Autolos und glücklich
Wie ist es, wenn man jahrelang ein Auto hatte und dann nicht mehr? Zwei Familien aus Eimsbüttel erzählen von ihrer ganz persönlichen Verkehrswende.
Von Christiane TauerDer große Lavendel steht im vorderen Korb am Lenker, und die kleinen Pflanzen füllen die hintere Tasche – passt! Sonja Hesselmann war heute im Gartencenter. Ohne Auto, nur mit dem Fahrrad. Für sie kein Problem. Die Zeiten, in denen sie für solche Touren den Motor ihres alten Mercedes anschmiss, um die Einkäufe in den Kofferraum zu packen – sie scheinen ewig her zu sein.
Dabei liegt der Moment erst ein Jahr zurück, als der Arbeiter in der Autowerkstatt zu ihr sagte: „Das lohnt nicht mehr.” 28 Jahre alt war der Kombi und die Lenkung hinüber. „Ich war immer eine begeisterte Autofahrerin”, sagt die Eimsbüttelerin. Aufgewachsen auf dem Land, gehörte ein Auto für sie einfach dazu. Der Führerschein mit 18 – Freiheit pur. Bei ihrem Mann Karlheinz Leonardi war es ähnlich.
Parkplatzsuche schon immer nervig
Aber viel Geld in die Reparatur des alten Wagens zu stecken, kam für die Familie nicht infrage. Ein neues Auto zu kaufen irgendwie auch nicht. Also was tun? Hesselmann und Leonardi fragten sich: Wie oft haben wir das Auto in den vergangenen Jahren tatsächlich gebraucht? Die Bilanz fiel ehrlich aus und verwandelte den Schrecken über das kaputte Auto in eine realistische Betrachtung: Wir haben unser Auto in Hamburg kaum noch genutzt.
„Als unsere Kinder klein waren, war das anders”, erinnert sich Hesselmann. Sie fuhren anfangs mit dem Auto zu Babykursen nach Altona, und später, als die Kinder größer waren, brachten sie sie zum Sport. Wirklich entspannt waren diese Fahrten nicht, die Parkplatzsuche schon damals nervig.
Einmal hatten sie eine Babysitterin, um ins Kino zu gehen. Wieder zurück, brachte Leonardi die Babysitterin nach Hause, die Fahrt dauerte hin und zurück zehn Minuten. Aber er musste in Eimsbüttel mindestens eine halbe Stunde einen Parkplatz suchen und dann einen langen Weg zur Wohnung zurücklegen. Am Ende war er eine Stunde unterwegs. „Das stand in keinem Verhältnis zum Kinobesuch.” Danach riefen sie der Babysitterin immer ein Taxi.
Familie vermisst Auto nicht
Heute sagt die Familie: Ohne Auto vermissen wir nichts. Zur Arbeit fährt Hesselmann mit dem Fahrrad, Leonardi geht zu Fuß, Sohn Mads (16) nutzt ebenfalls das Rad, während Tochter Amelie (22) Hamburg fürs Studium verlassen hat. Die Einkäufe erledigen sie an der Osterstraße, meist auf dem Rückweg von der Arbeit, und seinen Schachverein erreicht Leonardi problemlos mit dem Rad.
Eine Sache wundert die Familie im Rückblick besonders: „Wir haben in dem Jahr ohne eigenes Auto nur vier Mal eines geliehen”, sagt Hesselmann. Dabei war der Leihwagen für sie der Rettungsanker, als sie plötzlich autolos wurden: Sie wollte die Möglichkeit haben, einfach mal über die Autobahn zu brettern, wenn ihr danach ist. „Seltsamerweise habe ich dieses Bedürfnis nie gehabt.”
Bei vielen steht das Auto mehr
Tina H. auch nicht. Und das seit mittlerweile acht Jahren. So lange lebt ihre Familie schon ohne Auto nahe des Weidenstiegs. Bei ihnen war es ebenfalls eine anstehende Reparatur, die den Anstoß zu einer Neubewertung ihres Alltags gab. Sie stellten fest, dass sie ihr Fahrzeug kaum noch nutzten, also warum Geld investieren? „Wir haben oft gar nicht mehr gewusst, wo wir das Auto geparkt hatten”, erzählt Tina H.
Ein Phänomen, das wohl bei vielen Eimsbütteler Autobesitzern zu beobachten ist. In ihrem Bekanntenkreis hätten etwa 70 Prozent der Haushalte ein Auto, sagt sie. „Aber bei vielen steht es fast nur rum.” Entsprechend sagen sie: Wir haben zwar noch ein Auto, aber wenn die nächste größere Reparatur ansteht, kommt es weg. Das Auto – ein Auslaufmodell.
Autolos: Zur Not mit dem Leih-Lastenrad
Tina H. und ihr Sohn Gustav erledigen die Hälfte ihrer Alltagsfahrten mit dem Rad, die andere Hälfte mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Bei ihrem Mann ist das Verhältnis etwa 30 zu 70. Sie vermissen das Auto nicht, und doch gibt es immer wieder Situationen, in denen die Familie froh wäre, mal kurz eins zu haben. „Fahrten zum Baumarkt oder zur Ostsee sind schwieriger als früher”, gibt Tina H. zu. Oder Fahrten zum Altkleidercontainer, obwohl er ganz in der Nähe ist. Einmal musste sie zehnmal mit dem Rad hin und her fahren, um alle Säcke wegzubringen.
Doch diese Situationen kommen selten vor, und dann akzeptieren sie sie einfach. Oder helfen sich beispielsweise mit einem Leih-Lastenrad. Nur wenn es gar nicht anders geht, mieten sie einen Leihwagen, etwa für Urlaubsfahrten. Carsharing haben sie noch nie gemacht. „Das müsste meiner Meinung nach noch etwas günstiger werden.” Durch staatliche Förderungen zum Beispiel.
Radwege: „Ideal ist es noch nicht“
Sohn Gustav liebt das Fahrradfahren ganz besonders. Der Grundschüler fährt Rennrad im Verein. Lange Strecken sind für ihn kein Problem, einmal legte er 55 Kilometer zurück. Wohl auch deshalb war es für die Familie nie eine Alternative, ein eigenes Lastenrad zum Kindertransport anzuschaffen. Das Kind fährt selbst.
Dennoch sagt Tina H.: „Auf der Osterstraße könnte der Radweg noch etwas sicherer sein.” Dass Fahrradfahrer mit auf der Straße fahren müssen, findet sie ziemlich gefährlich. Gut findet sie hingegen das abgeschliffene Kopfsteinpflaster im Weidenstieg, das das Radfahren angenehmer macht. In Hamburg sei zwar in den letzten Jahren viel passiert, um die Verkehrswende voranzutreiben, findet sie. „Aber ideal ist es noch nicht.”
Autos in Eimsbüttel
Laut Statistikamt Nord ist die Zahl der privaten Pkw im Stadtteil Eimsbüttel seit 2021 leicht rückläufig. Hamburgweit zeichnet sich ein anderer Trend ab – 2019 waren in Hamburg laut Statistikamt Nord 794.618 PKW gemeldet, 2023 waren es 813.847.
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