
Freiheit für die Ukraine – Hilfe aus Eimsbüttel
Die Zamikhovskyys aus Odessa sind in Eimsbüttel angekommen. Die Nachbarn geben ihnen ein Gefühl von Heimat und Hoffnung in der Zeit der Verzweiflung.
Von Christian LitzBald, jetzt noch nicht, aber bald: Inna und Slava Zamikhovskyy waren gelähmt als russische Soldaten in die Ukraine eindrangen, Panzer, Raketen, Bomben. Sie saßen erstmal da, hier in Hamburg, hilflos. Sie waren nur verzweifelt. Ausgeliefert.
Dann sprang der Motor an und es ging los mit Telefonieren, Mailen und Organisieren.
Noch ist Mama in der Ukraine
Das mit ihrem neuen Café im Eppendorfer Weg 66, das stellten sie erstmal hinten an und kümmerten sich um das Wichtige: Sein Vater ist inzwischen in Moldawien. Die Tante, der Onkel auch, die Frau, die irgendwie zur Familie gehört und im Rollstuhl sitzt, ebenfalls.
Sie sind vielleicht schon auf dem Weg nach Köln zu Slava Zamikhovskyys Großvater, der dort lebt.
Inna Zamikhovskas Mutter nicht. Für sie organisierten die beiden einen Transport von Odessa nach Polen. Aber am Tag, bevor Innas Mutter in das Auto steigen sollte, beschloss sie, sie will in der Heimat bleiben, es wird schon nicht so schwer werden. Das darf einfach nicht so schlimm werden. Nein!
„Wir fangen wieder bei Null an“
Inna Zamikhovskyys Vater, Tante, Schwester, Cousins und Cousinen, sie sind in Polen und in Sicherheit. Aber ihre Mutter ist in einem Dorf nahe Odessa. Sie konnte ihre Heimat nicht verlassen. Sie konnte einfach nicht. Sie wollte eigentlich, aber sie konnte nicht. Es wird schon nicht so …
Heute, eine Woche später, Samstag, am frühen Morgen, hat Inna Zamikhovska mit ihrer Mutter telefoniert und die sagt, jetzt scheint der Krieg auch nach Odessa zu kommen. Sie höre ihn nachts. Ich habe Angst. Ich will doch weg.
Inna Zamikhovska steht im Eppendorfer Weg, zeigt keinen Ärger. Ihr Mann auch nicht. Der sagt, mit Nicole, seiner 3-jährigen Tochter auf den Schultern: „Wir fangen wieder bei Null an. Es wird schwieriger werden, jetzt einen Transport zu organisieren.“
Im Kopf mischen sich Hilfe und Angst zu Hoffnung
Inna Zamikhovska: „Da, auf der anderen Seite, ist ein Schmuckladen, ich war vorhin drüben, die Frau verkauft Bracelets in den ukrainischen Farben. Sie spendet das Geld.“ Das scheint ihr Hoffnung zu geben, so verrückt das klingt, Mutter im Krieg – aber Menschen hier, die sich sorgen, die helfen wollen: In Innas Kopf mischt sich das zu Hoffnung.
Die beiden können perfekt Deutsch, jedes Wort, formulieren manche Sätze etwas förmlich und haben einen besonderen Akzent. Sie sprechen beide sehr leise, vorsichtig.
„Unglaublich, wie schnell man Krieg akzeptiert“
Slava sagt: „Es ist alles so surreal. Unglaublich, wie schnell man akzeptiert, dass Krieg ist und weitermacht.“ Weitermachen heißt: Sie werden wieder an ihrem Café arbeiten. Es wird Black Hat Coffee heißen.

Sie haben ein Konzept, das fast schon wie ein Traum klingt. Aber wenn sie es erklären … es ist so schwer, bei der Sache zu bleiben.
