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Diko Yazdeen und sein Bruder Thamir haben ihren Weg in den Eimsbütteler Altbau gefunden. Foto: Marcus Gundelach
Diko Yazdeen und sein Bruder Thamir haben ihren Weg in den Eimsbütteler Altbau gefunden. Foto: Marcus Gundelach
Magazin #19

Angekommen: Aus dem Irak in den Eimsbütteler Altbau

Die Brüder Diko und Thamir Yazdeen sind aus dem Irak vor dem Islamischen Staat geflohen. In Hamburg finden sie nur schwer eine Wohnung – bis die Stiftung „Wohnbrücke” und eine Eimsbütteler Vermieterin helfen. Eine Geschichte vom Ankommen.

Von Alana Tongers

Es gibt Zufälle, die verändern ein ganzes Leben. Der Zufall, der das Leben von Diko und Thamir Yazdeen in eine neue Richtung lenkt, kommt in Form einer Postkarte. Eine dieser Werbepostkarten, die in Ständern oder Auslagen darauf warten, mitgenommen zu werden. „Haben Sie den Schlüssel zu einem Zuhause?”, fragt die Karte. „Wir helfen Ihnen beim Vermieten an geflüchtete Menschen.”

Der Text hat Saskia Samariter neugierig gemacht. Seit einigen Jahren vermietet sie ihre kleine Dachgeschosswohnung in der Nähe der Osterstraße. Denen helfen, die es sonst auf dem Wohnungsmarkt schwer haben? Die Idee gefällt ihr. Wie es der Zufall will, zieht ihre bisherige Mieterin wenig später aus – und Samariter erinnert sich an die Karte.

Viel Nachfrage – wenig Wohnraum

Hinter der Postkarte steckt die Eimsbütteler Stiftung Wohnbrücke mit Sitz in der Amandastraße. Ihr Ziel: Geflüchtete aus der Wohnunterkunft in eine Wohnung vermitteln. Das Projekt entsteht 2015 aus einem ehrenamtlich initiierten Runden Tisch. Es ist das Jahr der sogenannten Flüchtlingskrise. Das Jahr, in dem täglich Geflüchtete am Hamburger Hauptbahnhof ankommen, das ganze Leben in wenigen Taschen verpackt. Das Jahr ist aber auch geprägt von der Hilfsbereitschaft vieler Hamburger, die mit anpacken.

„Damals haben sich viele private Vermieter gemeldet, die ihre Wohnung Geflüchteten zur Verfügung stellen wollten”, erzählt Sven Sieg, der seit 2017 für die Wohnbrücke arbeitet. Eine Anlaufstelle für private Wohnungsangebote fehlte. Seitdem ergänzt die Wohnbrücke das Vermittlungsangebot der Stadt. Ehrenamtliche Wohnungs-Lotsen unterstützen das Projekt. Sie erklären den Geflüchteten zum Beispiel das Miet- und Sozialrecht oder helfen bei Bewerbungen. Eben die Dinge, „vor denen man erstmal zurückschreckt”.

Wenn sich Vermieter wie Saskia Samariter bei der Wohnbrücke melden, macht sich Sven Sieg vor Ort ein Bild von den Räumlichkeiten. Dann sucht er unter den vielen Wohnungssuchenden diejenigen aus, für die die Wohnung infrage kommt. Die ausgewählten Haushalte lernen die Vermieter dann bei einer gemeinsamen Besichtigung kennen.

So haben auch Diko Yazdeen und sein Bruder Thamir ihren Weg in den Eimsbütteler Altbau gefunden. Am Anfang waren beide etwas schüchtern, erzählt die Vermieterin. Sie führt sie durch die Räume, in denen sie selbst viele Jahre gewohnt hat. Zeigt den Brüdern das kleine Badezimmer, die Wohnküche, die zwei Schlafzimmer. Kurz wundert sie sich, dass sich beide so über den Platz freuen – ist die Wohnung doch vergleichsweise klein. Dann erzählen die Brüder: Vor zweieinhalb Jahren flohen sie aus dem Irak. Sie sind jesidische Kurden, werden in ihrer Heimat vom Islamischen Staat verfolgt. In Hamburg leben sie lange in einer Container-Unterkunft in der Hafencity. „Wir waren sechs Leute im Container, und weil es sehr eng war, war das Zusammenleben oft schwierig”, erzählt der 25-jährige Diko Yazdeen. Seit sie in Deutschland sind, teilen sie sich ein Zimmer. Ein eigener Rückzugsort war für sie bisher unvorstellbar.

Den Kreislauf durchbrechen

Die Besichtigung gibt den Brüdern und Saskia Samariter Raum, sich persönlich kennenzulernen. Bei einer regulären Vermietung muss Samariter immer auf das Einkommen der neuen Mieter achten. Im Fall von Diko und Thamir Yazdeen übernimmt das Amt die Miete – zumindest bis das erste eigene Gehalt da ist. Deswegen kann sie sich ganz auf das Zwischenmenschliche konzentrieren. Samariter kommt mit den beiden Brüdern ins Gespräch, sie verstehen sich gut. „In dem Moment war es mir egal, ob das Geflüchtete sind oder nicht”, erinnert sie sich an die Besichtigung. Sie seien ihr einfach sympathisch gewesen. „Man hat gemerkt: Die wollen wirklich gerne hier bleiben.” Die Brüder wünschen sich vor allem eines – endlich irgendwo ankommen.

