Wie weit darf Überwachung gehen?
Über die Videoüberwachung im öffentlichen Raum wird viel diskutiert. Vor allem viele private Ladenbesitzer nutzen Kameras – die Rechtsgrundlage ist dabei vielen nicht bewusst: Wo wird beobachtet und wer darf das überhaupt? Eine Bestandsaufnahme.
Von Anna GröhnEin Spaziergang durch die Osterstraße führt vorbei an Apotheken, Imbissbuden und Boutiquen. Der Blick wandert auf das Tischfußballspiel im Sonderangebot eines Dekoladens und weiter auf die frischen Falafel in der Vitrine eines Bistros. An den Geschäften vorbei schlendern einige Passanten, sie blicken durch die Fensterfronten auf die Produkte. Würden sie inne halten und nicht nur durch die, sondern genauer auf die Scheibe blicken, dann hätten sie vermutlich bei vielen Geschäften ein Hinweiszeichen bemerkt: „Vorsicht! Videoüberwachung.“
Zwischen Sticker und Öffnungszeiten klebt eine Überwachungsplakette
Zwischen Yelp-Stickern und Öffnungszeiten findet sich auf fast jeder dieser Fensterfronten ein kleines Bild mit einer Videokamera, mal in signalrot, mal unauffällig in dunkelblau gehalten. Mal mit Aufschrift, mal ohne. Plötzlich fühlt sich die Einkaufstour anders an, als würde sich permanent ein gläsernes Auge auf einen richten.
Und tatsächlich gibt es mittlerweile kaum einen Ort, an dem nicht videoüberwacht wird – nicht nur in Eimsbüttel. Datenschützer beobachten diese Entwicklung höchst kritisch, denn für den einzelnen Bürger kann diese permanente Beobachtung eine Einschränkung der eigenen Freiheitsrechte bedeuten.
„Einem Großteil der Menschen ist überhaupt nicht mehr bewusst, wann er von Kameras beobachtet wird“, sagt Thomas Michel, Landesvorsitzender der Piratenpartei Hamburg. Neben der Videoüberwachung im öffentlichen Raum, würden vor allem private und gewerbliche Anbieter überwachen. Dies gelte etwa für die meisten Ladengeschäfte, Tankstellen oder Einkaufszentren, wie zum Beispiel die Karstadt-Filiale in der Osterstraße. „In den vergangen Jahren gibt es gerade in diesem Bereich eine massive Zunahme der Überwachung“, vermutet Michel.
Geschäfte, die eine Videokamera, hier in einem Teilausschnitt der Osterstraße, installiert haben: Manche sind durch ein Schild gekennzeichnet, manche geben keinen Hinweis auf die Überwachung.
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Apps und günstige Technik machen es möglich
Ein Grund dafür dürfte sein, dass es für viele Ladenbesitzer kostengünstiger ist, Kameras aufzustellen als etwa Sicherheitspersonal einzustellen. Bei großen Elektromärkten bekommt man das passende Equipment schon für knapp 50 Euro. „Die Cam hat vielleicht 20 Euro gekostet, nur die Installation war etwas teurer“, berichtet ein Eimsbütteler Kioskbesitzer. Auch die Überwachungstechnik sei günstig: Dank einer App könne er über sein Smartphone problemlos von überall und zu jeder Zeit auf die Kamera zugreifen.
Inzwischen gibt es etliche kostenlose Apps, mit denen sich Smartphones im Handumdrehen zum Überwachungsinstrument umfunktionieren lassen. Eine App bietet sogar ein Gesichtserkennungsfeature an. „Es gibt so viele Diebstähle“, sagt der Kioskbesitzer, „mit den Programmen kann ich meinen Laden schützen.“
Auch auf Nachfrage bei anderen Geschäften ist die Angst vor Ladendiebstählen der Hauptgrund, um sich ein Videoüberwachungssystem anzuschaffen. Der Bedarf sich zu schützen scheint groß zu sein, gleichzeitig ist die Technik günstig. Rechtlich ist dieser Umstand jedoch äußert problematisch. „Kein Mensch weiß, was mit den Kameras und den Aufnahmen gemacht wird“, sagt Nils Zurawski, Soziologe an der Universität Hamburg mit Forschungsschwerpunkt Überwachung und Kontrolle. „Die Regelungen des Datenschutzgesetzes dafür sind sehr dünn.“ Viele Ladenbesitzer wüssten vermutlich gar nicht, wie die rechtliche Grundlage für eine Videoüberwachung überhaupt aussehe.
