Willkommen in der Warteschleife „Sophienterrasse“
Das Oberverwaltungsgericht hat am vergangenen Montag den Baustopp der geplanten Flüchtlingsunterkunft in der Sophienterrasse bestätigt. Eine Niederlage für das Bezirksamt Eimsbüttel. Vor allem aber verlängert das Urteil die Wartezeit für die Flüchtlinge, die das ehemalige Kreiswehrersatzamt beziehen sollten. Wie lang wird sich der Streit zwischen Anwohnern und Stadt noch hinziehen? Und: Wie ist die Stimmung in Harvestehude? Wir haben nachgefragt.
Von GastDas dichte Gras wächst kniehoch, die pinkfarbenen Blüten des Rhododendron blühen prachtvoll neben einer Handvoll Vergissmeinnicht, die sich zwischen zwei langsam verfallenden Holzpaletten ihren Weg bahnen. All das, hinter einem abgrenzenden Bauzaun in der Sophienterrasse Nummer 1a. Ein geradezu symbolisches Bild des Stillstands. Nach Beendigung der Baumaßnahmen sollten noch dieses Jahr 220 Flüchtlinge das ehemalige Kreiswehrersatzamt beziehen. Doch seit Januar ruhen die Umbauarbeiten und seit Montag ist klar, daran wird sich erstmal nichts ändern. Das Oberverwaltungsgericht hat Anfang der Woche in zweiter Instanz die Beschwerde der Stadt gegen den von Anwohnern erwirkten Baustopp zurückgewiesen und somit die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im vollen Umfang bestätigt. Zuvor war ein Kompromissvorschlag, der die Zahl der Flüchtlinge von 220 auf 190 reduziert hätte, von den Klägern ausgeschlagen worden.
Recht für die klagenden Nachbarn
Drei Nachbarn des Grundstücks Sophienterrasse hatten per Eilantrag im Januar den Baustopp erwirkt. Beide Gerichte hoben in ihren Beschlüssen den Charakter des Quartiers hervor: In einem „besonders geschützten Wohngebiet“ sei eine Gemeinschaftsunterkunft nur als kleine Anlage für soziale Zwecke baurechtlich zulässig. Mit 220 Flüchtlingen sei die Unterbringung unverhältnismäßig groß und der zusätzliche Verkehr störend. Zudem stelle die Flüchtlingsunterbringung kein Wohnen dar.
Die Flüchtlingsunterkunft sollte bis zu 220 Personen in 23 Wohneinheiten mit zwei bis acht Zimmern aufnehmen. Es waren ein Gemeinschaftsraum sowie ein Spielplatz in Planung, wie Rembert Vaerst, Geschäftsführer vom städtischen Betreiber Fördern und Wohnen, noch vor dem Baustopp mitteilte.
„So oder so wird hier eine Flüchtlingsunterkunft entstehen“
Torsten Sevecke, Bezirksamtleiter von Eimsbüttel zeigte sich enttäuscht, aber nicht überrascht von dem Urteil des Oberverwaltungsgericht. Und doch, die Entscheidung werde das Bezirksamt nicht davon abbringen, früher oder später Flüchtlinge in der Sophienterrasse unterzubringen. „So oder so wird hier eine Flüchtlingsunterkunft entstehen“, unterstrich er auf Anfrage der Eimsbütteler Nachrichten. Dies soll auf Grundlage eines neuen Bebauungsplans – „Harvestehhude 15“ – durchgesetzt werden, der die Nutzungsart und Bebauungsdichte der einzelnen Grundstücke neu bestimmt.
Hätte man dann nicht von Anfang an den Bebauungsplan für die Flächen in Harvestehude ändern können? „Hinterher sind immer alle klüger“, so Sevecke. Da es keinen Präzedenzfall gegeben habe, habe man nicht mit dem Baustopp gerechnet. Grundsätzlich sei die Unterbringung ohne Planänderung zudem die schnellere gewesen.
Unterstützt wird Seveckes Vorhaben von Volker Bulla, dem Fraktionsvorsitzenden und Sprecher für Stadtplanung der Grünen in Eimsbüttel. „Das Gericht gibt eindeutig den Hinweis, dass wenn man etwas anderes möchte, man das Planrecht ändern muss“, so Bulla gegenüber den Eimsbütteler Nachrichten. Er macht deutlich: „Es gibt kein Beteiligungsverfahren über die Frage, wo Flüchtlinge hinkommen. Auch kein Sonderecht für die Menschen in Pöseldorf.“ Man verhandele auch nicht mit Bürgern anderer Stadtteile, ob und in welchem Umfang eine Einrichtung käme – höchstens über das „wie“.
Neuer Bauplan oder neues Projekt?
Kritik äußert hingegen Rüdiger Kuhn, Fraktionsvorsitzender der Eimsbütteler CDU. Zwar sei ein Bebauungsplan die einzige Möglichkeit den Knoten zu lösen. „Ein solches Verfahren halten wir trotzdem für falsch.“ Dass in naher Zukunft ein neuer Bebauungsplan in Kraft tritt, sei „vollkommen unrealistisch“; dies könne einige Jahre lang dauern. Der CDU-Politiker fordert stattdessen: „Die Kraft und das Geld, die nun in ein solches Verfahren gesteckt werden, lieber in andere Projekte zu investieren.“
Die CDU stellt überdies in zahlreichen Anfragen an den Senat die Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens infrage. So habe der Senat seit dem 1. Juli 2014 monatlich 55.000 Euro Miete für eine noch nicht genutzte und nunmehr auch nicht als Flüchtlingsunterkunft zu nutzende Immobilie gezahlt. Hamburg hat das ehemalige Kreiswehrersatzamt für mehr als 14 Millionen Euro vom Bund abgekauft. „Sollte jedoch der Baustopp nicht aufgehoben werden und in letzter Konsequenz hier keine Flüchtlingsunterkunft entstehen“, dann „hätte die Stadt das Geld der Steuerzahler vernichtet“, warf Andreas Wankum (CDU) in einem Gespräch mit den Eimsbütteler Nachrichten bereits im vergangenen Jahr dem Senat vor.
