
Meistermeile Offakamp: Nach oben ist noch Luft
In Eimsbüttel ist es eng, das spürt auch das Handwerk. In der „Meistermeile“ in Lokstedt geht es deswegen nach oben.
Von Julia HaasAm Ende des Gangs leuchtet Licht, es sind die Scheinwerfer eines E-Autos. Langsam rollt es durch das zweite Stockwerk. Kai Elmendorf, der Mann am Lenkrad, betreibt die Kornbrennerei am Ende des Gangs. Von der Straße in den Aufzug zum Betrieb – kein Problem für ihn.
Gestapeltes Handwerk in der Meistermeile
In der Meistermeile in Lokstedt geht es nach oben, weil es unten zu eng wird. Das Gebäude am Offakamp zeigt, wie gestapeltes Handwerk funktioniert. Wie sich die Vertikale nutzen lässt, wenn die Horizontale nicht mehr ausreicht. Die Meistermeile gehört zu den bundesweiten Pilotprojekten, wenn es um die Zukunft von Handwerkshöfen geht.

Ein Gewerbe in der Krise
Auch am Handwerk geht die Krise nicht vorbei. Zweimal im Quartal befragt die Hamburger Handwerkskammer die Handwerkerinnen und Handwerker zur aktuellen Geschäftslage. Im Frühjahr 2025 schätzten die Handwerksbetriebe diese schlechter ein als noch im Herbst. 18 Prozent sprachen von einer ausgesprochen schlechten Lage. Umsätze sinken, Aufträge stagnieren. Das Handwerk kämpft mit Kosten, die steigen, Auflagen, die hemmen, und Fachkräften, die fehlen – aber auch mit Flächen, die schwinden.
In Eimsbüttel wird es für viele Handwerksbetriebe eng. Hinterhöfe werden bebaut, Hallen abgerissen – Handwerksflächen entwickeln sich zur Mangelware. Was übrig bleibt, kostet mehr, als viele erwirtschaften. Die Handwerkskammer Hamburg spricht von einem Verdrängungseffekt in den Quartierszentren.
Der Beginn einer Lösung von Höhe
Anfang der 2010er Jahre begannen die Stadt Hamburg und die Handwerkskammer Hamburg, Lösungen zu formulieren, um den Betrieben in der Stadt Platz zu schaffen. In einem Masterplan Handwerk 2020 erarbeiteten Kammer und Senat Maßnahmen für neue, moderne und zentral gelegene Gewerbehöfe. Inspiration fanden sie südlich der Elbe. In München wurden bereits Jahre zuvor die ersten Gewerbehöfe in die Höhe gebaut.
Der Bau des größten mehrgeschossigen Handwerkerhofs in Norddeutschland begann im Mai 2017. Auf vier Etagen sollte in Lokstedt Platz für etwa 100 Handwerks- und Produktionsbetriebe entstehen. „Handwerkerhöfe sind ein Weg raus aus der Standortkrise in hochverdichteten Quartieren wie im Kerngebiet Eimsbüttel“, sagt Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg.
Bernd Goldenbaum betreibt seit 2001 die Glaserei Ziegert. Er hatte nicht lange gezögert, als sein damaliger Chef fragte, ob er übernehmen möchte. Es hat sich richtig angefühlt. Fast zwei Jahrzehnte führte er das Unternehmen in einer Halle in Osdorf – bis diese verkauft wurde. Goldenbaum erhielt das Vorkaufsrecht. „Aber die Summe war utopisch“, sagt er und schüttelt den Kopf. Er lehnte ab und begann nach einem Standort zu suchen, der Zukunft versprach.
Die Suche endete am Offakamp
Am Offakamp wurde er fündig: 185 Quadratmeter im Erdgeschoss, weitere 100 Quadratmeter als Lagerfläche im Keller. Die Wände sind knapp zwei Meter höher als an seinem vorherigen Standort – für seine Schleifmaschine der optimale Zuwachs. Spiegel oder Tischplatten, die mehr als zwei Meter fassen, zu bearbeiten und zu schleifen, ist möglich geworden. Früher hätte er für solche Maße externe Zulieferer gebraucht.
In der Meistermeile ging es von Anfang an darum, die notwendigen Rahmenbedingungen für Handwerksbetriebe mitzudenken, sagt Henrik Strate, Standortberater bei der Handwerkskammer Hamburg. Er hat die Vermarktung der Flächen betreut. Ein entscheidender Punkt sei gewesen, die Handwerker von den oberen Etagen zu überzeugen.
Mieten in der Meistermeile
Die Mietpreise in der Meistermeile variieren nach Stockwerk. Prinzipiell gilt: Je höher, desto günstiger. Auch das soll ein Anreiz sein, in die oberen Etagen zu ziehen. Dank der Deckenbelastbarkeit von bis zu 1.000 Kilogramm pro Quadratmeter ist das rein statisch gesehen auch für Betriebe mit schwerem Gerät möglich.
Aktuell liegen die Mietpreise im Erdgeschoss bei durchschnittlich 10,20 Euro pro Quadratmeter. Seit 2019 entspricht das einer Steigerung von einem Euro. Die geringen Anfangsmieten ermöglichten die städtischen Zuschüsse. Mit den aktuellen Mieten liege die Meistermeile weiterhin in einem moderaten Bereich, heißt es von der Handwerkskammer Hamburg. Mancherorts liegen die Quadratmeterpreise für Gewerbeflächen bei bis zu 18 Euro.
Mit dem Aufzug in die Höhe
Besonders wichtig dabei: der Weg nach oben, die Aufzüge. In der Meistermeile gibt es vier Lastenaufzüge, sie können bis zu 11 Tonnen tragen. Kein Ruckeln, kein Springen, kein Fallen. Der Aufzug funktioniert hydraulisch – das bedeutet, Start und Stopp verlaufen ruhiger und gleichmäßiger als bei Seilaufzügen. Ideal für fragile Fracht und Werkzeuge. Oder E-Autos, die in den zweiten Stock müssen.
Das Manko: Das sanfte Auf und Ab kostet Zeit. Arbeitszeit, sagt Strate. Betriebe, die große Mengen umsetzen, könne das abschrecken. Für künftige Handwerkerhöfe, die in die Höhe gehen, habe man daraus gelernt, eher die Traglast etwas zu reduzieren und die Geschwindigkeit dafür zu erhöhen.
Hand in Hand in der Meistermeile
Frank Hüllmann und Henning Baalmann betrifft das nicht. Sie mieten für ihren Heizungs- und Sanitärbetrieb eine Fläche im Erdgeschoss – mit Hochregalen, Bürobereich und Dartscheibe. Früher haben sie in einem Betrieb in Niendorf gearbeitet, 2019 entschieden sie, sich selbstständig zu machen, und gründeten das Elbhandwerk.
Ein Betrieb, mit dem sie es anders machen wollen als viele in der Branche – Teamgeist statt Einzelkampf. Von einer großen Familie zu sprechen, sei übertrieben, sagen sie, aber von einer Gemeinschaft. „Wer bei uns arbeitet, soll nicht nur Monteur oder Monteurin sein, sondern ein großer Teil vom Ganzen“, sagt Hüllmann. Es ist eine Philosophie, mit der sie in der Meistermeile Anklang finden.

