Metamorphose einer Eimsbüttelerin zur Wiesn-Halbzeit

Rund um den Erdball heisst es: O’zapft is! Die 5. Jahreszeit hat begonnen.

Das Oktoberfest! Minimum 4.000 Orte auf dem Globus haben zur Zeit so richtig viel Spaß, nur wir in Eimsbüttel nicht! Weit und breit findet sich in Eimsbüttel nix fröhlich Bajuwarisches. Tote (Leder)-Hose im Stadtteil. Die Wiesn findet in Eimsbüttel lediglich kulinarisch in den Beilagen der Supermarktketten statt. Vielleicht auch verständlich, denn Nichts liegt uns Nordlichtern ferner als Massenbesäufnisse, Helenes „Atemlos“ bis zur Hyperventilation und Tracht. Aufgepimpte Dirndl, Busen bis zum Abwinken? Nein Danke.

Obwohl…. bei der Live-Übertragung des Wiesn-Umzugs und Anstichs um Punkt zwölf Uhr waren wir, mein Mann und ich, dann doch dabei: Am Fernsehschirm im regnerischen Eimsbüttel. Die Macht der Bilder ließ uns nicht kalt. Unter weiß-blauem Himmel fuhren die schönsten Brauereiwagen mit den schönsten Madeln und Wadeln Richtung Theresienwiese und spätestens beim bayerischen Defiliermarsch begann dann auch mein norddeutscher Göttergatte rhythmisch den Fuß kreisen zu lassen. Und als dann noch Herr Reiter, Münchens Oberbürgermeister, mit nur zwei – ich wiederhole: nur ZWEI Schlägen! – das Fass zum Laufen brachte, waren auch wir hin- und mitgerissen. Fraglich, ob unser Olaf auf dem Weinfest in Hamburg auch solche Begeisterungsstürme beim Entkorken der ersten Weinflasche auslösen könnte. Aber in München ist die Welt offenbar noch in Ordnung! Lebensfreude und Tradition reichen sich dort den Bierkrug. Und allein der Anblick der knackig eng sitzenden Lederhosen und der wunderschönen Dirndl…Begeistert von so viel Ursprung, Identität und heimatlichen Wurzeln starteten wir beschwingt den Wochenendeinkauf.

Tag 1 nach dem Anstich

Steige in Historie ein und erfahre unter anderem, dass 1881 die Geburtsstunde des Wiesn – Hendls war. Bin hungrig und beschließe, dass heute zum Abendessen Hähnchen gegessen wird. Dazu gibt es Bier! Familie ist begeistert und mein Sohn steuert die iPlattl- App zum geselligen Abend bei. Eine App, die uns den Schuhplattler beibringt. Riesengaudi in der Küche!

Tag 2 nach dem Anstich

Arbeite mich immer mehr in das Thema „Fest“ ein und lese Erstaunliches auf Wiki. Nach Sigmund Freud, ist ein Fest „ein gestatteter, vielmehr ein gebotener Exzess, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes“. Super – klingt gut und erklärt Vieles. Der große Psychoanalytiker legitimiert damit das „einfach mal die Sau rauslassen“.

Tag 3 nach dem Anstich

Mich hat’s gepackt. Will mehr wissen über das Fest an sich und das Oktoberfest im Besonderen. Stoße auf ein Buch mit dem Titel: „Das Oktoberfest – Masse, Rausch und Ritual“. Es ist die erste psychosoziologische Studie zum Oktoberfest. Die Autorin greift in ihrer Analyse bis auf Platon zurück und schwupp bin ich bei den alten Griechen und Dionysos, dem Gott des Weines, gelandet. Erfahre, dass nicht Nüchternheit, sondern Trance der Quell der Weisheit im antiken Griechenland war. Wird wohl auch für Bier gelten und bedeutet demnach, dass die Weisheit in den Bierzelten nahezu atemlos-grenzenlos ist.

Tag 4 nach dem Anstich

Mit so viel intellektuellem Background zum Oktoberfest, wende ich mich jetzt dem modischen Aspekt der Wiesn zu, speziell dem Dirndl. Es gilt als das perfekteste Kleidungsstück für jede Frau jeden Alters und völlig unabhängig von der Konfektionsgröße. Es betont (die Brüste) und kaschiert (den Bauch) zugleich. Super, mit Dirndl kann nix schiefgehen. Wenn man weiß, wo die Schleife zu sitzen hat, sonst kann es brenzlig werden. Hinten: verwitwet, vorne mittig: Jungfrau, rechts : vergeben, links: nicht vergeben. Die Entscheidung ist gefallen.

Tag 5 nach dem Anstich

Bin stolze Besitzerin eines Dirndls.  Mein Mann ist begeistert! Das prophezeite mir bereits die Verkäuferin mit dem Satz: „beim Anblick ihres Dekolleté wird ihr Mann ganz wuschig.“

Tag 6 nach dem Anstich

Versuche noch zwei Plätze im Oktoberfest-Partyzug – auch Samba-Zug genannt (warum, erschließt sich mir nicht so ganz) nach München zu kriegen. Laut Werbung ist für 59, 95 Euro zünftige Gaudi an Bord garantiert. Motto: O’zapft is! Feiern bis die Schienen tanzen. Die Züge sind seit Monaten ausgebucht und mein Mann hätte sich eh geweigert.

Im Besitz eines Dirndls, mental vorbereitet, weiß mehr über die Wiesn historisch, philosophisch und psychosozial als so mancher Münchner, habe noch schnell die Wiesn-App mit Foto-Funktion Oktoberfest.de-Logo heruntergeladen, und nu? Nix da Wiesn.

Mein Fazit lautet: Was die Kanadier, Chinesen oder Brasilianer hinkriegen, müsste doch eigentlich auch in Eimsbüttel möglich sein, oder? Beschließe in meinem Oktoberfestwahn ein Wiesn-Festkomitte für Wiesn-Eimsbüttel 2016 zu gründen. Wer ist dabei? Location wüsste ich schon. Im kommenden Jahr wäre es doch eine Riesengaudi auf der Wiese am Kaiser-Friedrich-Ufer „O’Zapft is“ zu hören. Vielleicht kommt ja auch Olaf …