Wie schwer die Wohnungssuche in Hamburg ist, weiß auch Samariter. Selbst als kleine Familie mit normalem Einkommen haben sie und ihr Freund lange nach einer größeren Wohnung gesucht. Für Geflüchtete stellen sich noch weitaus mehr Hürden, sagt Sieg. Es sei ein Kreislauf, ein Strudel aus sich wiederholenden Schwierigkeiten: Viele Vermieter geben ihre Wohnungen vorzugsweise an Personen in festen Arbeitsverhältnissen, einen Job gibt es jedoch nicht ohne Deutschkenntnisse, und Deutsch lernen in einer großen, lauten Unterkunft ohne eigenes Zimmer, das sei auch sehr schwierig.

Eigentlich sollte die Herkunft bei der Wohnungssuche keine Rolle spielen. Viel zu oft tut sie es doch, wie eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt: 83 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass rassistische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt eher häufig vorkommt. „Oft reicht schon ein fremd klingender Name aus, um gar nicht erst zur Wohnungsbesichtigung eingeladen zu werden”, so Bernhard Franke, kommissarischer Leiter der Bundesbehörde. Das spiegelt sich auch an anderer Stelle wider: 41 Prozent der Befragten sorgt die Vorstellung, an eine eingewanderte Person zu vermieten.

»Vieles im Leben schafft man nur, wenn man einen Rückzugsort hat«

Das spüren sie auch bei der Wohnbrücke. War das Engagement zu Beginn der Flüchtlingskrise noch außergewöhnlich hoch, hat es sich mittlerweile „normalisiert”, drückt Sieg es diplomatisch aus. Zwar sind bei der Wohnbrücke noch immer über 400 geflüchtete Haushalte registriert, die nach einer Wohnung suchen – es melden sich aber deutlich weniger hilfsbereite Vermieter als noch vor fünf Jahren. Das Thema Geflüchtete habe mittlerweile eine politische Färbung. Ihre Hilfebedürftigkeit stehe nicht mehr so sehr im Vordergrund, vermutet Sieg.

Dabei ist die eigene Wohnung so wichtig für die Integration. Sie verleiht Selbstbewusstsein, wird zum Ort für Begegnungen, die es in einer Wohnunterkunft nicht gibt. Sie ist der Startpunkt, um ein neues Leben aufzubauen. Bei der Wohnbrücke folgen sie deswegen dem Leitsatz: Weil aller Anfang Wohnung ist. „Vieles im Leben schafft man nur, wenn man einen Rückzugsort hat”, erklärt Sieg. Erst die Wohnung, dann alles andere. Wenn eine Besichtigung funktioniert, sich Vermieter und Geflüchtete gut verstehen, sei das ein besonderer Moment. Auch bei Samariter und den Brüdern Yazdeen war das ein solcher Moment. Das Gefühl: Die entscheiden sich füreinander.

„In Eimsbüttel zu wohnen ist ein Traum”

Im April war er endlich da, der große Umzug. Am ersten Tag in der Wohnung haben sie erstmal gründlich geputzt, erinnert sich Diko Yazdeen. „Das war ein schönes Gefühl.” An viele Dinge müssen sie sich noch gewöhnen. Im Irak haben sie mit ihrer Familie zusammen gewohnt – jetzt sind sie zu zweit. Um das Ankommen in der Wohnung zu erleichtern, begleiten die Wohnungs-Lotsen und die Wohnbrücke sie auch nach dem Einzug weiter und klären über kulturelle Unterschiede auf. Denn: „Wohnen ist auf der ganzen Welt unterschiedlich”, so Sieg. Die Lotsen zeigen, wie man im verregneten Hamburg richtig heizt und lüftet oder sich bei den Nachbarn vorstellt.

Diko und Thamir Yazdeen kommen Stück für Stück in ihrem neuen Zuhause an. Mittlerweile haben sie ihre Wohnung mit Spenden eingerichtet, fühlen sich auch ohne Familie wohl.

„In Eimsbüttel zu wohnen ist ein Traum”, sagt Diko Yazdeen. Besonders gut gefalle ihm ihre schöne Wohngegend und die vielen Geschäfte in der Nähe der Osterstraße. Er hat sich bereits beim ETV angemeldet, macht dort viel Sport. In den nächsten Wochen wollen sie den Stadtteil noch mehr erkunden, die neue Umgebung besser kennenlernen. Im August macht Diko Yazdeen den nächsten wichtigen Schritt: Dann startet er seine Ausbildung als Altenpfleger. Ganz in der Nähe des neuen Zuhauses.

Im Irak haben Diko und Thamir Yazdeen mit ihrer Familie zusammen gewohnt – jetzt sind sie zu zweit. Foto: Privat

Wohnbrücke

Die Wohnbrücke Hamburg gibt es seit 2015. Sie ist eine Initiative der Lawaetz-Stiftung, die sich seit 25 Jahren in der sozialen Wohnungsvermittlung engagiert. Seit ihrem Bestehen konnte die Wohnbrücke circa 650 Haushalte bei Umzügen unterstützen – bei rund der Hälfte davon hat die Initiative direkt eine Wohnung vermittelt. Für 34 geflüchtete Haushalte haben die Helfer eine Wohnung in Eimsbüttel gefunden.

Amandastraße 60 | Tel. 040 466 55 14 33 | www.wohnbruecke-lawaetz.de

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