Eimsbütteler Blüte – Falschgeld aus der Osterstraße
Osterstraße 1894. Hier, im aufblühenden Eimsbüttel der industriellen Revolution, spielt sich ein Verbrechen ab, das Kontinente umspannt.
Von Vanessa LeitschuhEine Kutsche schaukelt über das Kopfsteinpflaster, hin und wieder ruckelt die Pferdebahn vorbei. Etagenhäuser ragen in den Himmel. Bauernhäuser sind aus Eimsbüttels Straßenbild so gut wie verschwunden, da, am Ende der Straße, steht noch eines mit Reetdach, und dort hinten ein letztes, das war’s. Ein millionenschweres Verbrechen würde hier kaum erwartet werden.
Eimsbüttel wird zum Hamburger Stadtteil
Eimsbüttel blüht auf. Es ist Anfang Juni 1894, eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Der Freihafen und die Speicherstadt sind erst wenige Jahre alt. Für deren Bau mussten viele Menschen von dort wegziehen und wählten Eimsbüttel als ihre neue Heimat. Die beschaulichen Tage sind seitdem vorbei.
Das Hundert-Seelen-Dörfchen ist in den letzten drei Jahrzehnten auf 50.000 Einwohner gewachsen, und in wenigen Wochen soll Eimsbüttel, wie auch Harvestehude, Rotherbaum, St. Pauli und zwölf weitere Vorstädte, zum Hamburger Stadtteil erklärt werden. Dann hat die Großstadt das Dorf endgültig geschluckt.
Zu dieser Zeit macht in der Osterstraße eine Bande ihre ganz eigenen Geschäfte.
Auf dem Passagierdampfer nach Australien
Kaum ist der Schlachter Theodor Nestler von einer Reise aus New York nach Hamburg zurückgekehrt, besteigt er den nächsten Dampfer. Der soll ihn ans andere Ende der Welt bringen: nach Australien.
In New York hat er Schweinefleisch gekauft, das er nun zu seinem Bruder nach Australien bringt, der dort eine Schlachterei betreibt. Aber den Bruder plagt das Heimweh, er will nur noch zurück nach Deutschland, also wird Theodor Nestler ihn ablösen und die Schlachterei übernehmen.
Als das Schiff in Adelaide anlegt, wird Nestler verhaftet. In seinem Koffer finden die Beamten 2.500 gefälschte Pfundnoten.
Ein paar Wochen zuvor, in einer Reeperbahnspelunke auf St. Pauli
Hamburg, eine Goldgrube! Tausende könnte man hier verdienen, wenn man nur wollte, hört man es durch die Kneipe rufen. Hier, auf der Reeperbahn, prahlt ein Seemann mit seinem Wissen um das schnelle Geld.
Ein paar Plätze weiter horcht einer auf.
Schon vor Monaten sind in Hamburg gefälschte Pfundnoten der Bank of England und Fünf-Dollar-Blüten aufgetaucht. Bisher konnte die Polizei die Herkunft des Falschgeldes nicht ermitteln, wusste der Prahler etwas? Kommissar Hell hat alles mitgehört und wartet, bis der Seemann die Kneipe verlässt. Er folgt ihm nach draußen, nimmt ihn fest und bringt ihn auf die Wache. Der Seemann beginnt zu reden:
Er sei Steuermann auf einem Dampfer und vor einer Weile, als er in Wrage’s Restaurant in Eimsbüttel saß, da habe ihn ein Herr angesprochen und ihm ein Angebot gemacht. Ob er 30.000 Mark im Jahr verdienen wolle? Er müsse dafür nicht viel tun, bloß ab und an ein großes Paket mit Falschgeld nach Amerika verschiffen und sie dort unter die Leute bringen. Auf das Angebot sei er natürlich nicht eingegangen, versichert der Steuermann. Aber er wisse noch genau, wie der Fremde ausgesehen hat.
In Wrage’s Restaurant, Eimsbüttel
Im Restaurant Wrage befragt Kommissar Hell die Kellner nach einem Mann, auf den die Beschreibung des Steuermanns passt. Der Name ist schnell ermittelt, das konnte nur einer sein, der Kaufmann August Thies, weit bekannt in Eimsbüttel, ein wenig bleibt Dorf dann doch Dorf.
Thies sei ein täglicher Gast im Lokal, sagen die Kellner, und so kehrt Hell mit dem Steuermann zurück. Sie setzen sich in einen versteckten Winkel des Restaurants und warten. Es dauert nicht lange, da erscheint Thies, und der Steuermann bestätigt: Das ist er, der Mann, der ihm den Handel mit Falschgeld vorgeschlagen hat.
