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In der Corona-Krise verschwimmen die Regeln des sozialen Umgangs - wie gestern an der Hoheluftbrücke. Symbolbild: Alex Povel
Glosse: Achter Teil

Corona-Tagebuch: Ein kurzer Moment der Klarheit an der Hoheluftbrücke

Martin Busche zählt mit uns allen die Tage, die uns Corona stiehlt und führt ein öffentliches Tagebuch: subjektiv, ehrlich, schonungslos. Bis Corona uns hoffentlich scheidet.

Von Martin Busche

Dienstag, 31. März

Okay, ich habe zwischendurch auch gelacht. Blödheit kann lustig sein. Aber im Grunde ist die Geschichte traurig, ärgerlich, doof, je nachdem. 

Der Edeka an der Hoheluftchaussee war gestern Epizentrum der Ignoranz. Jugendliche meinten da gestern eine Corona-Stehparty feiern zu müssen. Zuerst zu dritt, dann zu viert, sechst, acht. Ich hab irgendwann nicht mehr gezählt. Es waren auf jeden Fall mehr als zwei. Ich kann zählen.
Und das mitten in Eimsbüttel, wo besonders viel los ist, direkt an der U-Bahnstation. Leute kommen und gehen. Schauen, staunen. Niemand tut was.

Schon im Edeka selber war die Luft irgendwie dünn. Ich frag mich schon lange nicht mehr, warum junge Frauen unbedingt zu zweit auf Toilette gehen müssen, an der Supermarktkasse ist mir der Herdentrieb aber neu. Ganz locker schoben sich da zwei Teenager hintereinander durch. Von Abstand keine Spur, Tuchfühlung war angesagt, lachen, kichern und lautes Schwatzen. Anna hat den Sven gerade versetzt. Sophie mit dem Mike Schluss gemacht. Papa ist zu Hause, was nicht schön ist, weil der schon zu “Friedenszeiten” anstrengend ist. Jetzt im Dauermodus nervt er noch mehr. Was Jugendliche halt so schwätzen. Sie hatten sich viel zu erzählen, offenbar lange nicht gesehen. 

Ich stand direkt dahinter, brav aufgereiht an der neuen Demarkationslinie für Kunden, Abstand halten. Einigermaßen fassungslos. Die Kiddies haben niemanden gestört. Die Kassiererin nicht, Kunden vor mir nicht, nach mir nicht. Auch der Securitymann hätte jetzt mal was für seine Branche tun können, die ist zu recht schlecht beleumdet. Aber wenn man ihn mal braucht, ist der nicht da. Hätte ich gewusst, dass die Kasse nur das Vorspiel ist, hätte ich schon da was gesagt. Aber wer will der erste sein, wenn der Rest schweigt.

Partytime vor Edeka

Draußen hatten sich dann schon die Kumpels der Mädels eingefunden. Brav aufgereiht im Kreis. Ob Sven und Mike dabei waren? Glaub ich nicht. Die waren ja im Essig. Was mit Anna war, weiß ich jetzt auch nicht so genau. Solche Recherchen sind ja nicht ohne. Was stehe ich da rum, zu Corona-Zeiten? Ich bin zwar, na ja, vielleicht jetzt nicht so gut gebaut, aber stabil, das auf jeden Fall, kann mich also sehen lassen. Werde schlecht übersehen, falle auf. Meistens positiv. Aber wenn das Ordnungsamt jetzt doch mal kommt, räumen die mich als erstes ab. Zählen mich öffentlich an, voll peinlich ist das. „Gehen sie nach Hause, stehen sie nicht so doof rum, Sie in ihrem Alter. Sie sollen doch Vorbild für die Jugend sein, stattdessen schauen sie denen auf den Hintern“. Das ist nicht witzig, geht gar nicht. „Davon träumste nachts“.

Zum Glück bin ich multitaskingfähig. Und das als Mann. Mein linkes Auge kann auf die Uhr schauen, so tun, als sei ich verabredet. Das rechte Ohr lauscht derweil weiter der Rotte. Da ging es weiter um Papa. Vor dem würde ich vielleicht auch fliehen. Der steht auf drastische Strafen. Die Flasche Wodka unter dem Bett kostet ein Jahr Handyverbot. Wegen der fünf in Mathe ist die Playstation weg. Schon schräg, in Zeiten von Corona. 

Die Party rechtfertigt das nicht. Zumal die ganze Geschichte jetzt Fahrt aufnimmt. Als noch jemand dazu stößt, der Wievielte eigentlich, versucht  einer der Typen unbedingt High Five. Noch wollen die anderen nicht wirklich. Was ziemlich blöd aussieht. Sekundenlang hält der seine Hand in der Luft. Niemand schlägt ein. Das zumindest haben die meisten geschnallt. Händeschütteln war gestern, heute ist Corona. Nur ein kurzer Moment der Klarheit. Das mit der Spucke, mit dem Atem, den Tröpfchen, war dann doch zu schwierig. Sie teilten sich allen Ernstes ihre Zigaretten. Reihum ging das Ding, jeder durfte mal dran lutschen, okay ziehen, ich weiß schon. Auf jeden Fall schön seinem Nachbarn den Speichel weitergeben. Unfassbar. Jetzt war genug.

Irgendwer musste doch mal was sagen. Ich – wurde laut. Das hat sie zumindest erschreckt. Bewirkt hat es nichts. Meinen Spruch: „Guckt ihr auch Fernsehen oder nur Netflix“ fanden sie eher witzig. Er ist ja auch nur so mittel. Eher was für Senioren. Er hat aber geholfen. Die Atmosphäre wurde ungemütlich, die Party war vorbei. Zum Abschied jeder noch eine Umarmung, einen Kuss, ein Gruppenselfie zur Erinnerung. Das muss noch sein. Dann ging es heim. Zu Papa. Strafe muss sein.



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