Wie ein Verein aus dem Grindelviertel das Jiddische retten will
Inge Mandos und die Salomo-Birnbaum-Gesellschaft wollen die jiddische Kultur erhalten und haben dabei vor allem ein Ziel: Die Jiddisch-Lehre an der Universität Hamburg wiederbeleben.
Von Christiane TauerInge Mandos hat eine Mission: Sie kämpft dafür, dass die jiddische Sprache und Kultur nicht verloren geht. Dass den Menschen bewusst wird, dass jiddisch nicht gleich jüdisch ist und auch in Hamburg Jiddisch gesprochen wurde. Das sei vielen nicht mehr klar, sagt die Eimsbüttelerin.
Jiddisch vor allem im Grindel präsent
Zocken, malochen, Tacheles reden – es gibt viele Begriffe in der deutschen Sprache, die einen jiddischen Ursprung haben. Die Ähnlichkeit ist vorhanden, da das Jiddische im Mittelalter aus dem Mittelhochdeutschen hervorging und von den sogenannte aschkenasischen Juden – damit sind die Juden Nord-, Mittel- und Osteuropas gemeint – gesprochen und geschrieben wurde. In Hamburg war das Jiddische vor dem Zweiten Weltkrieg vor allem im Grindelviertel präsent.
Obwohl sich Inge Mandos heute für den Erhalt der Sprache stark macht und ihre Lehre an der Universität fordert, wusste sie selbst lange Zeit wenig darüber. Ihr Schwiegervater Mendel Friedland war einer der Mitgründer der Jüdischen Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg. Die jüdische Kultur war ihr vertraut – aber die jiddische?
Melodische Sprache voller Schwermut
„Ende der 70er Jahre bin ich in ein ehemaliges Judenhaus im Grindel gezogen“, erzählt die 74-Jährige. Judenhäuser waren in der Nazizeit die Häuser, in die Juden kamen, um sie von dort gebündelt in die Lager zu bringen.
In Inge Mandos‘ Haus wohnten Holocaust-Überlebende, die Jiddisch sprachen. So lernte auch sie die Sprache kennen und verliebte sich in ihre Melodie, ihre Schwermut und ihre humorvollen Nuancen.
Jiddisch-Verein zählt 80 Mitglieder
Über die Salomo-Birnbaum-Gesellschaft für Jiddisch, deren zweite Vorsitzende sie ist, setzt sie sich deshalb für den Erhalt der Sprache ein. 80 Mitglieder zählt der im Grindelviertel ansässige Verein. Er ist nach Salomo Birnbaum benannt, einem Sprachwissenschaftler, der von 1922 bis 1933 den ersten Lehrauftrag für Jiddisch in Westeuropa an der Universität Hamburg innehatte – bis er vor den Nazis nach Großbritannien floh.
Dass von den 80 Mitgliedern lediglich rund 30 das Jiddische fließend beherrschen – so schätzt Inge Mandos zumindest -, steht wohl symbolisch für den schweren Stand dieser Sprache, die vielen vor allem über Klezmer-Lieder bekannt ist. Denn wo in Hamburg soll man Jiddisch lernen, wenn es Eltern den Kindern zu Hause nicht mehr beibringen?
Wiederbelebung des Angebots nicht geplant
„An der Volkshochschule gibt es einige Kurse, auch zur jiddischen Literatur“, sagt Inge Mandos. „Doch das Angebot kann nicht alle Stufen abdecken.” An der Universität Hamburg sieht es ganz schlecht aus: Die Kurse für Jiddisch seien bereits seit 2015 eingestellt worden, erklärt sie.
Daran dürfte sich auch so schnell nichts ändern. „Eine strukturelle Wiederbelebung der Angebote ist derzeit nicht in Planung“, teilt Alexander Lemonakis, Pressesprecher des Präsidenten, auf Anfrage der Eimsbütteler Nachrichten mit. Die Lehrenden seien zum Teil altersbedingt ausgeschieden.
Neuer Studiengang Judaistik startet im Wintersemester
Was es aber immer wieder gebe, seien Jiddisch-Lehrveranstaltungen am Institut für Germanistik sowie am Institut für Jüdische Philosophie und Religion, zuletzt im Sommersemester 2019, erklärt er. Es sei durchaus denkbar, dass künftig weiterhin vergleichbare Kurse angeboten werden.
