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Das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Portugal lockte in den 60er-Jahren viele portugiesische Gastarbeiter nach Hamburg. Foto: Privatarchiv Kempe/Arnedo
Migration

Portugiesische Hamburger: Vom Fliehen und Ankommen

Über 10.000 Portugiesen leben in Hamburg, prägen Stadt und Leben. Viele zog es nach Eimsbüttel. Zwei von ihnen haben uns erzählt, wie sie vor mehr als 50 Jahren nach Hamburg kamen und warum sie bis heute geblieben sind.

Von Julia Haas

Nur für ein Jahr, dann wollen sie zurückkommen. 1964 flüchtet Lina Almeida (79) mit ihrem Mann von Portugal nach Hamburg. Sie planen nicht, zu bleiben. Als sie in Deutschland ihre ersten Möbel kaufen, fragen sie, wie man alles wieder auseinander schraubt. Prüfen, ob es in die Koffer passt.

Von Portugal nach Hamburg

Tausende Portugiesen teilen in den 60er-Jahren das Schicksal des jungen Ehepaars. Fehlende Arbeits- und Bildungschancen zwingen sie dazu, ihre Heimat zu verlassen. 1932 führt Präsident Antonio de Oliveira Salazar das Land in eine autoritär-faschistische Diktatur, isoliert es wirtschaftlich und politisch. Mit den einsetzenden Portugiesischen Kolonialkriegen verschlimmert sich die Situation. Ein Großteil der Bevölkerung leidet unter Armut. Hoffnung verspricht das 1964 vereinbarte Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Portugal. 

Mit der Perspektive zurückzukehren, sobald sich die politische Situation ändert, reisen die 21-jährige Lina und ihr Mann nach Hamburg. Das junge Paar sucht die Nähe zur Heimat und findet sie bei anderen portugiesischen Gastarbeitern. Obwohl Lina nicht in die “Gruppe grober Männer” passt – sie ist Studentin, hört gerne klassische Musik – geben ihr das Essen mit Landsleuten und die vertraute Sprache ein Gefühl von zuhause.

Auch Isabel Arnedo Campina (64) kommt vor über 50 Jahren mit ihren Eltern nach Eimsbüttel. Sie ist damals 12 und noch ein Kind, doch fühlt sich sofort heimisch. Wie in Lissabon findet sie in Hamburg ihren Hafen: “Es war ein Genuss, die Schiffe zu hören.” Diktatur, Migration und Gastarbeit – Isabel ist zu jung, um die Umstände zu verstehen. 

Das neue Leben in Hamburg

Anders als Lina. Lange sehnte sie sich nach politischer Stabilität in ihrer Heimat. 1974 erfüllen sich ihre Wünsche. Mit der Nelkenrevolution am 25. April endet die Diktatur in Portugal, das Land ordnet sich neu – demokratisch. Lina und ihr Mann haben mittlerweile zwei kleine Kinder, könnten endlich als Familie zurückkehren.

Doch in ihren zehn Jahren in Hamburg haben sie neue Wurzeln geschlagen. Die junge Mutter erfährt eine neue Selbstverständlichkeit, lernt, dass auch Männer einen Staubsauger benutzen können. “Ich komme aus dem Süden Portugals – dort haben die Männer das Sagen.” In Deutschland sei das anders. Gemeinsam entscheidet sich das Paar, in Hamburg zu bleiben. Wenn sie alt sind, könnten sie immer noch zurück.

Lina Almeida (links) und Isabel Arnedo Campina (rechts) kamen in den 60er-Jahren von Portugal nach Hamburg – und sind geblieben. Foto: Privatarchiv Kempe/Arnedo

Dieses Jahr feierte Lina ihren 79. Geburtstag. Sie lebt in Eimsbüttel. Ihr Mann ist inzwischen verstorben: “Ich bin immernoch hier – bei meinen Kindern und Enkelkindern. Ich gehe nicht mehr zurück. In Portugal fühle ich mich auch nicht mehr zuhause.”

Auch in Isabels Familie spielten Frauen- und Familienrechte eine wichtige Rolle: “In Portugal war meine Mutter Hausfrau, in Deutschland dann Gewerkschaftsmitglied.” Die neue Heimat habe ihr eine Würde gegeben, die sie nicht mehr missen wollte. Isabel ist in Hamburg aufgewachsen und geblieben: Sie hat hier ihre Familie gegründet und arbeitet heute als Sozialarbeiterin. 

Vorbild für neue Migrationswellen

Wie Lina und Isabel erging es vielen portugiesischen Arbeitsmigranten. Sie fanden in Hamburg Zuflucht und Heimat. Heute leben über 10.000 Portugiesen in der Hafenstadt. Ihre Geschichten erzählen von glücklichen Zufällen und unerwarteten Begegnungen.

So erinnert sich Lina an eine Frauengruppe, die in den 80er-Jahren schwimmen lernen wollte: “Das waren vielleicht 10 bis 15 dicke portugiesische Mamas – ein Bademeister hat ihnen geholfen.” Alle erhielten ihr Seepferdchen. Um den Erfolg zu feiern, organisierte Lina mit den Frauen ein Fest im Schwimmbad mit Volksmusik und Bacalhau. “Für die anderen Gäste war das etwas befremdlich. Aber der Bademeister erzählt noch heute, dass es das Ereignis seines Lebens war.”

Ihre Geschichten können ein Vorbild für neue Migrationswellen sein. Lina weiß: “Sie brauchen Unterstützung, um an sich selbst zu glauben und so ihren eigenen Weg zu finden.” 

beenhere

“Die portugiesischen Hamburger – Eine besondere Geschichte von Arbeit und Leben”


In seinem Buch zeichnet Martin Kempe ein Bild der portugiesisch-hamburgischen Geschichte – angefangen mit dem Anwerbeabkommen 1964 bis heute. Kempe sammelt darin Geschichten und Erfahrungen verschiedener Arbeitsmigranten – auch von Lina und Isabel. Die Buchidee resultierte aus einer Ausstellung im Völkerkundemuseum über das portugiesische Leben in Hamburg. Herausgeben wurde das Buch von der Geschichtswerkstatt Eimsbüttel und der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg & Hafen.
Das Buch ist im Buchladen Osterstraße, in der Bücherhalle Eimsbüttel und in der Geschichtswerkstatt Eimsbüttel (ggf. vorher anrufen und Termin vereinbaren) erhältlich.


“Die Liebe teilt sich nicht – sie verdoppelt sich”

Viele sind geblieben und fanden eine neue Heimat – ohne die alte zu vergessen. Über Identität und das Heimatgefühl in der Fremde.

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