Propaganda, sagt ihre beste Freundin in Moskau
„Meine beste Freundin, meine allerbeste Freundin, ich kenne sie schon seit immer, sie lebt in Moskau“, sagt Inna. „Sie sagt, sie glaubt das nicht“. Alles sei Propaganda. Die Filme und Fotos mit Leichen und Blut, die sie ihr schickt, kommentiert die beste Freundin mit: „Das sind Schauspieler“.
Die beste Freundin benutzt das Wort „Krieg“ nicht, sie glaubt nichts und sagt, sie verstehe den Grund für den Spezialeinsatz der russischen Soldaten im Nachbarland schon. Sei logisch. Inna will noch mehr sagen. Bleibt aber still. Lange bleibt sie still. „Meine beste Freundin.“
„Hell geröstet“ – „Aroma“ – „nussig“ – Krieg
Die Zamikhovskyys legen jetzt wieder los, mit dem Café. Sie besitzen hier in Hamburg schon länger eine eigene Kaffeefirma, die vor allem bei Firmen für besseren Kaffee im Büro sorgte. Und jetzt eben das Café.
Die beiden können den Coffee-Hip-Talk perfekt, diesen „handgepflückt auf kleinen Plantagen“, „zelebrieren“, „Ruanda“, „nussig“, „hell geröstet“, „Bouquet“, „Aroma“ „Anbauhöhe“ „blend“ – Talk, der in Eimsbüttel dazu gehört.
Hilfe für die Ukraine
Aber immer wieder wird er unterbrochen: „Ein russischer Freund von mir, seit vier Jahren hier in Hamburg, er produziert T-Shirts, er hat eine T-Shirt-Kollektion entworfen und verkauft sie als Ukraine-Spende. Auf dem T-Shirt steht Swoboda.“ „Swoboda“ bedeute Freiheit. Sie hätten viele russische Freunde hier in Hamburg.
Der Schreiner, den sie engagiert hatten, um das Café im ehemaligen Blumenladen Florales herzurichten, er hat ein großes Reihenhaus. Lebte allein, hat jetzt eine ukrainische Familie aufgenommen, fünf Leute.
Zamikhosk-a oder -ky oder -kyy
Heute bringt Slava … ach zuerst noch die einzige Episode mit Humor in dieser Geschichte. Kein verzweifelter, zynischer Humor, sondern ein echter deutscher Witz: In der Ukraine hat der Familienname ein a am Ende, wenn es der der Frau ist. Und ein y, wenn es der des Mannes ist.
Also: Inna Zamikhovska und Slava Zamikhovsky und wenn beide zusammen, dann Zamikhovskys. Die Zamikhovskyys haben ihr zweites y bei einer deutschen Behörde bekommen, wo ein Beamter irgendeine vielleicht richtige altertümliche Übertragung aus dem Ukrainischen ins Deutsche gemacht hat. Vielleicht hat er aber auch nur einen Flüchtigkeitsfehler gemacht. Nun: Die Zamikhovskys heißen in Deutschland Zamikhovskyys.
Willkommen in Eimsbüttel – ernsthaft
Er lächelt und geht los. Die Nachbarläden im Eppendorfer Weg haben angeboten, Black Hat Coffee für sie zu verkaufen, während das Café noch zu ist. Die Zamikhovskyys verkaufen zur Zeit Kaffee online und in elf Eimbütteler Läden. Hundert Prozent des Erlöses an eine Stiftung, die der Ukraine hilft.
