dem Weidenviertel hatte die Konferenz zum Gedenken an die Pogrome von 1938 organisiert.
Kurt Goldschmidt erinnert sich, denn er hat es miterlebt. Er sah am Morgen nach der Pogromnacht, wie jüdische Geschäfte geplündert wurden. Es war der letzte Morgen, an dem er zum Büro ging, in dem er seine Lehre machte, weil von da an keine jüdischen Angestellten mehr dort arbeiten durften. Heute lebt der 97-Jährige in New York. Er hat die Deportation nach Theresienstadt überlebt und wanderte nach dem Krieg in die USA aus.
Wie gegenwärtig die Vergangenheit auch in Eimsbüttel ist,
…zeigte der Angriff auf einen jüdischen Studenten an Jom Kippur vor der Synagoge Hohe Weide. Zeigen Schimpfwörter wie „Du Jude” auf deutschen Schulhöfen. Oder die wiederholte Zerstörung von Stolpersteinen, wie dem der Jüdin Renata Rahel Drehmel in der Gärtnerstraße.
Aber es gibt auch positive Entwicklungen: In diesem Jahr machte der erste Abiturjahrgang seit 1942 seinen Abschluss an der jüdischen Joseph-Carlebach-Schule im Grindelviertel. Die Politik diskutiert über den Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge, um jüdisches Leben in der Stadt wieder sichtbarer zu machen.
Und die Initiative „Kein Vergessen im Weidenviertel” organisierte eine virtuelle Kundgebung, bei der 85 Menschen von Neuseeland über Hamburg bis New York teilnahmen. Darunter Kurt Goldschmidt und ein weiterer Zeitzeuge aus New York. In der Titelgeschichte dieses Magazins erzählen sie ihre Geschichten – und wie sie der Eimsbütteler Holger Artus nach über achtzig Jahren zusammenbrachte.