Auf dem Weg in die Arbeitswelt: »Hier darf ich sein«
Aus dem Klassenzimmer an die Werkbank: Die „Produktionsschule Eimsbüttel“ unterstützt Jugendliche auf ihrem Weg ins Berufsleben. Im Fokus stehen Kompetenzen und Fähigkeiten fernab des regulären Schulbetriebs.
Von Julia HaasDie Nähmaschinen rattern. Daneben dampft ein Bügeleisen. Sorgfältig legt ein Mädchen den weißen Stoff in ihren Händen am Nähfuß an, setzt per Pedal den Faden in Bewegung. Ein Stockwerk tiefer klirren Schraubenzieher. Fahrräder liegen auf der Werkbank, es riecht nach Gummireifen. Auf das Ringen einer Pausenglocke wartet man in der Produktionsschule Eimsbüttel vergebens.
Im Neubau in der Hagenbeckstraße 149a erinnert wenig an eine Schule. Vielmehr an einen sanften Vorgeschmack auf das, was danach kommt – oder kommen soll. Jährlich unterstützt die Produktionsschule Eimsbüttel bis zu 80 Schüler, die den Anschluss an die Arbeitswelt zu verpassen drohen. Jugendliche ab 15 Jahren können am Programm teilnehmen. Ein Einstieg ist jederzeit möglich.
Leistungsprämien statt Noten
In vielen Fällen setzt die Produktionsschule Eimsbüttel dort an, wo der klassische Schulbetrieb seine Grenzen erreicht. Wenn Lehrer nicht mehr weiterkommen, klingelt bei Nadine Neubauer das Telefon. Seit vier Jahren leitet die gelernte Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte die Produktionsschule.
Für viele Jugendliche ist die Schule ein Rettungsanker. „Die meisten Kinder, die zu uns kommen, tragen ein Päckchen mit sich”, meint Neubauer. Ihre Kämpfe reichen von schulischen bis zu familiären Problemen. In der Produktionsschule lernen sie, sich individuell zu entfalten und erkennen: „Hier darf ich sein.”
Einen festen Stundenplan gibt es nicht. Für die Schüler startet der Tag mit einem gemeinsamen Frühstück. Danach geht es an die Arbeit – und ans Lernen. Im Mittelpunkt steht, das eigene Können auszuloten. In Kleingruppen mit maximal zehn Teilnehmern führen Pädagogen und Meister die Jugendlichen in die Arbeit ein.
Das kann in der Nähwerkstatt oder Fahrradstation am Hauptstandort Hagenbeckstraße sein oder in einem der ausgelagerten Betriebe – im Café im Hamburg-Haus zum Beispiel sowie im hauseigenen Malereibetrieb. Hier bekommen die Schüler die Möglichkeit, ihre Kompetenzen fernab von Gleichungen und Vokabeln zu formen.
Den notwendigen Ansporn geben Leistungsprämien: In einem monatlichen Gespräch bewerten die Pädagogen zehn Kompetenzen ihrer Schützlinge, wie Pünktlichkeit oder Selbstständigkeit. Das Ergebnis wird in einen Geldbetrag umgewandelt. Ganz nach dem Motto „Ausgezahlt wird, was geleistet wird” verdienen sie bis zu 150 Euro im Monat.
„Wir können nicht alle retten”
Für die Mitarbeiter der Produktionsschule ist die Betreuung der Jugendlichen mehr als ein Vollzeitjob. In schwierigen Situationen bleiben die Anrufe auch am Wochenende nicht aus. Die Schüler suchen Rat und Hilfe, nicht nur in puncto Arbeit. Zwischen Privatem und Beruflichem zu trennen, fällt dabei oft schwer, meint Schulleiterin Neubauer: „Es ist ein Job, den wir mit nach Hause nehmen.”
Für ihre Schüler zahlt sich das aus. Binnen eines Jahres zeigen sich bei vielen große Entwicklungen: Sie erscheinen regelmäßig und wollen den weiteren Weg ins Berufsleben gehen. Viele nutzen die Produktionsschule als Chance, neben der handwerklichen Ausbildung ihren ersten allgemeinbildenden Schulabschluss zu absolvieren. Doch das Konzept glückt nicht immer. Bedrückt gibt Nadine Neubauer zu: „Wir können nicht alle retten. Aber wir versuchen es.”
Welchen Weg die Schüler nach ihrer Zeit in der Produktionsschule einschlagen, entscheiden sie selbst. Für viele kann es ein Anfang sein: von der Nähmaschine in der Hagenbeckstraße 149a in die weite Arbeitswelt.
Produktionsschule Eimsbüttel
Die Produktionsschule Eimsbüttel ist ein Projekt der gemeinnützigen Gesellschaft Alraune. Ziel ist es, Jugendliche auf ihrem Ausbildungsweg zu unterstützen. Die Alraune gGmbH ist in Hamburg mit 35 Betriebsstätten vertreten. Anders als in vielen Ausbildungsbetrieben stehen in der Produktionsschule Eimsbüttel trotz Corona-Pandemie freie Plätze zur Verfügung.
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