Slava geht mit der Kiste voll Kaffee-Schachteln zu Fischköppe, dem Friseur um die Ecke, im Henriettenweg 11. Ferenc Sander stellt die Kaffeepackungen auf einen Tisch, die Kundin mit dem Alu auf dem Kopf legt die Zeitschrift weg und lauscht und lächelt und Ferenc sagt, er kaufe auch eine Packung für sich, er werde gleich mit dem Staubsauger aus seinem Kaffeeautomaten die alten Bohnen raussaugen. Und er sagt zweimal: „Herzlich willkommen.“ Und einmal: „Willkommen in der Nachbarschaft.“ Beim Rausgehen: „Viel Glück.“ Und der Mann, der auf den Haarschnitt wartet und schon auf dem Sessel sitzt mit Latz, sagt auch: „Ja, viel Glück, alles alles Gute Ihnen.“
Feinkost-Talk und Kriegssorgen
Bei allen Geschäftsleuten ist sowas wie Erleichterung zu spüren. Das ist ein psychologischer Effekt: Sie können etwas tun, helfen, ein bisschen nur, aber immerhin, sie können etwas tun und wenn es nur symbolisch ist. Vielleicht hilft es Eimsbüttel mehr, Kaffee für die Ukraine zu verkaufen als der Ukraine.
Kaffee zu Maßstab. Kaffee zu Kolaska Leinen und Keramik in der Osterstraße. Andrzej Kolaska ist Pole. Er sagt auch: „Viel Glück“ und oft Sachen wie „Das darf doch nicht sein“ oder „Die Welt ist verrückt“. Er ist der Einzige in dieser Geschichte, der den Namen Putin erwähnt. Zwei Autos voller Medikamente hat er bereits nach Breslau geschickt für Geflüchtete aus der Ukraine. Kaffee verkaufen gehört da dazu. „Mach ich gerne.“
Zurück, Kaffee-Nachschub holen, auf dem Weg versucht Slava wieder Kaffee-Feinkost-Talk. Die Maschine im Black Hat Coffee ist eine La Marzocco. Aber customized. Das bedeutet, die Besonderheiten, die Slava und Inna von der Maschine wollten, konnte der Hersteller in Italien ihnen nicht geben. Aber der hatte einen Tipp: Die Firma Specht in Australien, die kann die Maschine so verändern wie sie es wollen.
Americano, helfen, ohne Zucker
Der Kaffeeautomat war in Australien? Slava: „Nur die konnten das.“
Sie checken die Temperatur. Ob sie zu kalt ist, jetzt im Augenblick, für die La Marzocco vor ihrem zukünftigen Kaffee im Eppendorfer Weg, wo heute der Testlauf ist. Eine frisch frisierte Frau kommt direkt aus dem Fischköppe. Sie habe gehört und wolle einen Americano, helfen, ohne Zucker, mit Hafermilch.
Ernst sagt der Junge, ihm gehe es gut
Nicole, die kleine Tochter, will mit bei der nächsten Runde Kaffeepackungen austragen. Der 9-jährige, sehr ernsthafte Sohn bleibt im zugeklebten Laden und liest sein Buch weiter. Wie geht es dir eigentlich? Er schaut hoch und ernst sagt er schnell, fast hektisch „gut“. Blick wieder ins Buch. Was liest du? Er hört nicht mehr.
Aber Nicole will mit und nach kurzem Verhandeln sitzt sie auf den Schultern ihres Vaters mit dem kleinen blauen Spielzeugplastikhandwerkskoffer.

Zu Inlignum an der Ecke Osterstraße und Schulweg, Achtung mit dem Kopf im Rahmen der Eingangstür, Nicole! Ole Wulf ist Filterkaffee-Trinker, kauft auch eine Packung für sich, lässt sich die Packungen erklären und lauscht dem Kaffee-Talk.
Er sucht einen schönen Platz für sie und, er wirkt sonst eher etwas kühler, sagt sehr herzlich: „Herzlich willkommen hier“ und anderes.
In den Farben der Ukraine: Luftballons für Nicole
Nicole bekommt bei Nachmacher X Luftballons, viele in blau und gelb, den Ukraine-Farben. Sie freut sich und ihr Vater freut sich noch mehr.
Er sagt: „Ich habe das Gefühl, in einer Gemeinschaft zu sein. So kenne ich das bisher nicht in Deutschland.“ Später lässt Nicole die Luftballonschnüre los und, Drama, die Dinger fliegen davon. Aber sie haben ihre Funktion erfüllt. Slava sagt: „Die Leute hier, sie sind so hilfsbereit.“ Er kam jung nach Deutschland, studierte hier, arbeitete hier, lebte hier, war aber oft in Odessa.
