Volkszählung im Tropenaquarium
Es ist gut 2000 Jahre her, dass ungefähr zu dieser Zeit im fernen Galiläa ein Jeder an seinen Geburtsort gehen musste, um sich schätzen zu lassen, da ein Gebot des Kaisers Augustus ausging. Die Bewohner des Tropenaquariums haben es da ein wenig komfortabler. Der Tierpark Hagenbeck und seine Pfleger führen den alljährlichen großen Zensus als Hausbesuch durch.
Von Moritz GerlachIm Tropenaquarium
Mittagszeit. Das Klima ist schwül. Ich sitze an einem Tisch im Restaurant des Tropenaquariums. Über mir streitet sich eine Gruppe Vögel, neben mir eine Familie aus Süddeutschland. Einen Baum weiter entspannt sich ein Flughund. Kleine Ameisen erobern langsam mein Netbook.
Dazu die tolle Geräuschatmosphäre des Tropenhauses mit Vogelgezwitscher und dem Rauschen eines Wasserfalls. Von Zeit zu Zeit mischt sich der volle Wellenschlag des neugestalteten Schlammspringerbeckens in die Kulisse. Noch beobachte ich wie sich ein Vogel über eine fettige Pommes hermacht.
Er verschwindet mit seiner Beute in den kleinen Stellinger Urwald. Genau der richtige Moment den Vormittag Revue passieren zu lassen.
Pressetermin im Tropenhaus
Um kurz vor zehn Uhr morgens sammelt sich eine bunte Truppe aus Fotografen, lokalen Fernsehteams und Rundfunkjournalisten im Eingang des Tropenaquariums. Der Platz ist eng, die Zeit ist knapp. Man trifft sich zum Messen und Wiegen ausgesuchter Tropenbewohner. Kaum haben sich Kameras und Ausrüstung an die Temperaturen gewöhnt, zieht die Karawane zu ihrer ersten Station.
Die Kattas sind mit Leckereien bereits für den Besuch gefügig gemacht. Auf einer ausgebreiteten Decke warten die ursprünglich aus Madagaskar stammenden Fingeraffen auf ihren Auftritt. Die meisten von ihnen sind Hamburger, hier im Zoo geboren. Kattas essen gern. Ein Grund mehr das Gewicht genauestens zu überprüfen. Da ist es durchaus nützlich, dass die Tiere zwei Mal auf die Waage geschickt werden, um jedem neugierigen Journalisten seine Traumbilder zu ermöglichen.
Die Anweisungen im Kattagehege sind einfach: Kein Kamerablitz, gucken, aber nicht anfassen. Diese Regeln gelten allerdings nur für Menschen. Die wuseligen Tropenbewohner haben keinerlei Distanz zu Technik und Journalismus. Tierpfleger Jörg Walther erklärt derweil die Herausforderung beim Katta-Wiegen. Man muss die Tiere einzeln auf die Waage bekommen, die er dafür extra auf einer Bank aufgestellt hat.
Eine Fransenschildkröte? Matamata
Ein Becken weiter erwartet uns Tierpfleger Florian mit „seiner“ Fransenschildkröte.
Die englische Bezeichnung dieses Reptils, dass sich kaum verändert seit mehr als 12.000 Jahren auf diesem Planeten umtreibt lautet „Matamata“. Mein Handzettel gibt mir den Hinweis, dies sei „indianisch“ für „Ich töte“. Indianisch ist ohnehin eine komische Sprache. Das Ganze kommt mir spanisch vor. Und richtig, Mata(r) ist der Infinitv des spanischen Verbs töten. Matamata. Tötentöten. Oder auch „Er tötet – Er tötet“. Noch habe ich keine Vorstellung, was es damit auf sich hat.
Als Lauerjäger, der seine Beute unter Wasser überrascht, ist die Kröte perfekt getarnt. Die Fransen, genauer gesagt ihre Hautlappen, verschleiern den Kopf perfekt und beherbergen eine ausgeklügelte Sensorik.
Im Moment würde das Männchen aus der Unterordnung der Halswender-Schildkröten wahrscheinlich auf den Trubel, der ihm bevorsteht verzichten. Seine Art bevorzugt das Amazonasbecken und den Orinoco. Hier liegt sie stundenlang regungslos, gern ein wenig eingegraben, am Gewässergrund und wartet auf Beute. Bietet sich ein lohnendes Ziel, schnellt der Kopf nach oben und saugt die Nahrung im Ganzen mit einem großen Schluck wie ein Staubsauger in sich hinein.
Ein entspanntes Leben, das die Tiere nur selten veranlasst das Wasser zu verlassen. Hilfreich ist dabei auch die Schnorchelnase, die das Matamata kurz über die Wasseroberfläche heben kann ohne selbst auftauchen zu müssen.
Doch es hilft alles nichts. Der südamerikanische Meister der Tarnung wird mit einem gekonnten Griff von Pfleger Florian aus dem Becken gewuchtet. Die Schildkröte protestiert. Blitzschnell schießt der Kopf unter dem Panzer hervor und ein breites Maul öffnet sich furchteinflößend. Die Fotografen sind entzückt.
Unterstützt wird die Drohgebärde durch einen langen dunkelroten Hals, den die Kröte sonst gut verborgen hält. Diese Geste kann gar nichts anderes bedeuten als „töten“. Wenn denn die Möglichkeit da wäre. Denn auf Florian und seine Kollegin hat dies nur eine begrenzte Wirkung. Sie wissen mit dem Tier umzugehen.
Richtig angefasst kann das Reptil gefahrlos bewegt werden und landet in einer grauen Plastikkiste auf der herangeschafften Waage: Mehr als acht Kilogramm. Das ist gut. Eine deutliche Gewichtszunahme. Der Mitbewohner des Matamata, ein Krokodilteju kann die Presseshow hingegen gar nicht abwarten und schleicht sich vorauseilend zur Waage. Um nicht von seinem Nachbarn geschnappt zu werden, muss er durch die Pfleger ein wenig auf Abstand gehalten werden bis er an der Reihe ist. Er hat leicht abgenommen. Alles ist in bester Ordnung.
Ortstermin im Korallenriff beim pazifischen Segelflosssendoktorfisch
Die Doktorfische bleiben zurückhaltender und sind mit sich selbst beschäftigt. Partnersuche, Revierkämpfe und die Abwehr von Fressfeinden stellen große Anforderungen an die kleinen Meeresbewohner. Sie verfügen dafür über eine paar scharfe, lange Dornen. In der bildlichen Sprache Ihrer Namensgeber Skalpelle.
Ihnen verdanken die Tiere den Namen Doktorfische (Englisch Surgeonfish). Wollen sie einander beeindrucken können sie sich nach oben und unten aufplustern. Das macht sie ein bisschen größer. Bis zu 40 cm messen vereinzelte Exemplare. Tierpflegerin Christin muss nur die pazifische Variante zählen. Sie kommt am Ende auf neun Exemplare. Glück gehabt, denn die anderen Arten sind deutlich häufiger im Becken vertreten.
Großreinschiff im Hai-Atoll
Vor dem 14 Meter hohen Panoramaglas des großen Hai-Atoll hält die Pressedelegation auf ihrer letzten Station inne. Warten auf die Putzkolonne. Eine zusätzliche Beleuchtung oberhalb der Wasseroberfläche verbessert die Chance auf gute Bilder. Die Fische merkten am Licht, dass etwas passieren werde, erzählt mir eine Besucherin. Ich merke keinen Unterschied. Doch da sind sie auch schon. Ausgestattet mit Sauerstoffgerät und Putzlappen erscheinen zwei Taucher auf der Bildfläche. Die menschlichen Eindringlinge werden skeptisch aufgenommen, aber weitestgehend ignoriert.
Die Bläschen aus den Pressluftflaschen machen allerdings einen Leopardenhai neugierig. Immer wieder durchschwimmt der für Menschen ungefährliche Meeresjäger (zu seiner Beute zählen mehrheitlich Würmer) die Luftsäule. Die Schule Goldmakrelen interessiert dies überhaupt nicht. Sie ziehen im geschlossenen Verband stoisch ihre Bahnen. Zu fünfzehnt, wie die Zählung ergibt. Auch die Routine der übrigen 500 Bewohner des Aquariums steht in einem schönen Kontrast zur emsigen Betriebsamkeit der Fotografen, Kamera- und Tonleute. Der Trubel lässt sie kalt, sofern dies die Beckentemperatur von angenehmen 24 Grad zulässt.
Ich begebe mich in Richtung Ausgang.