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Als Logistiker sorgt Robert Kösch für reibungslose Landungen im Kongo – Rinderherden oder Regengüsse erschweren seinen Job immer wieder. Foto: Privatarchiv Robert Kösch
Magazin #25

Ein Luftschloss im Kongo

Er geht von Eimsbüttel in den Kongo, will helfen, ein Krankenhaus zu bauen. Aber Gutes tun ist nicht so einfach wie gedacht.

Von Vanessa Leitschuh

Robert Kösch ist im Höhenflug. Er gleitet über die Dünen der dänischen Küste, unter ihm seine Freunde, dunkle Punkte im weißen Sand. Es ist Ende März, der Wind weht stark an diesem Tag. Plötzlich erfasst ein Windstoß seinen Gleitschirm, wirft ihn meterweit zurück, er verliert die Kontrolle. Beim Aufprall auf die Düne bricht seine Rippe, bohrt sich ins Lungenfell, bis der linke Lungenflügel wie ein Luftballon mit Loch in sich zusammenfällt.

Wahlheimat: Eimsbüttel

Zwanzig Minuten später liegt Kösch auf dem Operationstisch. Chirurgen versuchen, mit feinen Instrumenten das Loch zu schließen. Als er aufwacht, steht sein Arzt vor ihm: „Herr Kösch, Sie hätten sterben können.” Der Satz überrollt den 26-Jährigen, trifft ihn wie ein zweiter Aufprall. „In seinen Zwanzigern fühlt man sich unsterblich – und plötzlich stellt man fest: Alles kann sich heute noch ändern.” Von da an taucht die Frage in ihm auf: Wie sinnvoll hatte er die letzten Jahre genutzt?

Eimsbüttel ist Robert Köschs Wahlheimat. Aufge­wachsen ist er in Mainz, aber verwurzelt ist er hier: Er trifft sich mit Freunden zum Frühstück auf dem Else-Rauch-Platz. Geht in der Q-Bar was trinken. Sonntags gibt es Eimsbuscher aus der Kleinen Konditorei. Seit sieben Jahren lebt er in Eimsbüttel, mittlerweile mit seiner Frau. Aber der Unfall hatte etwas verändert, hatte alles zum Stillstand und dann ins Rollen gebracht. Er sucht nach einer Veränderung – und fasst einen Plan.

Reise in den Kongo

Wenige Monate nach dem Unfall feiert Robert Kösch seine Abschiedsfeier in der Q-Bar und verlässt Eimsbüttel in Richtung Afrika. Mit Ärzte ohne Grenzen will er ein Krankenhaus im Kongo aufbauen. Er hatte gespürt, welchen Schatz wir hüten, mit einem Gesundheitssystem wie dem unseren, und wie selbstverständlich gute medizinische Versorgung für uns ist. Er ist zwar kein Arzt, sondern Projektmanager bei Airbus, aber auch die werden bei einem Projekt wie dem Bau eines Krankenhauses gebraucht.

Und plötzlich ist Kösch im Kongo. In der Stadt Baraka, in der es Lehmhäuser mit Strohdächern, Sandpisten und Mangobäume gibt, aber keine asphaltierte Straße, kein Verkehrsschild, keinen Stromkasten oder Wasserhahn. Bis vor sieben Jahren waren Barakas Straßen auf keiner Karte zu finden, obwohl rund 150.000 Menschen dort leben.

„Krankheiten, die man verhindern kann“

Baraka liegt in der Provinz Süd-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Die nächstgrößere Stadt, Bukavu, ist vier Stunden mit dem Geländewagen entfernt. Es gibt kaum Infrastruktur. Die Menschen leben in einer Welt, die sich jeden Moment ändern kann. In Hütten, die jeden Tag vom Regen weggespült werden können. Milizen sind in der Region aktiv, kämpfen um die Kontrolle der wertvollen Bodenschätze. Immer wieder kommt es zu Überfällen, Vergewaltigungen werden als Kriegswaffe eingesetzt. Auf Swahili bedeutet Baraka Segen.

Eine typische Straße in Baraka: kein Asphalt, viele Kinder, Verkäufer bieten ihre Waren an und die Stromkabel sind ohne Funktion. „Die Stadt war so anders als alles, was ich bislang gesehen hatte“, erinnert sich Kösch an seine Ankunft. Foto: Privatarchiv Robert Kösch

Und es sind Orte wie diese, die als Erste durch das Netz eines maroden Gesundheitssystems fallen. Seit 17 Jahren arbeiten die Helfer von Ärzte ohne Grenzen dort, bekämpfen Krankheiten wie Masern, Tuberkulose oder Cholera. „Krankheiten, die man absolut verhindern kann”, sagt Kösch. Doch das kongolesische Gesundheitssystem ist dem nicht gewachsen. Laut Weltbank gibt kein Land weniger für die Gesundheit seiner Einwohner aus: 18,5 US-Dollar pro Kopf waren es im Jahr 2018 – in Deutschland waren die Ausgaben 300 Mal so hoch. Und je ländlicher die Gebiete, desto überforderter die Kliniken im Kongo.