Ob neues Bauprojekt oder neuer Bebauungsplan: Der Mangel an Unterkünften ist groß. Etwas über 3.500 Plätze werden allein in diesem Jahr noch in Hamburg benötigt. 6.500 Plätze sind bereits vermittelt. 2014 wurden rund 6.000 Asylsuchende und Flüchtlinge untergebracht – doppelt so viel wie noch im vorigen Jahr, so Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde. Viele Unterkünfte sind bereits überfüllt, Kapazitäten erschöpft. In den Zentralen Erstaufnahmen warten Hunderte auf den Umzug in eine Folgeunterbringung der Stadt.
Sevecke will wohlhabende Bezirke in die Pflicht nehmen
Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke plädiert mit Nachdruck dafür, Flüchtlinge dort unterzubringen, wo „die Integrationskraft in der Gesellschaft“ groß sei. „Insbesondere diese Bereiche unserer Stadt – und dazu gehört Eimsbüttel ganz besonders – müssen die Schwerpunktlast der Flüchtlingsunterbringung tragen.“ Von einer Schwerpunktlast ist der Bezirk, der bislang am wenigsten Flüchtlinge aufgenommen hat, noch weit entfernt. Gegenwärtig wohnen 1.439 Menschen in Flüchtlingsunterkünften, in Bergedorf sind es mehr als 2.300 und in Hamburg-Mitte sogar über 3.100. Das liegt zum einen daran, dass die Stadt Hamburg sich darauf verständigte, „Kontingentflüchtlinge“ nicht nach einem Schlüssel auf die Bezirke zu verteilen.
Jörn Walter, Oberbaudirektor der Stadt Hamburg, ist dafür zuständig, geeignete Flächen bereitzustellen. Er sieht im mangelnden Leerstand das größte Problem. „Je zentraler man in den Großstädten ist, desto größer sind die Engpässe. Da ist es objektiv schwieriger, Flächen zu finden.“ Andere Städte, wie etwa Berlin, hätten größere Reserven an Wohnungsbestand und Bebauungsflächen. In Hamburg sei das anders. „Die Flächen, die es gibt, müssen also so schnell wie möglich für Flüchtlinge zu nutzen sein.“
Anwohner zwischen Engagement und Sorge
Die Entscheidung des Gerichts spaltet nach wie vor die Anwohner des feinen Viertels an der Alster. Josef K., der um die Ecke in der Milchstraße wohnt, befürwortet den Einzug von Flüchtlingen und freut sich auf etwas mehr Leben in der ruhigen Gegend. „Warum soll das Gebäude leer stehen, wenn es Menschen in Not gibt, die dringend eine Unterkunft brauchen?“
Die 23-jährige Frida S. würde sich nicht an der Flüchtlingsunterkunft stören, doch bezweifelt sie, dass den Flüchtlingen die Integration im teuren Harvestehude leicht fiele: „Andere Stadtteile wie die Schanze sind multikultureller und offener.“ Der Unternehmer Christoph R. findet, dass die Stadt mit dem Bebauungsplan „Harvestehude 15“ den Willen der Anwohner umgeht. Ein Flüchtlingsheim im reichen Viertel zu bauen, sei reine Symbolpolitik. Er befürchtet, dass die soziale Einrichtung die Immobilienpreise erheblich senken würde.
Und doch: Harvestehude hat sich vorbereitet. Lange bevor sich Widerstand regte, gründete sich ein Verein zur Unterstützung der Flüchtlinge. Eine Arbeitsgemeinschaft des Vereins Flüchtlingshilfe Harvestehude plante bereits das Willkommensfest für die 220 Flüchtlinge. Die Helfer sind nach der Bestätigung des Baustopps enttäuscht und verärgert. „Es kann und darf nicht sein, dass sich wenige Menschen in einem Stadtteil unter Berufung auf das Bauplanungsrecht ihrer Verantwortung entziehen,“ kritisiert die Vorsitzende des Vereins Hendrijke Blandow-Schlegel. Gegenüber den Eimsbütteler Nachrichten bekräftigt sie: „Die Menschen leben in einer verkehrten Welt, eine Form der Realität, eine Insel der Glückseligen, die niemandem mehr zusteht und schon gar nicht in so einer eng bebauten Stadt.“ Die SPD-Politikerin appelliert an die Kläger, ihre Bedenken gegen die Größe der Unterkunft hinten anzustellen, wenn man zum Winter hin in Hamburg keine Zelte für Flüchtlinge aufstellen wolle.
Gero Tuttlewski, der Anwalt der klagenden Nachbarn ließ verlauten, dass seine Mandanten sich zur „Revancheplanung“ der Stadt zu gegebener Zeit äußern werden. Weitere Verzögerungen? Eines steht fest: Das jüngste Urteil hat den klagenden Anwohnern Luft verschafft. Bis ein neuer Bebauungsplan vorliegt, werden Rhododendron und Vergissmeinnicht längst verblüht sein.
Triff deine neuen Nachbarn: Lerne die Menschen und nicht nur „die Flüchtlinge“ in unserer Pageflow-Reportage kennen.
Flüchtlingsunterkünften in Eimsbüttel: Wir geben einen Überblick über die Standorte und zeigen euch, wo ihr wie helfen könnt.
Text: Lina Beling und Lea Freist