Bruchbude im Hipsterviertel
Früher wurden hier die Nächte durchgetanzt, doch seit Jahren geben Müll und marode Mauern den Takt an: Das Eckhaus in der Eimsbütteler Chaussee verfällt. Warum 1200 Quadratmeter potenzieller Wohnraum zwischen angesagten Cafés und teuren Mietwohnungen leerstehen.
Von Alana TongersAn der Grenze zwischen Matcha-Latte und Filterkaffee, an der das Essen wieder von Tellern und nicht aus Bowls gegessen wird, wo das Schulterblatt aufhört und die Eimsbütteler Chaussee beginnt, da steht ein Haus, das diese Bezeichnung schon fast nicht mehr verdient. „Shisha” steht in verblichenen Buchstaben an der Fassade, „Longdrinks” an einer anderen Ecke. Mehrere Diskotheken waren hier beheimatet. Und in den 80ern soll Regisseur Detlev Buck in der früheren Szenebar Cadillac seinen ersten Film „Erst die Arbeit und dann?” gedreht haben.
Heute bedecken Graffitis die Fensterscheiben, Bauschutt liegt vor der Eingangstür. Vom maroden Dach baumeln Kabel. Ein Bauzaun schlängelt sich um das runde Haus an der Ecke Eimsbütteler Chaussee/Nagels Allee. Um Passanten von der baufälligen Ruine fernzuhalten oder weil hier demnächst gebaut wird?
Verbrannte Erde
Das Haus liegt nur wenige Meter vom Eimsbütteler Teil des hippen Schulterblatts entfernt. Dort sind Wohn- und Geschäftsflächen hart umkämpft – trotzdem steht die ehemalige Shisha-Bar leer. Das Obergeschoss, 2007 noch als Pension angemeldet, seit mindestens sechs Jahren. Und wie lange in der Ladenfläche schon kein Betrieb mehr ist, weiß selbst das Bezirksamt nicht. Es wirkt, als habe sich das verfallene Gebäude schon ins Stadtbild geschlichen, als wäre es in Vergessenheit geraten.
Zuletzt hat es am 9. Oktober 2019 Schlagzeilen gemacht. Gegen ein Uhr nachts wurde die Feuerwehr in die Eimsbütteler Chaussee gerufen. „Es brannten Unrat und Sperrmüll in einem Raum im zweiten Obergeschoss”, so ein Pressesprecher. Verletzt wurde niemand, den Eigentümer des Hauses konnten die Beamten nicht auffinden. Die Brandspuren sind noch heute deutlich sichtbar – die Ursache des Feuers konnte nicht geklärt werden. Bis auf den schützenden Bauzaun wurde an dem Eckhaus seitdem nicht gearbeitet. „Der Zustand ist schlecht”, bestätigt der Pressesprecher des Bezirksamts Eimsbüttel Kay Becker auf Nachfrage.
Wohnen verboten
Wie Medien und Anwohner berichten, sollen immer wieder Obdachlose in dem leerstehenden Gebäude übernachtet haben. 2014 ließ das Bezirksamt die oberen Geschosse des Hauses räumen – weil sie „ungenehmigt zu Wohnzwecken genutzt wurden”. Ungenehmigt deshalb, weil das Haus in der Eimsbütteler Chaussee 1 seit 1961 als Geschäftsgebiet ausgewiesen ist.
Und wohnen im Geschäftsgebiet, das ist nicht gestattet: Denn dort dürften sich belästigende Gewerbebetriebe ansiedeln, die das Wohnen stören würden, heißt es dazu in der noch immer zu großen Teilen gültigen Baupolizeiverordnung von 1938. Wohnen – auf dem über tausend Quadratmeter großen Grundstück an der Ecke zur Nagels Allee ist das behördlich verboten.
2013 stellte der Eigentümer des Hauses eine Bauvoranfrage ans Bezirksamt: Er plante auf der Fläche ein drei- bis fünfgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus mit Staffelgeschoss. 2014 wurde der Antrag abgelehnt. Grund: „Die Befreiung von der Art der Nutzung – Wohnungen im Geschäftsgebiet – wurde nicht zugelassen”, so Becker.
Grundsätzlich könnten Ladenlokale aber in Wohnraum umgewandelt werden, wie eine Sprecherin der Stadtentwicklungsbehörde mitteilt. Nämlich dann, wenn der Bebauungsplan Wohnen zulässt, eine Befreiung erreicht werden kann oder die Räume so umgestaltet werden, dass sie die rechtlichen Anforderungen an Wohnungen erfüllen. Das müsse im Einzelfall geprüft werden, so die Sprecherin.
Abrissgenehmigung abgelaufen
Warum der Straßenabschnitt zwischen Eimsbütteler Chaussee und Nagels Allee überhaupt als Geschäftsgebiet ausgewiesen ist, bleibt unklar. Die Pläne aus den 60er Jahren enthielten im Gegensatz zu heutigen keine Begründungen, heißt es von der Stadtentwicklungsbehörde.
Umliegende Pläne von damals aber zeigen, dass man an der Eimsbütteler Chaussee wohl Gewerbe ansiedeln wollte; das Wohnen sollte sich dagegen überwiegend in den Seiten- und Parallelstraßen konzentrieren. Der Bebauungsplan bleibe in Kraft, bis er „überplant” werde. „Das geschieht dann, wenn sich die stadtplanerischen Absichten oder die tatsächlichen Verhältnisse ändern und dadurch ein Bedarf für eine neue Planung entsteht.”
In den letzten sechs Jahren hat sich kaum etwas am Shisha-Haus getan. Ein Antrag für einen Neubau oder andere Pläne liegt dem Bezirksamt nicht vor. Eine Abrissgenehmigung hat der Eigentümer schon seit 2015. Nach einem Verlängerungsantrag ist diese jedoch im letzten Jahr ausgelaufen. Eine weitere Verlängerung hat er nicht beantragt.
Nun müssten Zwangsmittel angewendet werden, um die Sicherungsmaßnahmen umzusetzen, so Becker. Wann und in welcher Höhe, das könne er aus Gründen des Datenschutzes nicht beantworten.