So auch das Krankenhaus in Baraka. Als Kösch die Einrichtung zum ersten Mal besucht, sind alle Betten belegt, stehen dicht an dicht, in manchen liegen drei Kinder gleichzeitig. Die Zimmer verteilen sich auf kleine Hütten, die früher als Konvent genutzt wurden. Es gibt weder ein Röntgengerät noch eine Küche – Mahlzeiten bereiten die Familien der Patienten zu.

„Baraka braucht dringend ein neues Krankenhaus”, denkt er nach dem Besuch und ist froh, Teil dieser Mission zu sein. Als Logistiker wird er helfen, die modernste Klinik im Ostkongo zu bauen.

Ein Bezirkskrankenhaus für Baraka: Das „Refugium Regenerativum“ ist ein Konzept, wie in wenig entwickelten Ländern eine Gesundheitsversorgung sichergestellt werden kann. Entwurf: Phillip Knaus betreut durch Prof. Carsten Roth, Wolfgang Sunder und Max Wetzig, Technische Universität Braunschweig

Die zwei Seiten der Hilfe

Es ist ein einfaches Versprechen, dem sich Ärzte ohne Grenzen verschrieben hat und das Robert Kösch zu seiner Mission brachte: medizinische Hilfe leisten, wo sie dringend gebraucht wird. Aber die Wirklichkeit dahinter ist komplexer, als er gedacht hätte.

Kösch und sein Team sind auf dem Weg zu einem Einsatz. Sie kommen nicht weiter, Wassermassen haben das Fundament einer Brücke unterspült. Wie es mit der Brücke weitergehe?, fragen sie Männer am Straßenrand. Achselzucken. „Irgendeine NGO wird sich schon darum kümmern.” Es sind Situationen wie diese, die den Eimsbütteler stocken lassen. Internationale Organisationen bauen Brücken, aber zeigen den Menschen vor Ort nicht, wie sie diese warten. „Sie nehmen ihnen das Denken ab.” Statt selbst nach Lösungen zu suchen, vertrauen jene auf Hilfe von außen. „Aber so kann Hilfe nicht funktionieren. So entsteht Abhängigkeit.”

Es kommt anders

Robert Kösch ist Logistiker. Das spürt man an der Art, wie er redet. Lange erzählt er von seinen Monaten im Kongo, aber nie verliert er sich in Nebensträngen. Seine Worte scheinen auf Draht gezogen, folgen immer einer Logik. „So gut unsere Motive auch waren, so waren wir doch eine Kraft von außen.”

Mit dem Bau des Krankenhauses, dem größten Infrastrukturprojekt in der Region, musste Ärzte ohne Grenzen mit Fingerspitzengefühl vorgehen, denn ein Projekt wie dieses konnte den lokalen Markt aus dem Gleichgewicht werfen, Materialpreise in die Höhe schießen lassen. Mittlerweile ist die Machbarkeitsstudie abgeschlossen, die Ausschreibungen haben begonnen, bald sollen die Bagger anrollen. Aber es kommt anders. So wie es überall auf der Welt anders gekommen ist.

Gebrochene Versprechen

Es war Januar 2020, als Köschs Mission im Kongo begann. Drei Monate später breitete sich das Coronavirus so weit aus, dass die EU ihre Außengrenzen schließt. Kurz darauf erreicht es auch den Kongo. Bis dahin haben die Kinder Muzungu, Muzungu gerufen, wenn sie Kösch auf der Straße sahen. Muzungu, der Weiße in Ostafrika. Jetzt zeigen sie mit dem Finger auf ihn und rufen Corona, Corona, nach der Krankheit der Weißen.

Ein neues Virus, in einem Land, das mit Viren wie Ebola und Masern kämpft, dessen Gesundheitssystem auch ohne Pandemie am Rande seiner Kapazitäten ist. Am 19. März 2020 meldet die kongolesische Wirtschaftszeitung Zoom Eco, dass in der Demokratischen Republik Kongo insgesamt 50 Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen – bei rund 90 Millionen Einwohnern. Ärzte ohne Grenzen beschließt, den Neubau des Kran­kenhauses vorerst zu stoppen: Die Corona-Bekämpfung hat Vorrang.

Große Enttäuschung, große Angst

„Es war ein Schlag ins Gesicht”, erinnert sich Kösch. So vieles hatten sie unternommen, um die Menschen auf das neue Krankenhaus vorzubereiten. Einige Einheimische hatten ihre Grundstücke verschenkt. „Plötzlich heißt es: Wir müssen den Bau stoppen.” Barakas Einwohner waren oft von der Politik enttäuscht worden: Ein internationaler Flughafen, ein Stadion, ein Kraftwerk waren ihnen versprochen worden. Alle Straßen in Baraka sollten asphaltiert werden. „Nichts davon ist passiert. Und dann kommen wir von Ärzte ohne Grenzen und sagen: Wir bauen euch ein Krankenhaus, es wird ganz toll und groß.” Aber nichts passiert.