Bei der Handwerkskammer spricht man von einem „Hand-in-Hand-Haus“. Der Maler empfiehlt Kunden bei Bedarf den Heizungstechniker von nebenan oder den Elektriker ein Stockwerk höher. Vom Anbieter-Mix profitieren die Kunden – und die Betriebe, sagt Strate. Wie sehr jeder Einzelne das für sich nutzt, liegt in seiner Hand.
Hüllmann und Baalmann strecken ihre Arme aus. Am Anfang hätten sie hier keinen anderen Betrieb gekannt, mittlerweile arbeiten sie mit mehr als 20 zusammen – auch mit der Konkurrenz. So kommt es vor, dass die benachbarte Heizungsfirma den Notdienst übernimmt, wenn im Elbhandwerk die Weihnachtsfeier ansteht.
Handwerk braucht Raum
An Teamplayern fehlt es in der Meistermeile nicht – vielleicht aber an dem ein oder anderen Parkplatz, sagen die Elbhandwerk-Gründer und grinsen. Zwei Stellplätze stehen jeder Einheit zu. Manche bräuchten mehr, andere weniger. Im Schnitt würde es aufgehen, heißt es von der Handwerkskammer. Aber ein Pilotprojekt sei auch da, um daraus zu lernen – auch die Parkplatzsituation betreffend.
Denn das soll die Meistermeile sein: ein Anfang, der zeigt, was geht – und wo Potenziale liegen. Aus dem Hamburger Gewerbehofkonzept geht hervor, dass weitere Projekte folgen sollen – sowohl privat als auch städtisch. Elf Gewerbehöfe befinden sich demnach in Planung, elf weitere Flächen hätten das Potenzial für künftige Vorhaben, etwa an der Vogt-Kölln-Straße in Stellingen.
Der Präsident der Handwerkskammer Hamburg sagt: „Damit das Handwerk auch in Zukunft noch seinen Platz in der Stadt findet, muss der Senat seine Strategie zur Entwicklung neuer Gewerbehof-Standorte jetzt zügig umsetzen.“ Denn klar sei: Hamburg braucht Handwerk. Und Handwerk braucht Raum.
Wer steht hinter der Meistermeile?
Die Behörde für Wirtschaft und Innovation steuerte das Projekt „Meistermeile”. Die Immobiliengesellschaft der Stadt Hamburg, Sprinkenhof, entwickelte und betreibt sie. Für die Vermarktung war die Handwerkskammer Hamburg bis zur vollen Vermietung aller Flächen zuständig. Diese wurde drei Jahre nach Inbetriebnahme erreicht und lag damit im gesetzten Zielrahmen.

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