Geschichten aus der Osterstraße
Die Osterstraße war nicht immer die belebte Einkaufsstraße, wie wir sie heute kennen. In den 1920er- bis 40er-Jahren ging man in die Eimsbütteler Chaussee und zum Schulterblatt, wenn man etwas besorgen musste. In der Osterstraße blühte das Geschäftsleben erst zu Beginn der 1950er-Jahre auf. Ein Rückblick.
Von Anja von BihlIn die Osterstraße zogen große und kleinere Geschäfte erst, nachdem 1950 Karstadt dort eröffnet hatte. Zu der Zeit war das Kaufhaus ein schmuckes Gebäude mit zwei Stockwerken und vielen Fenstern. „Bis die Bausünden der 80er-Jahre kamen und das Kaufhaus nun eher an einen Bunker erinnert,“ meint Joachim Grabbe. Er ist in Eimsbüttel aufgewachsen und macht Stadtteilrundgänge für die Geschichtswerkstatt. Bei einem Gang durch die Osterstraße mit einer Gruppe von Interessierten fallen ihm viele Geschichten ein.
Adda-Eis
1954 war’s: Bei Adda-Eis lief das Radio in voller Lautstärke, daneben beim Radiohändler Schmidt gab es sogar einen Fernsehempfänger im Schaufenster. Vor beiden Läden war es brechend voll, denn es war Fußballweltmeisterschaft. Als Deutschland gewann, nahm der Jubel kein Ende, man tanzte auf der Straße und umarmte sich. „Ein Wahnsinn!“ begeistert sich Jochachim Grabbe noch heute. Deutschland war wieder wer nach der finsteren Nazi-Zeit und der Zeit der Bescheidenheit. Das Wirtschaftswunder konnte kommen.
Der erste Adda-Eisladen war damals in der Osterstraße 90. Die Söhne des Gründers hießen Arthur und August Göttert, und daran erinnert der Name des 1924 gegründeten Geschäfts. Sie hatten fünf Eismaschinen für fünf verschiedene Sorten, alles ohne Chemie, sagt Joachim Grabbe. Später verkauften die Brüder den berühmten Namen in Lizenz an drei andere Unternehmer.
Umsonst gedruckt
Auch das Haus Osterstraße 69 hat seine Geschichte. Schon seit dem 19. Jahrhundert stand hier eine Druckerei. Die Geschäfte liefen schlecht, da kamen einige Leute auf die Idee, Geld zu drucken und unter die Leute zu bringen. Einer der Fälscher wollte sich mit den Blüten lieber aus dem Staub machen. Der Schlachtermeister füllte seinen Rucksack mit US-Dollar und britischen Pfund und bestieg 1895 das Schiff „Poseidon“ mit Ziel Australien.
„Nun hatte er leider das Pech, dass vierzehn Tage vor seiner Ankunft in Melbourne das Überseekabel nach Australien fertig geworden war,“ erzählt Joachim Grabbe. Der Mann wurde umgehend verhaftet und nach Deutschland zurückgeschickt. Er verbrachte die nächsten acht Jahre in Altona im Zuchthaus.
Straßenbahn
An einigen Häuserfassaden sind noch heute etwa in Höhe des zweiten Stocks Metallhaken, Ösen und Rosetten zu sehen. Daran waren zu Zeiten der Straßenbahn die Querseile befestigt, an denen das Kabel für den Stromabnehmer der Bahn hing. Durch die Osterstraße fuhr bis September 1974 die Linie 3 vom Eidelstedter Platz nach Tonndorf. Bereits im Mai 1970 wurde die 16 eingestellt, die Hagenbecks Tierpark mit Billstedt verband.
Für Joachim Grabbe war die Straßenbahn ein großes Stück Freiheit – ganz besonders, weil er als Junge eher zu den Kleineren gehörte. Denn wer unter einem Meter groß war, konnte umsonst fahren. So fuhr er kreuz und quer durch Hamburg und wurde einmal sogar von der Polizei nach Hause gebracht, weil die ihn für einen Ausreißer hielt.
Schneider-Haus
Ein sehenswertes Gebäude im reinen Bauhaus-Stil steht an der Ecke zum Heußweg. Der Komplex mit Arztpraxen, Wohnungen und einem großen Supermarkt wurde zwischen 1926 und 1928 von dem Architekten und Stadtplaner Karl Rudolf Schneider entworfen und errichtet. Er war seit 1921 in Hamburg tätig, neben vielem anderen stammt der U-Bahnhof Klosterstern von ihm. 1938 emigrierte Karl Schneider in die USA.
Den gesamten Schneider-Komplex ließen die Bombennächte stark beschädigt zurück. In der Halle, wo heute der Edeka-Supermarkt ist, stand nach dem Krieg ein großes Kinderkarussell, erinnert sich Joachim Grabbe.
Filmpaläste
Drei Kinos gab es in der Osterstraße: das Roxy stand neben Karstadt, das neue Emelka-Kino im Gebäude des heutigen Budni, und an der Ecke des heutigen Fanny-Mendelssohn-Platzes das Urania, „Flohkiste“ genannt. In den ersten sechs Sitzreihen bekam man dort Genickstarre, denn die Leinwand hing drei Meter darüber.
Schon vor dem Krieg hatte es einen Emelka-Palast gegeben. Dieses Kino lag in der Osterstraße 124 und war ein Teil des Schneider-Baus. 1928 wurde das Kino mit großem Pomp eröffnet, die weltberühmte Schauspielerin Lilian Harvey kam und draußen drängelten sich tausende Neugierige. Das Kino hatte 1.550 Sitzplätze – damals gab es ja noch kein Fernsehen. 50 Pfennig kostete eine Karte für den „Palazzo Prozzo“. 1941 brannte der Palast vollkommen aus, nur die Fassade blieb stehen. Dahinter ist heute ein Schuhgeschäft.
Hütten an der Schwenckestraße
An der Ecke Osterstraße/Schwenckestraße endet unsere Führung. Wo heute eine Bank steht standen bis hin zur Apostelkirche nach dem Krieg sogenannte Nissenhütten – Notunterkünfte für Ausgebombte, Flüchtlinge und Vertriebene. Ältere erinnern sich noch: die Hütten waren aus Wellblech und sahen aus wie halbierte Tonnen. Jeweils zwei Familien wohnten in einer Nissenhütte, auf 40 Quadratmetern, getrennt durch einen Vorhang. Ein Kanonenofen heizte das Ganze – mehr oder weniger.
Benannt wurden die Wellblechunterkünfte nach dem kanadischen Major Peter Norman Nissen, der sie ab 1916 als mobile Unterbringungen für das Militär entwarf. Zufällig heißen auch die Eier der Läuse „Nissen“, und einer aus der Gruppe meint, wenn er so an diese Unterkünfte zurück denke, könnte der Name sich auch von den Tierchen herleiten. In Hamburg wohnten tausende Menschen vorübergehend in Nissenhütten. Erst ab 1954 verschwanden sie aus dem Stadtbild. Es wurde neu gebaut.
Fotos: Anja von Bihl
Der Text wurde am 8.12.2023 korrigiert.