„Ganzkörpereinsatz“ in den Hamburger Kammerspielen
Der Name lässt Inhalt und Inszenierung erahnen: In dynamischer Umsetzung feierte Neil LaBute’s Komödie „Ganzkörpereinsatz“ Premiere in den Hamburger Kammerspielen. Kai Wessel inszeniert die Jagd nach medialer Aufmerksamkeit um die zentrale Frage herum, wie weit zwei Schauspieler für ihren Erfolg gehen würden.
Von Carolin MartzAlle Plätze sind belegt und das Publikum tuschelt aufgeregt, bis um 19 Uhr das Licht gedämmt wird. Stille kehrt in die Kammerspiele ein, weilt aber nur kurz. „Ganzkörpereinsatz“ beginnt humorvoll, das Publikum lacht. Das Eis ist sofort gebrochen und die vier Darsteller nehmen die Zuschauer mit auf eine Reise von Emotionen durch ein durchaus heikles Thema.
Schauspieler Karen und Steve – fortwährend geleugnet aber dennoch in die Jahre gekommen – wollen für ihre nächste Rolle vor der Kamera „real“ miteinander schlafen, um so ihren Karrieren wieder Auftrieb zu verschaffen. Karens Partnerin Bev, energische Feministin, gerät dabei vor allem mit dem in die Jahre gekommen Macho Steve aneinander. Seine junge Frau Missy erfrischt die Gruppe sowie die Zuschauer mit ihrer unangebrachten Ehrlichkeit.
Charakterköpfe und Konflikte
Das Bühnenbild ist minimalistisch. Einzelne Requisiten auf Sand stellen Karens neu erworbenes Anwesen in Hollywood dar. Ausführlich wird der Zuschauer dort mit den vier Charakteren vertraut gemacht, wobei jeder für sich in seiner Rolle überzeugt. Es wird deutlich, wer hier welche Ansicht vertritt und dass ihre Diversität Konflikte vorprogrammiert.
Dabei werden sämtliche Klischees bedient: Während Missy heimlich Häppchen in ihrer Handtasche hortet um Steves Diät-Diktat zu entkommen, redet dieser sich wiederholt in Rage, wenn es um sein Alter oder die Tiefe seiner Falten geht. Bev signalisiert nicht zuletzt durch ihre angriffslustige Körperhaltung, dass mit ihr nicht zu spaßen ist und unterbricht jeden Versuch einer Einigung durch provokante Nachfragen. Und TV-Star Julia Koschitz wirkt als Karen ununterbrochen so, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Was sie dann auch tut. Mehrmals.
Ringkampf für den Ruhm
Das Konfliktgespräch der Dinnergesellschaft wird immer wieder von heftigem Lachen und Applaus begleitet: Die Aussagen sind teilweise so sarkastisch und vulgär, dass man nicht anders kann, als sich zu amüsieren. Gleichzeitig wird die Spannung beim Publikum immer weiter gesteigert: Eine vernünftige Einigung über die Frage, wie Karen und Steve in ihrer nächsten Rolle zu sehen sein sollen, rückt während des Stücks in weite Ferne.
Man fragt sich aber auch, wie weit die Beteiligten während des Abends noch gehen. Es wird deutlich, wie labil nicht nur die Figuren selbst, sondern auch ihre Beziehungen sind. Das Konfliktthema wird von den Vieren derart unorthodox bearbeitet, dass es nicht verwundert, dass Bev am Ende ihre ganz eigene Lösung vorschlägt.
Als Showdown liefert sie sich mit Steve einen hollywoodreifen Kampf im Sand, da auf andere Weise keine Einigung in Sicht ist. Erneut macht das Stück seinem Namen alle Ehre: Kampfchoreograf Rainer Wolke lässt die Widersacher unter Ganzkörpereinsatz miteinander ringen. Es kommt wie es kommen musste: Der alternde Steve unterliegt der Feministin und verliert damit seine Frau Missy als Wetteinsatz an Bev.
Absurdität trifft Realität
„Das ist so absurd“, hört man eine Stimme aus dem Publikum. Und das ist es. Und stellt auf überzogene aber gleichzeitig greifbare Weise dar, wie weit Menschen vor und hinter der Kamera gehen, um dem enormen Druck im Leben der Reichen und Schönen standzuhalten. Karen und Steve kämpfen mit allen Mitteln um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit – oder um es mit Karens Worten zu sagen: Der Star der Minute zu sein. Dass ihre Beziehungen daran zugrunde gehen, scheint unvermeidlich.
Die Schauspieler überzeugen in ihren verschiedenen Rollen und lassen damit keinen wunden Punkt des heutigen Hollywoods aus. Eine bissige wie amüsante Satire über Materialismus, übersteigerten Idealismus und Geltungssucht hält in seiner Erstaufführung Einzug in die Kammerspiele und wird unter tosendem Beifall des Publikums zum Bleiben aufgefordert.