Die Enttäuschung ist groß, so wie die Angst vor dem Virus. „Man muss sich klarmachen, wie sich das für die lokale Bevölkerung anfühlen musste: Im Kongo waren 2019 mehr als 6.000 Kinder an Masern gestorben, einer Krankheit, die bekannt ist, für die zuverlässige Impfstoffe existieren.” Als Konsequenz passiert wenig. Mit Corona wurden nun weltweit mit aller Kraft konkrete Maßnahmen getroffen.

Entführte Kollegen und Verschwörungstheorien

Die Sicherheitslage für das Team von Ärzte ohne Grenzen verschärft sich. Plötzlich haben die Helfer nicht nur mit dem Aufbau eines Corona-Zentrums zu tun, sondern werden auch bedroht. Die NGO wird zur Zielscheibe von Verschwörungstheorien: „Ärzte ohne Grenzen will einen Impfstoff testen, und wir sind Versuchskaninchen”, heißt es. Andere vermuten, die Organisation habe das Virus absichtlich eingeschleppt, um zusätzliche Geldspenden einzusacken.

Als sein Chef Baraka verlässt, trägt Kösch die Verantwortung für das Projekt und die Mitarbeiter, muss sich mit Bürgermeister, Behörden und Militär abstimmen. „Wir wollten doch eigentlich helfen. Stattdessen hetze ich von einem Katastrophen-Meeting zum nächsten und überzeuge die Menschen davon, dass wir nur Gutes wollen.”

„Ihr geht, die Probleme bleiben”

Die Situation spitzt sich zu. Rebellen überfallen wiederholt Geländewagen und entführen Helfer der NGO. Trotzdem arbeiten diese weiter. „Es war ein unfassbares Team aus internationalen und nationalen Mitarbeitern. Wir waren zu einer Familie geworden, die sich nach Kräften unterstützt.” Bis es zu einer dritten Entführung innerhalb weniger Monate kommt, und Ärzte ohne Grenzen die internationalen Mitarbeiter aus Baraka abzieht. Man wolle die Entwicklung beobachten und beide Projekte in Baraka für drei Monate einstellen – sowohl den Bau des neuen als auch die Betreuung des alten Krankenhauses. Der Leiter des bestehenden Krankenhauses ist fassungslos: „Ihr geht, aber die Probleme bleiben hier.”

Während Robert Kösch erzählt, rutscht ihm immer wieder die Brille von der Nase, als weckten seine Worte Erinnerungen an den Kongo, die sie vor Schreck die Haltung verlieren ließen. Ungerührt schiebt Kösch sie zurück. „Und dann fliegt man über die Stadt, zurück nach Europa, ins goldene Land, und für meine kongolesischen Mitarbeiter bleibt das Leben hart – und wird härter, weil sie alle ihren Job verloren haben.”

Das Krankenhaus wird nicht gebaut

Am 14. August 2020, so berichtete die lokale Kivu Times, marschierten Einwohner von Baraka durch die Straßen der Stadt und verlangten die Rückkehr von Ärzte ohne Grenzen. Sie forderten die Verurteilung derjenigen, die mit den Entführungen ihre Stadt in Unsicherheit gestürzt haben.

Nachhaltig und mit regionalen Materialien: Nach dem Motto „Bauen mit und für die Gemeinschaft“ sollte ein Krankenhaus entstehen, das neben der reinen Behandlung auch auf Lebensumstände und gesellschaftliche Verhältnisse der Kranken eingeht. Foto: Phillip Knaus betreut durch Prof. Carsten Roth, Wolfgang Sunder und Max Wetzig, in Kooperation mit Ärzte Ohne Grenzen / Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE), Technische Universität Braunschweig

Am 1. Dezember 2020 veröffentlicht Ärzte ­­ohne Grenzen eine Pressemitteilung mit dem endgültigen Entschluss: „Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht”, schreibt Einsatzleiterin Ellen van der Velden. „Aber nach mehreren Sicherheitsvorfällen gegen unsere Mitarbeiter im Fizi-Gebiet ist eine Schwelle erreicht, die wir nicht mehr akzeptieren können.” Das Krankenhaus wird nie gebaut werden, Ärzte ohne Grenzen wird nicht zurückkehren.

Neue Mission?

Robert Kösch sitzt in seiner Eimsbütteler Wohnung, nicht weit von der S-Bahnstation Langenfelde, gerade hat er das erste Türchen seines Adventskalenders geöffnet, als er die Nachricht auf seinem Smartphone liest. Die Mission ist gescheitert, das Versprechen gebrochen, das Projekt in sich zusammengefallen wie ein Luftballon mit Loch.

Was bleibt? Ein Koffer voll edler Taten? Ein Notizbuch voll Erinnerungen? Die Erkenntnis, dass ein Einzelner sowieso nichts verändert? Kösch spricht noch immer von Wir, wenn er über Ärzte ohne Grenzen redet, obwohl er längst nach Eimsbüttel, längst in seinen alten Job bei Airbus zurückgekehrt ist. Er würde wieder auf Mission gehen, vielleicht nächstes Mal mit seiner Frau, wenn sie ihr Medizinstudium beendet hat. Denn: „Nur weil etwas komplex ist, heißt es nicht, dass man es nicht angehen sollte.”

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