
WG-Kolumne #1: Schwanger – und nu?
Eine Kolumne über die Möglichkeiten alternativer Lebensentwürfe. In der Reihe „WG-Kolumne – Zwischen Windel und Gin Tonic“ berichtet unsere Autorin Nele Deutschmann aus ihrer Eimsbütteler Studierenden-WG: Eine Wohnung, ein Pärchen, ein Baby und sie.
Von Nele Deutschmann„Aber du schreibst nicht darüber, dass ich ständig Durchfall habe, oder?“, fragt meine Mitbewohnerin. Das ist meine WG: Sie (28), ich (26), er (27) und das Mini (4. Woche). Noch neun Monate to go.
Zweck-WG, Party-WG, Familienersatz – eine Wohngemeinschaft kann vieles sein und jeder hat so seine Vorstellungen, was es bedeutet, sich sein Zuhause mit anderen Menschen zu teilen. Während der Gedanke einer gemeinsamen Toilettenbenutzung bei den einen Würgereflexe auslöst, genießen andere die Gemeinschaftlichkeit. „Mit wem wohnst du so?“ ist gerade unter Studierenden eine der üblichen Small-Talk-Fragen.
Die WG ist längst zu einem Standardmodell geworden. Deutschlandweit wohnen 2018 laut Statista 5,04 Millionen Personen in einer Wohngemeinschaft. Bei einer durchschnittlichen Miete von beinahe 450 Euro für ein Zimmer in Hamburg auch kein günstiges Vergnügen mehr. Und dennoch: Welche WG bietet nicht Raum für vergnügliche Alltagsgeschichten?
Plötzlich WG
2016 sitze ich verweint bei Esther und Gustav auf dem Sofa. Eine Trennung ist durch und ich ahne noch nicht, dass dieses Sofa für das nächste Jahr meine Schlafstätte sein wird. Gustav kümmert sich erst mal um Nervennahrung. Die beiden hatten mich kurzerhand eingepackt und mit zu sich nach Hause genommen – aus meiner Pärchenwohnung in ihre Pärchenwohnung. Damit, dass sie mich nicht mehr loswerden würden, haben sie vermutlich nicht gerechnet.
Was eigentlich als Zwischenlösung angedacht war, wird schnell vertraut. Wir sind da so reingerutscht, werden wir später sagen. Ein schöner Zufall. Bald haben wir ein abendliches Ritual: Nach dem Kochen treffen wir uns auf der Couch – die danach zu meinem Bett wird – klönen, lesen, betreiben ganz generationsgemäß Serien-Binge-Watching und schlafen irgendwann gemeinsam ein.
Von süß bis seltsam
„Süß“, sagen die einen; „Irgendwie seltsam, was ihr da treibt“, finden die anderen. Das Modell WG ist zwar vertraut, aber die Kombination aus Pärchen und einer dritten Person löst gemischte Gefühle aus. „Ist das nicht irgendwie komisch?“ Eigentlich nicht.
Die Absicht, eine neue Wohnung für mich zu suchen, wird schnell über den Haufen geworfen und wir starten den Versuch, eine neue, größere Wohnung für unsere Dreiergemeinschaft zu finden. „Bleib doch einfach“, haben sie gesagt, jetzt gehen wir zusammen. Aus der Barmbeker Wohnung ziehen wir zu dritt ins Grindelviertel.
Ohne ein paar Hindernisse funktioniert das jedoch nicht. Die Wohnung, die wir nach einer ein Dreivierteljahr andauernden Suche im Hamburger Wohnungswahnsinn bekommen haben, ist schwer renovierungsbedürftig. Es ist ein schöner Eimsbütteler Altbau, aber es liegt Teppich auf den Dielen, die Decken sind aus unerfindlichen Gründen schwarz oder dunkelrot gestrichen und riesige Löcher klaffen in den Wänden.
„Ihr habt doch zu dritt was am Laufen!“
Der Vermieter glaubt uns nicht, dass wir keine komunenhafte Dreierbeziehung führen und überlässt uns die Wohnung gerade deshalb. „So habe ich doch damals auch gelebt“, lacht er durch das Telefon. Heute sitzt er mit Frau und Drillingen in Brasilien und erinnert sich offensichtlich gerne an seine „wilden Zeiten“. Was andere Vermieter eher abgeschreckt hatte, verschafft uns bei ihm einen Vorteil. Wir lassen ihn in dem Glauben und krempeln die Ärmel hoch.
Fast zwei Monate renovieren wir gemeinsam unser neues Zuhause, studieren und arbeiten nebenher, werden wochenlang die Farbspritzer nicht mehr los – und schlagen uns trotzdem nicht die Schädel ein. Welche Familie kann das schon von sich behaupten?
Ende Mai 2018 liege ich verkatert im Bett. Eine Freundin mit Liebeskummer hat sich angekündigt, ich gehe schon mal die Möglichkeiten zur Tröstung durch und erstelle gedanklich ein individuell zugeschnittenes Aufmunterungspaket. Nur schnell noch mal rüber zu Esther und Gustav ins Bett krabbeln und einen kleinen Morgenkaterklönschnack einlegen. Schon auf der Leiter zu ihrem hippen Hochbett spüre ich, dass etwas anders ist. Gustav grinst, Esther hat ganz rote Wangen: Wir sind schwanger.