Zudem führe die Uni zum Wintersemester 2024/25 den neuen Bachelorstudiengang Judaistik ein, der den Fokus allerdings auf das Hebräische legt.
Jiddische Sprache und Kultur
Jiddisch wird auch als Jüdischdeutsch oder Judendeutsch bezeichnet, erste Quellen dazu stammen aus der Zeit um 1350. Es ist eine eigene Sprache, die irrtümlicherweise oft als Dialekt angesehen wurde.
Mit der im Mittelalter einsetzenden Übersiedlung in osteuropäische Gebiete, die später auch auf die zunehmende Verfolgung zurückging, entstand das Ostjiddische in Abgrenzung zum Westjiddischen. Während Letzteres im 18. Jahrhundert nahezu ausstarb, blieb das Ostjiddische erhalten und ist heute gemeint, wenn von Jiddisch die Rede ist. Es enthält viele Elemente der slawischen Sprache.
Das Ostjiddische wiederum breitete sich um 1900 westwärts aus, als eine große Auswanderungswelle osteuropäischer Juden in Richtung Amerika einsetzte. Hintergrund war die nun im Osten beginnende Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Da einige von ihnen auf dem Weg in die Neue Welt doch in Westeuropa blieben, blühte unter anderem auch in Hamburg die jiddische Tradition auf. Anlaufstelle war hier vor allem das kleinbürgerlich geprägte Grindelviertel. Auch in Altona wurde Jiddisch gesprochen.
Generell gilt Jiddisch als Alltagssprache, die jedoch nicht nur gesprochen, sondern auch geschrieben wird. Damit unterscheidet sie sich vom Hebräischen, das lange Zeit nur geschrieben wurde oder für religiöse Zwecke Verwendung fand und heute Landessprache Israels ist. Insgesamt sprechen heute laut Unesco etwa drei Millionen Menschen jiddisch, weshalb die Sprache auf die Liste der gefährdeten Sprache gesetzt wurde. Forscher der Uni Trier gehen hingegen nur von bis zu einer Million jiddisch sprechenden Menschen aus. Zum Vergleich: Anfang des 20. Jahrhunderts sollen es etwa elf Millionen Menschen gewesen sein. Da Jiddisch keinem Land zugeordnet wird, sind konkrete Daten schwer zu erfassen.
Sprache hat offenbar keine Lobby
Die Salomo-Birnbaum-Gesellschaft möchte, dass auch Jiddisch einen festen und unbefristeten Lehrauftrag an der Uni erhält – und fragt sich, warum die Sprache offenbar keine Lobby hat und das Bewusstsein für sie fehlt. Inge Mandos kann es sich nicht erklären.
Über Seminare, in denen jiddische Texte vorgestellt und diskutiert werden, halten Inge Mandos und die Salomo-Birnbaum-Gesellschaft die jiddische Tradition lebendig. Sie veranstalten Treffen, auf denen sie Jiddisch sprechen, und laden zu Lesungen, Vorträgen oder Konzerten ein.
Im Musikalischen ist Inge Mandos besonders aktiv. Unter anderem mit dem WAKS-Ensemble tritt sie regelmäßig deutschlandweit als Sängerin auf und präsentiert jiddische Lieder.
Bibliothek jetzt in Stabi untergekommen
Die rund 1.200 Bücher umfassende Jiddisch-Bibliothek ist der größte Schatz des Vereins und hat mittlerweile in der Speicherbibliothek der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky in Bergedorf ihre Heimat gefunden.
Im November 2023 konnten Inge Mandos und die erste Vorsitzende des Vereins, Renate Gültzow, die Werke übergeben. Zuvor lagerten sie unter anderem im Keller des Lehrerinstituts an der Isestraße.
Die Salomo-Birnbaum-Gesellschaft hofft, dass der jetzige Standort nicht der letzte bleiben wird. Sie haben die Bücher als Leihgabe in die Speicherbibliothek gebracht – mit der Option, dass sie eines Tages doch noch in die Universität ziehen können: Wenn es dort eine Jiddisch-Bibliothek geben sollte.
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