„Man flüchtet nicht irgendwohin, sondern vor etwas“
Im Mut!Theater hat das Stück „Emigranten“ letzte Woche Premiere gefeiert. Darin geht es um Dosenfutter, einen Selbstmordversuch und zwei Emigranten in der Fremde.
Von Franziska MartinIm Publikum herrscht Stille. Mehrere Sekunden dauert es, bis sich alle aus ihrer Erstarrtheit herausgelöst haben und anfangen zu klatschen. Knapp anderthalb Stunden hat man mit den beiden Protagonisten des Stücks „Emigranten“ im Mut!Theater mitgelitten und über das nachgedacht, was sie sagen. Denn sagen tun sie viel. Es geht um Heimat, um Sehnsucht, Isolation, das Scheitern an sich selbst, die Sprache in der Fremde. Weiß man, dass das Stück von einem Mann geschrieben wurde, der selbst ein Flüchtling war, wundert es nicht, dass solch existenzielle Themen auf die Bühne kommen. Der polnische Schriftsteller und Dramatiker Slawomir Mrozek verfasste das Stück im Jahr 1974. Sechs Jahre zuvor hatte er nach der Niederschlagung des Prager Frühlings politisches Asyl in Frankreich beantragt und zog zeitweilig dorthin. Der Intendant vom Mut!Theater Mahmut Canbay hat es nun erneut auf die Bühne gebracht.
Zwei Emigranten in einer fremden Welt
Das Stück „Emigranten“ spielt Silvester in einem Keller. Zwei namenlose Flüchtlinge wohnen dort, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Über ihre Vergangenheit erfährt man wenig. Der eine, vom Schauspieler Wolf Wempe verkörpert, möchte das große Geld in der Fremde machen. Dafür hat er Frau und Kinder in der Heimat zurückgelassen. Die Sprache in der Fremde versteht er nicht, weshalb er sich statt Essen aus der Dose aus Versehen Hundefutter kauft. Er träumt davon, in die Heimat als weltgewandter Mann zurückzukehren, den alle beneiden. Der andere, ein poltischer Flüchtling, gespielt von Emrah Demir, hatte zu Hause alles: eine schöne Wohnung, eine Frau. Nun steht er in seiner Heimat auf der „schwarzen Liste“. In der Fremde erstarrt er in sich selbst.
Verzweiflung in der Fremde
Beide Flüchtlinge geraten im Stück oft aneinander: Essen ist ein Streitpunkt, die Lebensweise ein anderer. Beide fühlen sich machtlos in einem Land, das sie nicht richtig kennen. Es wird von den „Leuten da oben“ geredet, von den Mächtigen. Bezeichnenderweise wohnen die beiden im Keller, sind also ganz unten in der Hierarchie des Hauses und der Welt, die sie wahrnehmen. Mehr als einmal sagt der eine zum anderen: „Lern die Sprache.“ Ironischerweise arbeitet der, der die Sprache nicht kann, in der Welt außerhalb des Kellers. Der, der die Sprache kann, bleibt in seinem selbstgewählten Versteck. Öfters kommt es vor, dass einer der beiden etwas Tiefgreifendes in seinem Leben verändern will – der politische Häftling will aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen, der Bauer zurück nach Hause. Beide finden nicht die Kraft dazu. Die Emigranten jagen sich gegenseitig mit Worten und Taten. Die Grausamkeit des einen führt den anderen fast zum Selbstmord. Am Ende steht die Hoffnungsglosigkeit der beiden im Raum und die Stille im Publikum, die sich der Schauspieler Emrah Demir im Vorfeld auf die Frage „Was wünscht du dir für Reaktionen auf das Stück?“ gewünscht hatte. Und auch wenn das Stück nicht besonders fröhlich ist, findet sich viel darin, über das man ins Nachdenken kommt.