Schutzkleidung – das Gold der Krise
Die Firma „Interspiro“ stellt Schutzkleidung her – und ist in Corona-Zeiten gefragt wie nie. Ein Besuch bei Geschäftsführer André Jänicke in Eidelstedt.
Von Alana TongersAndré Jänickes Telefon steht in diesen Tagen nicht still. „Die Anfragen sind um hundert Prozent gestiegen“, erzählt er, während es im Hintergrund erneut klingelt.
Jänicke ist Chef des deutschen Standorts von Interspiro in Eidelstedt. Das Unternehmen stellt Chemikalien, Schutzanzüge, Tauch- und Atemschutzgeräte her. Während andere in Corona-Zeiten um ihre Existenz kämpfen, kann sich Interspiro vor Anfragen kaum retten.
Mangel war absehbar
Interspiro beliefert öffentliche Träger – zum Beispiel die Bundeswehr, Polizei und Feuerwehr. Keine Privatkunden, keine Super- oder Baumärkte. Seit Beginn der Pandemie sind zwar viele neue Kunden dazu gekommen, die Bestellungen ähneln sich aber: Einmal-Schutzanzüge und Mundschutze sind gefragt.
Genau diese Produkte sind in Deutschland momentan kaum zu bekommen. Das war absehbar, meint Jänicke. Weil die Lohnkosten in Asien deutlich niedriger sind, wurde die Produktion von Schutzkleidung in Deutschland über Jahre heruntergefahren. Als die Pandemie in Wuhan ausbrach, hat China die Produktion fast eingestellt. Mittlerweile produzieren die asiatischen Werke zwar wieder, doch “dort kriegt man wohl erst Ende August, Anfang September wieder Ware”, so Jänicke.
Interspiro spürt die Entwicklungen auf dem Markt schon früh und reagiert: Sie fahren die Produktion von Einweg-Schutzanzügen in den Werken in Frankreich hoch. “So ist der Anzug vielleicht einen Euro teurer. Aber er kommt aus Europa, hat Qualität und kurze Lieferwege”, erzählt Jänicke. In einem Werk in Italien stehen die Maschinen gar nicht mehr still – 24 Stunden am Tag produzieren sie hier Mundschutze für Interspiro.
Gespräch mit der Bundesregierung kommt zu spät
Und trotzdem – es reicht nicht. Um den derzeitigen Bedarf zu decken, müssten zehn Millionen Schutzanzüge im Monat produziert werden. „Aber mehr als eine Million plus ein bisschen schafft man nicht“, erklärt Jänicke. Das Ergebnis: Eine Mangelwirtschaft mit langen Lieferzeiten und Abhängigkeiten vom asiatischen Markt.
Vor sechs Wochen hat die Bundesgesundheitsbehörde Interspiro gemeinsam mit anderen Unternehmen der Branche zur Videokonferenz eingeladen. Sie wollten wissen: Wie ist der Markt aufgestellt? Wer kann was und vor allem wann produzieren? Drei Wochen später meldet sich Gesundheitsminister Jens Spahn persönlich. Die Ansätze des Ministeriums seien gut gewesen. Und trotzdem: „Es war zu spät. Zu diesem Zeitpunkt waren die Märkte schon zu“, so Jänicke. Die Bundesregierung erteilt Interspiro trotzdem einen großen Auftrag für Schutzanzüge. Für September. Früher geht es nicht.
Goldgräberstimmung auf dem Markt
Kein Wunder also, dass die Preise für Schutzkleidung weltweit in die Höhe schießen. Um bis zu 3.000 Prozent für einen hochwertigen Mundschutz, das zeigen Recherchen von WDR, NDR und SZ. “Es fühlt sich an wie im Wilden Westen”, beschreibt Jänicke die Lage. Goldgräberstimmung auf dem Markt.
Interspiro entschied sich, die Preise nicht zu erhöhen. Man habe eine Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber. Der Geschäftsführer denkt aber auch an den Tag nach der Krise: Er könne den Kunden nicht plausibel erklären, warum die Preise auf einmal niedriger sein sollen. “Da schießt man sich selbst ins Knie und läuft am Ende humpelnd raus.“
„Wir sind echt am Limit“
„Keiner hat geglaubt, dass uns das erreicht“, erinnert sich Jänicke an den Ausbruch des Virus in China. Die Regierung habe den Katastrophenschutz in den letzten Jahren konsequent runtergefahren. Nichts sei mehr auf Lager. Nun herrscht der erwartbare Mangel.
Bis Ende Mai ist Interspiro vollkommen ausgelastet. „Wir sind echt am Limit”, erzählt André Jänicke. Auf die Uhr schaut er bei der Arbeit nicht mehr. Obwohl sein Unternehmen finanziell profitiert, hofft er, dass sich die Lage bald entspannt. Wann das sein wird, kann auch er nicht sagen.
In eigener Sache: Wir wollen so gut wie möglich über die aktuellen Entwicklungen informieren. Dafür haben wir u.a. einen kostenlosen Newsticker für euch eingerichtet. Doch auch uns stellt die Corona-Krise vor finanzielle Herausforderungen. Über Eimsbüttel+ könnt ihr zum Fortbestand unseres journalistischen Angebots beitragen.