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Stephan Köhn arbeitet seit 35 Jahren bei der "Hamburger Hochbahn". Foto: Vanessa Leitschuh
Magazin #18

Einer bleibt auf der Strecke: Der Läufer aus dem Untergrund

Stephan Köhn hat einen bewegten Lebenslauf: Er ist Streckenläufer, der einzige in Hamburgs Westen. Dank ihm läuft alles seine geregelten Bahnen.

Von Vanessa Leitschuh

Es gibt Menschen, Hamburger, die sind mit ihrer Stadt so verwachsen, dass man sie ihnen ansieht. Bei einigen kann man sie sogar hören. Stephan Köhn ist so ein Mann. Hamburg thront auf seinem Kopf – auf einer verwaschenen Schildcap. Und wenn er redet, dann schnackt er. Da muss man als zugezogener Quiddje schon mal nachhaken. Die Haare hat Stephan Köhn unter der Cap zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die Arbeitsjacke reicht ihm fast bis zu den Knien, und auf seiner orangefarbenen Warnweste reflektieren Sicherheitsstreifen das wenige Licht im U-Bahn-Schacht.

Mehr als die Hälfte des Hamburger Hochbahn-Netzes verläuft über der Erde. In Eimsbüttel ist Köhn aber meistens im Tunnel unterwegs, auf der dunklen Seite der U-Bahn-Welt. Denn Stephan Köhn ist Streckenläufer. Er kennt Eimsbüttels Trassen wie seine Warnwestentasche. Zehn bis fünfzehn Kilometer läuft er täglich auf den Gleisen. Allein gestern waren es 15.427 Schritte.

Da bleibt keine Schraube locker

Zuerst spürt er den Fahrtwind. Dann hört er den Zug. Der Stromabnehmer schleift, Räder rattern und die Zugluft zischt. Stephan Köhn stapft mit großen Schritten in den Schutzraum zwischen den Gleisen, lehnt sich lässig gegen einen Stromkasten und wartet. Das nennt man Eigensicherung. Als ein Zug heranrollt, hebt er zwei Finger zum Gruß. Sein heutiger Fußmarsch begann an der Station Hagenbeck und wird ihn noch bis nach Niendorf Nord führen. Vier Wochen braucht der Dauerläufer, um seine gesamte Strecke im Schotterbett abzulaufen – erst in die eine Richtung, dann in die andere, aber immer den Zügen entgegen. Auch das gehört zur Eigensicherung.

Sein Ablaufgebiet ist Hamburg West, also die Linien U2, U3 und U1. Zurzeit ist er der einzige Streckenläufer in seiner Abteilung. Eigentlich waren sie zu dritt, doch das viele Laufen und die fehlende Nachtschichtzulage schrecke die meisten Gleisbauer ab. Sein letzter Kollege hatte mittlerweile zu schlechte Augen, um den Job weiterzumachen. Köhns Augen sehen gut. Er findet jeden Mangel, vom defekten Tunnellicht bis zum kaputten Kleineisen. Kleineisen nennt man „die Schienenbefestigung, das ganze Geschraube, ne”, erklärt er.

Bevor der 52-Jährige Streckenläufer wurde, machte er eine Lehre zum Gleisbauer. Das war 1985. Das sind heute 35 Jahre bei der Hamburger Hochbahn. Wenn Köhn also mit 65 Jahren in Rente geht, wäre das 50-jährige Dienstjubiläum nicht mehr weit. Die goldene Hochzeit des Berufslebens feiern im Zeitalter von New Work und befristeten Arbeitsverträgen nur noch wenige.

An seinen ersten Tag als Lehrling erinnert sich Köhn aber noch genau. „Den werd ich nicht vergessen.” Er grinst. Damals war er an der Saarlandstraße eingesetzt, die Dieselloks mussten betankt werden. Aber nicht nur die: „Als ich ankam, meinten sie zu mir: ‚Jung, setz dich hin und trink erstmal einen.’ Und dann hab’ ich mein erstes Astra gekriegt. So war das früher.” Heute herrscht absolutes Alkoholverbot.

Auf die Linie achten: Wenn sich die Züge treffen, kann es eng werden für den Streckenläufer. Manche Schutzräume, die in älteren Tunnelabschnitten, sind gerade einmal 50 Zentimeter breit. Dann heißt es schlank machen. Foto: Vanessa Leitschuh

Das ist auch gut so, denn wer nicht schnell reagiert, manövriert sich in brenzlige Situationen. „Einmal nicht aufgepasst und du bist weg. Da darfste dir keinen Fehler erlauben“, sagt Köhn. „Da muss Ehrgeiz dahinter sein, sonst kommste nich wieder nach Hause.” Auf einigen Trägern im Hamburger Untergrund seien Gedenktafeln zu finden. Sie markieren Stellen, an denen Gleisbauer ihr Leben ließen. Hauptsächlich aus den Bauphasen der Tunnel. Das Hamburger U-Bahnnetz ist eines der ältesten in Deutschland. Seit 1912 ist es in Betrieb. „1912 ist übrigens auch die Titanic gesunken. Daher kann man sich das gut merken”, assoziiert Köhn.

„Weil ich alles kann und alles darf”

Dementsprechend alt sind einige Tunnel. So fehlt zwischen den Stationen Hauptbahnhof Süd und Mönckebergstraße der Schutzraum. Köhn kann diese Strecke nur nachts kontrollieren. Ansonsten ist er als Streckenläufer aber am Tag unterwegs. Die Arbeit der Gleisbauer dagegen beginnt meist erst, wenn die letzte Bahn zum Stehen kommt.

Nacht für Nacht sorgen sie dann für freie Fahrt in Hamburg. Tauschen Schienen aus, reparieren Schwellen. Damit sie das tun können, läuft Stephan Köhn täglich „Strecke“ und sucht nach Schäden. Dafür hat er bis heute so einige Ausbildungen bei der Hochbahn hinter sich. Auf den Gleisen ist er „Mädchen für alles”. „Weil ich alles kann und alles darf”, erklärt Köhn. Gleisbauer, Sipo, Sakra, Weichenkurbler, Abschalter, Streckenläufer – ein Lebenslauf wie die Stationen einer Bahnlinie. Schritt für Schritt, Schwelle um Schwelle, immer in Bewegung.

Sipos, Sicherheitsposten, und Sakras, Sicherheitskräfte, werden immer dann gebraucht, wenn die Gleisbauer-Kolonnen am Tag ausrücken müssen. Sie stehen dann mit einigem Abstand zueinander auf den Gleisen und warnen die Arbeiter vor herannahenden Zügen. Es kam aber auch schon vor, dass Köhn einen Zug anhalten musste, als etwa Bäume auf die Schienen gekippt waren. „Dann haste aber Hackengas gegeben und bist dem Zuch entgegengelaufen”, erzählt Köhn. Denn der braucht 300 Meter, bis er zum Halten kommt. Als Streckenläufer gibt Köhn selten Hackengas. Vielmehr sei Routine das Gefährliche. „Man muss immer auf der Hut sein.” Aber dann wirft ihn so schnell nichts aus dem Gleis.

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