Vor der Fälscherwerkstatt, Osterstraße 41
Noch bevor sich die Sonne am nächsten Morgen ganz zeigt, versammelt sich ein Aufgebot an Uniformen vor einem Wohnhaus in der Osterstraße. Hier wohnt der Lithograf Hermann Adolph Edmund Cronemeyer, der Drucker soll gemeinsam mit dem Kaufmann Thies die Blüten herstellen.
Als die Beamten die Werkstatt stürmen, entdecken sie Pressen, Platten und Farbe. Papier, Probedrucke, halbfertige Geldscheine und Pakete mit Pfund- und Dollarnoten im Wert von mehreren Millionen Mark liegen herum. Cronemeyer ist vor Ort. Sie rufen den 37 Jahre alten Kaufmann August Thies dazu, der sofort gesteht, das Falschgeld hergestellt zu haben. Beide lassen sich ohne Weiteres verhaften, schrieben die Altonaer Nachrichten.
Per Telegramm alarmieren die Hamburger Polizisten ihre Kollegen in Australien. Kaum ist der Schlachter Theodor Nestler in Adelaide an Land, wird er verhaftet, verhört und mit dem Dampfer nach Deutschland zurückgeschickt.
Ein Jahr später, am 26. Juni 1895, vor Gericht
Auf der Anklagebank sitzen der Kaufmann August Thies, der Buchdrucker Hermann Cronemeyer und der Schlachter Theodor Nestler. Täuschend echtes Falschgeld für viele Millionen: Der Fall der Eimsbütteler Falschmünzerbande hat hamburgweit für Aufsehen gesorgt. Jetzt beginnt der Prozess und Zeitungen wie der Hamburgische Correspondent berichten ausführlich aus dem Gericht.
Thies, gebürtiger Hannoveraner, zog 1880 nach Hamburg. Nach einigen beruflichen Rückschlägen war er arbeitslos und kam auf die Idee, sich als Geldfälscher zu versuchen. Sein Plan: Banknoten mithilfe von Fotografie zu fälschen. Eine schwierige, langwierige und teure Prozedur. Doch dann traf er Hermann Cronemeyer, Besitzer einer Stein- und Buchdruckerei.
Aus einer Druckerei wurde eine Falschgeldfabrik
Cronemeyers Druckerei in der Hamburger Neustadt lief schlecht. Als er pleite ging, lieh er sich Geld, um das Grundstück in der Osterstraße 41 zu kaufen. Bankrott und verschuldet, zog er mit seiner Familie in den ersten Stock des Vorderhauses und richtete im Hinterhaus eine neue Druckerei ein. Auch Thies zog mit ein, bewohnte nun das Erdgeschoss.
Es dauerte nicht lange, bis aus der Druckerei im Hinterhaus eine Falschgeldfabrik wurde.
Ein Märchen für das Gericht?
Vor Gericht gibt Cronemeyer zu, das Falschgeld gedruckt, aber nur im Auftrag von Thies gehandelt zu haben. Thies wiederum beteuert, von den falschen Pfundnoten nichts gewusst zu haben, die habe Cronemeyer allein hergestellt. Die Dollarnoten hätten sie dagegen gemeinsam gedruckt – allerdings allein zu Werbezwecken. Diese wollten sie nicht in Umlauf bringen.
Dagegen spricht die Geschichte des Schlachters Theodor Nestler. Nestler war kein unbeschriebenes Blatt, er war dreimal wegen Diebstahl vorbestraft. Auch er bestreitet, dass er das Falschgeld in seinem Koffer in Australien unter die Leute bringen wollte. Er sei lediglich Bote gewesen, sollte den Koffer im Auftrag von Thies einem Herrn in Melbourne übergeben. Die Geschichte vom heimwehkranken Bruder? Wahrscheinlich ein Märchen für das Gericht.
Ein Dank aus England
Eineinviertel Stunden beraten die Geschworenen, dann steht ihr Urteil fest. Thies und Cronemeyer: acht Jahre Zuchthaus, acht Jahre Ehrverlust. Nestler: vier Jahre Zuchthaus, vier Jahre Ehrverlust. Zwei weitere Gehilfen verurteilt das Gericht zu drei Jahren beziehungsweise vier Monaten Zuchthaus.
Damit ist das Ende der Eimsbütteler Falschmünzerbande besiegelt und das wohl größte Münzverbrechen Hamburgs aufgeklärt.
Ohne die Arbeit der Polizei hätten sich die Angeklagten wahrscheinlich bald als Millionäre ins Ausland abgesetzt, betont die Staatsanwaltschaft noch. Zum Dank schickt die Bank of England den Hamburger Kriminalbeamten garantiert echte 40 Pfund Sterling.
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