„Die Kontrolle jeder Kamera ist enorm schwierig“
Für alle öffentlichen Stellen in Hamburg, wie etwa das Bezirksamt Eimsbüttel, sind die Richtlinien zur Videoüberwachung durch den Paragraphen 30 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes geregelt. Demnach ist eine Videobeobachtung oder
-aufzeichnung nur dann erlaubt, wenn sie zum Schutz von Personen und Sachen oder zur Überwachung von Zugangsberechtigungen erforderlich ist. Grundsätzlich muss dies für die Betroffenen deutlich sichtbar sein, zum Beispiel durch ein entsprechendes Hinweisschild. Zudem muss jede Aufzeichnung spätestens nach einer Woche gelöscht werden. Ähnliches regelt der Paragraph 6b im Bundesdatenschutzgesetz für Privatpersonen und Gewerbebetreibende. Diese Norm umfasst jedoch alles: von der fliegenden Drohne über die Videoüberwachung in Schwimmbädern oder am Arbeitsplatz bis hin zur Beobachtung der Arzneimittelschränke in Apotheken. Unübersichtlich für Laien.
Beim Spaziergang durch die Osterstraße fallen immer wieder Läden mit Videokameras ins Auge, die nicht auf die Überwachung hinweisen – rechtlich also unzulässig. „Wir mussten kürzlich unsere Fensterfront auswechseln“, erklärt der Mitarbeiter eines Elektronikladens. Der erforderliche Hinweis werde bald wieder angebracht. „Ich wusste nicht, dass man so etwas braucht“, sagt eine Mitarbeiterin einer Modeboutique. Beide Mitarbeiter wollen nicht, dass ihr Geschäft namentlich genannt wird. Auch wenn es um das Thema Datensicherung geht, sind sich viele Ladenbesitzer unsicher. „Ich lösche die Aufnahmen alle paar Wochen“, sagt etwa der Eimsbütteler Kioskbesitzer.
„Jeder Betreiber müsste eigentlich jede Kamera umfassend sichern“, sagt Soziologe Zurawski. Dies umfasse auch den Datentransport und die Bereitstellung von Löschvorrichtungen. „Das ist für viele sicherlich viel zu teuer und zu aufwendig“, nimmt er an. Was mit den Aufnahmen letztendlich passiere, liege am Ende in der Hand der privaten Betreiber. Eines stellt Zurawski fest: Wer aufnimmt, speichert gerne lange, manchmal sogar mehrere Monate lang.
Der Hamburger Datenschutzbeauftragte fordert mehr Personal
Verdachtsunabhängige Kontrollen sind zwar erlaubt, finden aber nur selten statt. Zudem gibt es für privat geführte Kameras keine Meldepflicht. „Das heißt aber nicht, dass die Videoüberwachung automatisch rechtmäßig ist, nur weil wir das nicht alles kontrollieren können“, warnt der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar. Es muss einen triftigen Grund geben, um den öffentlichen Raum filmen zu dürfen. Und selbst dann müsse abgewogen werden, ob Persönlichkeitsrechte verletzt würden. Für die Kontrolle der gesamten Videoüberwachung in Hamburg sei jedoch nur eine einzige Mitarbeiterin in Teilzeit zuständig. Jede einzelne Prüfung vor Ort stelle einen Aufwand von drei bis vier Stunden dar. Hinzu kämen gegebenenfalls förmliche Verfahren vor Gericht. „Da kommen wir natürlich nicht ansatzweise hinterher“, so der Datenschutzbeauftragte Casper.
Deswegen ist der erste Weg Kammern und Berufsverbände zu informieren, ihren Mitgliedern allgemeine Informationsbroschüren auszuhändigen sowie Schulungen für Sicherheitsunternehmen anzubieten. Doch auch dafür fehlt es an Personal. Für die Dienststelle wurden deshalb 8,5 neue Arbeitskräfte vom Senat gefordert. „Dieser Mehrbedarf ist erforderlich, um die qualitativ und quantitativ zunehmenden Aufgaben zu erfüllen“, erklärt Caspar. Ob der Hamburgische Datenschutzbeauftragte künftig mehr Personal erhält, ist noch offen.