Der Businessplan und die nette Naivität
Er arbeitete bei Amazon und anderen Internet-Firmen, war Consultant. Kann durchaus Business: „Das Florales konnten wir nur mieten, weil wir es so genommen haben, wie es war. Wir machen die ganzen Umbauten.“
Gleichzeitig wirkt er naiv. Er und Inna waren in Othmarschen und haben in dem Haus, das Vitali Klitschko, dem Bürgermeister von Kiew, gehört, ihren kleinen schicken Black-Hat-Coffee-Prospekt in den Briefkasten geworfen. Er bewundere Klitschko.
Ukraine: Odessa sei ihre Heimat, war ihre Heimat
Nach dem Studium ging er nach Odessa zu seinem Vater, wollte feiern, ging in einen Club und da sah er … Es ist eine dieser Geschichten. Sie hätten ein halbes Jahr später geheiratet und sie sei mit ihm nach Deutschland.
Inna lächelt später vor dem zugeklebten Café bei dem Thema. „Ein Jahr später haben wir geheiratet.“ Sie sei im Club gewesen, um zu tanzen. Sie habe eigentlich nicht nach Deutschland gewollt. Odessa sei ihre Heimat. Wobei … das ist alles so schwierig gerade. Sie fühlt sich fremd, sie fühlt sich aufgenommen. Sie ist angekommen, ihr fehlt Odessa.
Irgendwie helfen, irgendwie …
Sie waren kurz gelähmt. Aber jetzt läuft der Motor wieder. Sie wollen Leuten aus der Ukraine helfen. Weil sie eine Firma haben, könnten sie eher Räume mieten als Privatpersonen, glaubt Slava, eine Wohnung für Geflüchtete aus der Ukraine. Sie suchen gerade jemanden für das Café und hätten gerne jemanden aus der Ukraine. Die erste Stellenanzeige hat so jemanden noch nicht gebracht. Sie wollen es weiter versuchen.
Sie wollen, aus Respekt gegenüber den Eimsbüttelern, alle Kunden mit „Sie“ ansprechen. „Wir legen großen Wert auf Service“, sagt Slava. In Osteuropa, also in Russland, Moskau, wo er oft war und in der Ukraine, da sei Service entscheidend, Höflichkeit, Respekt. „Die Leute dort legen mehr Wert auf Service.“ Wirklich? „Ja, das ist der osteuropäische Weg.“ Quatsch. „Doch, das ist dort das Entscheidende.“
Die beiden sprechen leise, vorsichtig
Sie hätten natürlich auch Eimsbüttel analysiert, nach Zielgruppen gesucht. Ihr Fazit: Nachhaltig, Bio, Hafermilch, Müllvermeidung, Pfandbecher, Bioverpackungen, alles Teil des Konzepts von Black Hat Coffee.
Diese Welle der Hilfsbereitschaft sei völlig überraschend gekommen.
Bald, jetzt noch nicht, aber bald, ist Innas Mutter in Sicherheit. Das Café vielleicht auf. So etwas Seltsames wie Normalität da. Das Gefühl der Nachbarschaft noch immer so gut. Die Wärme der Sonne noch stärker.
Der Krieg zu Ende? Die beiden sprechen so leise, so vorsichtig.
Folgende Eimsbütteler Geschäfte unterstütze die Aktion und verkaufen den Black Hat Coffee für Inna und Slava:
Nachmacher x
Inga em. design
Faire Fritzi
Krämerladen
nachhaltique
Fischköppe Friseur
Inlignum
Maßstab
Andrzej Kolaska
Kim‘s Kitchen
Eimsbüttel hilft der Ukraine – Eine Übersicht von Hilfsaktionen: