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Imogen Kogge und Ulli Maier als ungleiches Schwesternpaar Dene und Ritter. Foto: Theresa Schulte
Imogen Kogge und Ulli Maier als ungleiches Schwesternpaar Dene und Ritter. Foto: Theresa Schulte
Hamburger Kammerspiele

Die Familie sucht man sich nicht aus

Jasper Brandis inszeniert „Ritter, Dene, Voss“ von Thomas Bernhard in den Kammerspielen. Vor nahezu ausverkauftem Haus zeigen Markus Boysen, Imogen Kogge und Ulli Maier das Beziehungsgefüge eines sozial verkommenem, isolierten Geschwistertrios. Eine gelungene Vorstellung mit exzellenter Besetzung.

Von Theresa Schulte

Die Premiere von Ritter, Dene, Voss in den Kammerspielen beginnt am 22. Mai pünktlich um 19 Uhr mit einer unaufgeregten, in der Rolle sicher wirkenden Ulli Maier, die als jüngere Schwester Ritter auftritt und in dieser ersten Vorstellung besonders mimisch brilliert. Gemeinsam mit Imogen Kogge schafft sie im ersten Akt das Bild zweier gegensätzlicher Schwestern, die sich nur in Einem gleichen: der Hassliebe zum heimkehrenden Bruder Ludwig, gespielt von Markus Boysen. Dieser gibt ab dem zweiten Akt glaubhaft und leidenschaftlich den cholerisch-desorientierten, seit Jahrzehnten in der bekannten Irrenanstalt Steinhof wohnhaften Philosophen, der seine Schwestern ebenso verabscheut wie Ärzte, Künstler, seine Eltern und das Haus, in das er zum wiederholten Male zurückgebracht wird. Dene, wunderbar neurotisch und übereifrig dargestellt von Kogge, sucht die Anerkennung des Bruders, indem sie ihm devot alles bereitstellt, was er ihrer Ansicht nach braucht: Von dem „richtigen“ Schreibpapier für seine philosophischen Abhandlungen über das korrekt temperierte Badewasser hin zu groben Baumwollunterhosen, die er noch im Esszimmer auszuziehen versucht.

Ein unerträgliches Miteinander

Alle drei Geschwister leiden unter dissozialen Persönlichkeitsstörungen, die sie auf fast inzestuöse, schreckliche Weise aneinander binden: Ritter fehlt das Verantwortungsgefühl, sie ist abhängig von ihrer Schwester und kann dem immer gleichen Alltagstrott trotz vieler Anläufe nicht entfliehen. In kindlicher, provokanter Manier sucht sie die Bestätigung des Bruders und nutzt dabei schamlos jede Gelegenheit, die ältere Schwester auszustechen – zuletzt, indem sie den völlig verwirrten Bruder zum Kuss verführt.

Aus Dene spricht die Angst vor Veränderungen, ebenso wie die Angst vor Fehltritten. Ihre zwanghaften Verhaltensmuster lassen vermuten, dass die Wutausbrüche des Bruders eher ein Resultat der Nervosität sind, die seine Schwester laufend auf ihn überträgt. Beide Schwestern sind unfähig, sich von den Bräuchen und Vorgaben der Familie zu lösen. Keine der beiden hat es geschafft, ein eigenständiges Leben aufzubauen. Wie selbstverständlich haben sie, ganz in der Tradition der Familie, jede ein Portrait von sich anfertigen lassen (beide im Stil des Künstlers Hundertwasser), was den Bruder umso mehr abstößt.

Der dringende Wunsch, sich abzunabeln

Voss (Ludwig), traumatisiert von seiner Kindheit und den verhassten Eltern, hat starke manische Züge entwickelt und versucht stetig, seine Vergangenheit abzuschütteln, indem er das Elternhaus so selten wie möglich aufsucht. Bei diesem letzten Besuch kämpft er vergeblich gegen die grobe, düstere Einrichtung des Speisesaals, der die Erinnerungen an seine Kindheit hält. So vertauscht er zum Beispiel zuerst die Portraits der Eltern (große Leinwände mit Portraits von Gustav Klimt), stellt sie anschließend mit der Bildseite nach hinten auf den Boden, um sie letztendlich wieder an ihre vorherigen Plätze zurück zu hängen – allerdings kopfüber. Diese letzte Verzweiflungstat birgt die Hoffnung, dass nun die Macht der über den Tod hinaus präsenten Eltern gebrochen sei. Trotzdem steht am Ende des Stücks nur eins: Die Kapitulation.

Distanz und Nähe zwischen den drei Geschwistern sowie ihre ungewollt starke Beziehung zur Familie veranschaulichen Jasper Brandis und Lilli Lesemann (Requisite) mit einer langen, dunklen Tafel, an der die Geschwister sich zum Mittagessen niederlassen und den überdimensionalen Porträts der Eltern, die bedrohlich wirkend von beiden Seiten auf das Geschehen herabsehen. Über der Szene hängt ein großer, glockenförmiger Kronleuchter, der den Raum zusätzlich zu beschweren scheint. In diesem Bild streiten, spotten, schreien und schweigen Boysen, Kogge und Maier, bis sie am Ende jeder an einer Ecke des Tisches erschöpft zusammensinken.

Die herausragende schauspielerische Leistung wird von den Zuschauern am Ende der zweieinhalbstündigen Vorstellung mit tosendem Applaus belohnt. Sieben Mal holt das Publikum die drei Darsteller mit seinem anhaltenden Beifall zum Verbeugen zurück auf die Bühne. Die Premiere von Ritter, Dene, Voss: ein voller Erfolg der Hamburger Kammerspiele.

Weitere Vorführungen in den Kammerspielen: täglich 25.-28. Mai, 01.-05. + 08.-19. Juni

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