„Zuhause wäre ich einsam“
Menschliche Nähe ist in Zeiten der Pandemie ein Risikofaktor – besonders für Alte und Kranke. Wie erlebt die Bewohnerin eines Seniorenheims Corona? Ein Telefonat.
Von Alana TongersFrau Böge ist 82 Jahre alt und wohnt seit fünf Jahren im St. Markus Seniorenzentrum (Martha-Stiftung) in der Gärtnerstraße. Sie sieht den Dingen trotz Virus gelassen entgegen – und erzählt uns, warum sie jetzt schon für Weihnachten bastelt.
Eimsbütteler Nachrichten: Wie geht es Ihnen heute?
Frau Böge: Naja, körperlich habe ich Schwierigkeiten. Aber das hat nichts mit Corona zu tun. Ich verkrafte das gut, bin es gewohnt, viel drinnen zu sein, und habe keine Probleme mit dem Alleinsein. Aber eigentlich ist man nicht alleine, andauernd kommt ein Pfleger und bringt etwas.
Wie erleben Sie die Corona-Krise im Seniorenzentrum St. Markus?
An und für sich sind wir alle ruhig und friedlich, nehmen es hin, wie es ist. Aber ich mache mir Sorgen, wie es weitergeht, auch wirtschaftlich. Persönlich geht es mir aber gut.
Vermissen Sie den Kontakt zu Nachbarn und anderen Bewohnern?
Das schon. Aber neben mir sitzt gerade eine 99-Jährige, sie feiert dieses Jahr noch ihren Hundertsten und ist gut drauf. Sie freut sich, dass wir beide uns gefunden haben. Sie sagt auch: „Wir müssen es hinnehmen, wie es kommt.“
Sie fühlen sich also trotz Corona gut aufgehoben?
Ja. Die Pfleger geben sich viel Mühe, spielen mit uns und zeigen alte Filme mit Kassetten über den Fernseher.
Ich freue mich, dass ich nicht kochen oder abwaschen muss. Ich werde betreut, bin mit Leuten zusammen. Das ist schön. Zuhause wäre ich einsam.
Da kann man nicht zu früh anfangen. Weihnachten kommt ja doch immer schneller als gedacht.
Ja! Außerdem dauert es, bis man so eine Kugel fertig hat. In den letzten Jahren habe ich die an Pfleger verteilt. Die freuen sich, wenn sie dieses Jahr auch eine kriegen. Viele der Bewohner können mit ihrer Zeit nichts anfangen, ich habe genug Beschäftigung.
Warum sind Sie damals umgezogen?
Ich war auf meine Freunde angewiesen, kam die Treppe nicht mehr herunter. Ich war auch einsam. Obwohl meine Freunde kamen, aber die gehen wieder. Hier aber weiß ich: Wenn was ist, ist jemand für mich da. Ich klingel dann, und es kommt jemand. Aber ich klingel am wenigsten, die Pfleger sagen, ich bin so ’ne Ruhige (lacht).
Haben Sie heute noch etwas vor?
Ich gehe höchstens noch in unseren schönen Garten und drehe eine Runde. Auf die Straße gehe ich gar nicht mehr. Gestern waren zwei junge Männer mit einer Gitarre im Garten und haben gesungen, und vorgestern kamen ein paar Männer vom Polizeiorchester.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Böge. Haben Sie noch einen schönen Tag!
Vielen Dank für Ihren Anruf. Auf Wiedersehen!
»Wir sterben nicht an einer Krankheit«
Auch die 79-jährige Renate Sauter wohnt mit ihrem 92-jährigen Mann in einer Seniorenwohnung. Corona hat ihren Alltag verlangsamt: