Privattheatertage 2017: „Hört ihr das Rauschen des Meeres?“
Die vorletzte Vorstellung der Privattheatertage am 23. Juni in den Kammerspielen bildete ein Stück mit heikler Thematik. Als „Gute Unterhaltung mit Tiefgang“ angepriesen, setzt sich Meeresrauschen mit dem Thema Flucht auseinander.
Von Nele DeutschmannIn Livias Bar kommen sie alle zusammen. Die Hafenspelunke zieht Seeleute, Künstler, zwielichtige Gestalten und Geschäftsleute gleichermaßen an. Doch die Zeiten des großen Umsatzes sind vorbei. Ein Umsturz im Land, das nicht näher benannt wird, lässt dem müßigen, freien Leben keinen Raum mehr. Die Zeiten sind unsicher, immer mehr Menschen sehen nur noch einen Ausweg: Die Flucht über das Meer.
So auch Pepe, der Barpianist.
„Ich bin abgesoffen, tot. Einfach so, ohne großes Aufsehen. Ich bin ein Toter“,
so stellt er sich dem Publikum vor und es wird klar, dass diese Geschichte nicht gut enden wird. Zumindest nicht für diejenigen, die die lockenden Angebote des „etwas anderen Reisebüros“ als letzten Ausweg betrachten und ihr gesamtes Vermögen für die Aussicht auf ein besseres, ein überhaupt erst erträgliches Leben, hingeben.
„Meeresrauschen“: Was ist gut, was ist böse?
Anders steht es um die, die Profit aus dem Leid und der Verzweiflung der Menschen schlagen. So beispielsweise der Schlepper Georgi, der passend zur Melodie von Edith Piafs Non, je ne regrette rien von seinem ausbleibenden schlechten Gewissen singt:
„Es muss halt einfach so sein.“
Die Frage nach Richtig und Falsch, Gut und Böse drängt sich auf, aber es wird deutlich, dass es keine klare Antwort geben wird. So einfach macht das Stück es seinen Zuschauern nicht. Die Produktion des Metronom Theaters aus Visselhövede unter der Regie von Gero Vierhuff spielt gekonnt mit einem Mix aus Tragik und Komik.
„Wenn Blut spritzt, ist Ruhe“
Beklemmend die Momente, in denen die Schlepper sich an das Publikum wenden, das in die Rolle der „Kunden“, der Flüchtlinge, schlüpft. Wenn der Kapitän das Publikum anbrüllt, wie es sich auf der Flucht zu verhalten habe und auch seine Verzweiflung und Zweifel durchscheinen, aber: „wenn Blut spritzt, ist Ruhe“. Und über allem schwebt der Gott Mammon, der selbst die lautesten Zweifel zum Schweigen bringt.
Überraschend heiter dagegen die Szenen, in denen Liedchen geträllert, Brandy getrunken und getanzt wird – die Allgegenwart eines Galgenhumors, der hilft, die Ungerechtigkeit zu ertragen. Was bleibt, ist das leise Rauschen.
„Kennst du das Meeresrauschen? Es sind die Stimmen der Ertrunkenen.“
Privattheatertage 2017: „Meeresrauschen“ in den Kammerspielen
Privattheatertage 2017: „Meeresrauschen“ in den Kammerspielen
Podiumsdiskussion: Was macht einen Klassiker modern?
Das Publikum honoriert den Einsatz der vier Darsteller Karin Schroeder, Erwing Rau, Thorsten Neelmeyer und Jannis Kaffka mit minutenlangem Applaus. In der Kategorie „Zeitgenössisches Drama“ war das Stück für den Monica-Bleibtreu-Preis nominiert.
In einer anschließenden Podiumsdiskussion diskutierte Jan Ehlert vom NDR mit Schauspielerin und Herausgeberin Renate Bleibtreu, dem Journalisten Jens Jessen und Regisseur Gero Vierhuff über die Frage: Was macht einen Klassiker modern?
Autorin: Nele Deutschmann