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Mischa Gohlke (links) und seine Band-Kollegen Rico Bowen (r. v.) und Alex Jezdinsky (hinten). Foto: Marie Tabuena
Mischa Gohlke (l.) und seine Band-Kollegen Rico Bowen (r. v.) und Alex Jezdinsky (hinten). Foto: Marie Tabuena
Inklusion

Fast taub und Musiker: Wenn Grenzen verschwimmen

Mischa Gohlke ist fast taub und professioneller Musiker. Mit dem Verein „Grenzen sind relativ e.V.“ setzt er sich für eine inklusive Gesellschaft ein.

Von Catharina Rudschies

Wenn Mischa Gohlke mit seiner Band auf der Bühne steht, dann klingt die Musik für ihn ganz anders als für den Großteil seiner Fans. Und das liegt nicht daran, dass er auf der Bühne steht. Der Eimsbütteler ist zu einem Grade hörgeschädigt, dass er fast gänzlich taub ist. Würde er keine Hörgeräte tragen, könnte er keine Töne mehr vernehmen. Mithilfe der Geräte nimmt er jedoch bestimmte Frequenzen wahr, mal mehr, mal weniger deutlich. Im Zusammenspiel mit seinen Bandkollegen ergibt sich für ihn ein Klangbrei – Musik in seinen Ohren.

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Gohlke lebt seit Geburt an mit seiner Hörschädigung. Mit knapp drei Jahren erhielt er sein erstes Hörgerät und lief wie verzaubert mit einem Kochlöffel durch das Geschäft des Akustikers und klopfte auf alles, was er plötzlich hören konnte. Seitdem lernte er, über andere Wege zu kommunizieren. In der Unterhaltung mit anderen liest er von den Lippen ab und achtet auf Körpersprache. In der Musik nimmt er zum Beispiel Vibrationen, Klangfarbe und Energie wahr.

Perspektivwechsel

„Man muss ganz klar unterscheiden zwischen ‚Hören‘ und ‚Hörwahrnehmung'“, erklärt Mischa Gohlke. Über die Zeit habe er gelernt, Sprache und Musik innerlich zu rekonstruieren. So wie das Auge eigentlich auch etwas anderes aufnimmt, als das Gehirn dann als richtiges Bild im Kopf umsetzt. Das klappt unter manchen Bedingungen besser als unter anderen. Umso mehr Geräusche zum Beispiel zusammenkommen, desto schwieriger wird es, die verschiedenen Frequenzen auseinanderzuhalten und zuzuordnen. Wie in seiner Band also, da entsteht Klangbrei. Aber auch der Ort, seine Tagesform oder ob er die Musik schon einmal gehört hat, beeinflussen die Qualität seiner Wahrnehmung. „Meine Hörwahrnehmung ist grundsätzlich nicht statisch. In manchen Momenten kann ich zu hundert Prozent Musik und Sprache rekonstruieren, manchmal höre ich nur Brei.“

Mischa Gohlke hat seine Hörschädigung Zeit seines Lebens nicht davon abgehalten, seine Leidenschaften zu verfolgen. Im Teenageralter war er passionierter Fußball- und Tennisspieler und wollte Profisportler werden. Erst später fand er zur Musik, nahm Gitarrenunterricht und spielte acht bis zehn Stunden am Tag. Er studierte Kultur- und Medienmanagement, gründete 2011 mit den Profimusikern Rico Bowen und Nancho Campos die Mischa Gohlke Band und nebenbei alleine eine Event- und Projektmanagementagentur. „Ich sehe meine Hörschädigung nicht als Behinderung, sondern als Perspektivwechsel an“, erklärt Gohlke. Für ihn sei es eine Chance, andere Sinne zu trainieren und zu erleben, seine Grenzen auszutesten und sich weiter zu entwickeln.

„Ich bin in erster Linie ein Mensch“

„Wenn ich mich selbst in eine Opferrolle stecke und mir sage: ‚Ich kann nichts hören, alles ist scheiße‘, dann reproduziere ich ja auch eine Hörwahrnehmung, die nicht gut ist“, erklärt der 38-Jährige. In seinen Augen sei es wichtig, sich seiner Fähigkeiten und Einschränkungen anzunehmen und mit ihnen zu wachsen.

Grundsätzlich hält Gohlke nichts von einem Schubladen-Denken. „Allein Wörter wie ‚behindert‘ verursachen in unserer Gesellschaft eine Spaltung“, ist er überzeugt. Die einen sind behindert, die anderen nicht. Die einen sind Musiker, die anderen nicht. „Ich bin in erster Linie ein Mensch.“ So möchte er sich auch nicht mit Normalhörenden vergleichen, wenn er darüber spricht, welche Schwierigkeiten oder Fähigkeiten er beim Musikmachen hat. „Bei jedem Musiker geht es immer um Talent, viel Übung und harte Arbeit“, sagt er. Das sei bei ihm genauso wie bei fast jedem anderen Musiker auch.

Grenzen sind relativ

Um diesen Denkansatz zu fördern, hat Gohlke 2011 die Initiative „Grenzen sind relativ“ ins Leben gerufen. Der seit 2016 eingetragene Verein setzt sich für eine inklusive Gesellschaft ein. „Dabei reduzieren wir Inklusion nicht auf Behinderung“, erklärt der Musiker. Für ihn sei eine Gesellschaft inklusiv, wenn ihre Mitglieder trotz und wegen aller Unterschiede und Gemeinsamkeiten friedvoll miteinander leben können – ohne jemanden in eine Schublade zu stecken.

Mit dem „Grenzen sind relativ e.V.“ organisiert Gohlke inklusiven Musikunterricht zum Beispiel für Hörgeschädigte sowie Veranstaltungen, Kampagnen und Projekte zum Thema Inklusion. Außerdem veranstaltet der Verein einmal im Jahr ein Festival.

Am Samstag, den 26. Oktober, findet das „Grenzen sind relativ“-Festival 2019 in der Fabrik in Altona statt. Rund 100 Künstler aus den Bereichen Musik, Tanz, Comedy, und Performance setzen sich künstlerisch mit Fragen unserer Gesellschaft und Demokratie auseinander. „Mit dem Festival wollen wir viele verschiedene Menschen zusammenbringen und ihnen einen Raum für Überlegung und Dialog geben“, sagt Gohlke. „Nicht zuletzt geht es einfach um geile Musik, Kunst und Begegnungen.“ Die Mischa Gohlke Band ist natürlich auch dabei – dieses Mal zusammen auf der Bühne mit dem Hip-Hop-Kollektiv Rapfugees.

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