„Videoüberwachung schützt Menschen nicht vor Übergriffen“
Laut einer Anfrage der Piratenpartei beim Senat Anfang 2015 gibt es in Hamburg circa 16.000 aktive Überwachungskameras im öffentlichen Raum, sagt Thomas Michel von der Piratenpartei. Dazu kommen etwa 1.000 Kameras, die außer Betrieb sind sowie 233 Attrappen. All diese werden von der Verwaltung, wie Polizei und Schulen oder von staatseigenen Unternehmen, darunter fallen Flughafen und die Hochbahn, betrieben. Am Hamburger Flughafen befinden sich zum Beispiel knapp 750 Überwachungskameras. 350 Stück gibt es an Schulen, 30 in Kitas und 20 an der Uni. Hinzu kommen 119 Kameras in Schwimmbädern, 530 in den Wohnblöcken der Genossenschaft SAGA GWG sowie 519 in Parkhäusern und an Parkplätzen. Der größte Anteil an Überwachungskameras befindet sich jedoch im öffentlichen Personennahverkehr: So sind 9.300 Kameras in den Fahrzeugen sowie 2.000 Stück an den Bahnhöfen installiert.
Für die Videoüberwachung in der Bahn und in den Bussen gibt es klare Absprachen zwischen der Hochbahn und dem Hamburgischen Datenschutzbeauftragten. 48 Stunden darf aufgezeichnet werden, dann werden die Videobänder in der Regel überschrieben. Einzig bei Strafanzeigen darf die Polizei innerhalb dieser 48 Stunden Aufnahmen als Beweismittel sichern und vorerst speichern. Für die Passagiere stellen die Kameras oft ein trügerisches Sicherheitsgefühl dar.
„Die Kameraüberwachung schützt Menschen jedoch nicht vor Übergriffen“, sagt Thomas Michel von der Piratenpartei. „Es wird zwar aufgezeichnet, aber im Ernstfall kommt meist keine Hilfe.“ Sicherheit könne man mit Kameras daher nicht herstellen.
Welche Interessen stecken hinter flächendeckender Videoüberwachung?
Anders sieht das die Hamburger Innenbehörde. „Videokameras können einen erheblichen Beitrag leisten, wenn es um kriminalitätsbelastete Orte geht“, sagt Polizeioberrat Hauke Carstensen. Dies gelte sowohl für die Aufklärung von Straftaten als auch um deren Prävention. So habe die Polizei bei vielen Vorfällen, die aufgezeichnet wurden, rechtzeitig eingreifen und somit Straftaten verhindern können. „Diese gefahrenabwehrenden Maßnahmen gehen aber nicht in die Statistik ein“, sagt Carstensen. Auch für den Anstieg von Straftaten trotz Videoüberwachung gebe es eine plausible Erklärung: „Dadurch, dass man beobachtet, klärt man mehr auf und stellt gleichzeitig mehr Straftaten fest.“ Diese würden dann statistisch erfasst werden.
Für den Soziologen Nils Zurawski stellen solche Argumentationen vorangeschobene Gründe dar. Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum habe nur in Teilen etwas mit Verbrechungsbekämpfung zu tun. Vielmehr steckten bürokratische und wirtschaftliche Gründe dahinter: „Die Polizei folgt ihren Interessen – und zwar nach mehr Personal und mehr Geld.“ Nach den Vorfällen in der Silvesternacht habe sich die Polizei in eine Opferrolle versetzt gefühlt. Sie sei unterbesetzt, bräuchte mehr Personalstellen – und Videoüberwachung. Die Politiker wiederum würden mit dem vermehrten Einsatz von Kameras ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren wollen. „Ihnen fällt einfach nichts Besseres ein, als auf immer mehr Videoüberwachung zu pochen“, so Zurawski.
Jedes Smartphone überwacht
Doch die Beobachtung erfolgt nicht ausschließlich durch die Polizei, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder durch einzelne Ladenbesitzer. Es sind die Bürger selbst, die sich permanent beobachten. „Mittlerweile besitzt so gut wie jeder ein Smartphone mit einer Videokamera“, sagt Zurawski. „Durch die voranschreitende Technik nimmt nicht die hierarchische Überwachung enorm zu, sondern vor allem die gegenseitige Beobachtung innerhalb der Gesellschaft.“ Dies sei für ihn datenschutzrechtlich das viel größere Problem.