„Ich habe mir einen Traum erfüllt“
Skulpturwerk – Atelier für Unikate, so hat Stefanie Wichert ihre Künstlerwerkstatt in Eimsbüttel genannt. Hier macht sie sich am Vormittag ans Werk, wenn die beiden Kinder in der Schule sind.
Von Anja von Bihl„Ich habe mir einen Traum erfüllt“, sagt Stefanie Wichert. Der Wunsch, etwas zu erschaffen, war schon früh da, zunächst studierte sie deshalb Architektur und war dann zehn Jahre auf diesem Gebiet tätig. Als der Zeichenstift in ihrem Beruf aber immer mehr vom Computer verdrängt wurde, wuchs die alte Sehnsucht: Stefanie Wichert ging abends an die Freie Kunstschule FIU in Hamburg und studierte Plastik und Aktmalerei.
Seit 2000 arbeitet sie in Eimsbüttel als selbständige Künstlerin und hielt anfangs die Augen offen nach geeigneten Atelierräumen in der Nachbarschaft. Als 2004 der kleine Teeladen in der Lappenbergsallee aufgab, fand sie dort, was sie brauchte, inklusive einem kleinen Garten, der bei der Entstehung der Kunstwerke Platz zum Feuchthalten und Schleifen bietet.
Mehrere Arbeitsgänge
Die Skulpturen entstehen in mehreren Arbeitsgängen. Zunächst wird eine Plastik aus Ton geschaffen und so lange verändert, bis sie ihrer Idee entspricht, für Stefanie Wichert der kreativste und damit schönste Teil der Arbeit. Anschließend umhüllt sie die Tonskulptur mit einer dicken Gipsschicht – das wird die Negativform für die endgültige Skulptur. Die Gipshülle wird nach dem Trocknen und Erstarren in mehreren Teilen vorsichtig abgelöst, dabei geht die ursprüngliche Tonplastik verloren und lebt nur noch auf ihren Fotos weiter.
Die Gipsform wird wieder zusammen gesetzt und mit Steinguss nach Stefanie Wicherts eigener Rezeptur aufgefüllt. Auf die Frage, wie sie denn das Steingemisch so dünn aufgetragen bekommt, dass die Skulptur am Ende hohl ist, gibt es eine anschauliche Antwort: „Die Masse hat ungefähr die Konsistenz von Kuhdung.“ Und sie wird nicht etwa in die Form gegossen, sondern zunächst ganz dünn hinein gestrichen, um alle, auch die kleinsten, Hohlräume auszufüllen, damit nachher nicht ein Stück der Nase fehlt. Dann wird die Mischung in der endgültigen Dicke aufgetragen.
Nach dem Erstarren wird die Gussform in sehr aufwändiger Handarbeit Stück für Stück abgetragen und dabei ebenfalls zerstört; die rohe Plastik erhält nach und nach mit sensibler Arbeit an der Oberfläche ihren Ausdruck. In jüngster Zeit experimentiert die Künstlerin auch mit farbigen Elementen. So blickt uns nun der alte Herr im Schaufenster aus seinen blauen Augen an und die alte Dame spitzt ihren roten Mund.
Menschen und Gefühle
„Mich beschäftigen Menschen und Gefühle“, sagt Stefanie Wichert. Liebe und Beziehungen, Altern, Schmerz, Freude sind ihre Themen, ebenso drängen Ereignisse wie Fukushima, der NSA-Skandal und die Flüchtlingstragödien von Lampedusa nach künstlerischem Ausdruck.
Gefühle wecken dann wiederum ihre Skulpturen: Eines ihrer ersten Werke stellte eine ältere Frau dar. Sie erinnerte einen vorbei gehenden Mann an seine verstorbene Ehefrau und er kam viele Male in den Atelierladen, um sie anzusehen. Nach drei Jahren legte er plötzlich den Kaufpreis auf den Tisch, in kleinen Scheinen, die er sich zusammen gespart hatte. Seit die Skulptur „Hilde“ nun bei ihm zu Hause war, ging es ihm wieder gut und er hatte „jemanden zum Reden“.
„Ich habe es gern, wenn es hinaus geht und eine Wirkung hat“, sagt die Künstlerin – wie bei der Psychotherapeutin, der eine Mutter-und-Kind-Plastik einen leichteren Einstieg in die Behandlungsgespräche ermöglicht.
Auch über Deutschland hinaus sind ihre Werke schon gelangt
Im niederländischen Beelden präsentierte sie von Mai bis November 2013 zusammen mit vierzig internationalen Künstlern ihre Plastiken in einem großen Skulpturengarten. Im kommenden Jahr ist sie dabei, wenn sich 140 Maler, Grafiker, Bildhauer, Objektkünstler, Designer und Werkkünstler für ein Wochenende im Schloss Reinbek treffen.
Skulpturen von Stefanie Wichert kosten 300 bis 4.000 Euro – dabei ist manchmal eine kleinere teurer als eine große. Entscheidend ist der Zeitaufwand, der beim Herausarbeiten der glatteren oder eben komplizierten Oberfläche vonnöten ist. Manche kaufen jedes Jahr ein Werk, um es zu verschenken.
Stefanie Wichert arbeitet auch auf Auftrag. In guter Erinnerung ist ihr die Büste eines zweijährigen Jungen, auch wenn es dem zappeligen kleinen Modell nicht so viel Spaß gemacht hat: „Das hat dann einfach etwas länger gedauert.“
Kleiner Wermutstropfen
Wer gern einen Kurs bei Stefanie Wichert machen würde, den muss sie momentan leider enttäuschen: so viel Kapazität bietet das heutige Atelier in Eimsbüttel nicht, dass dort mehrere Menschen arbeiten könnten – und so viel lautes Klopfen und Schleifen könnte dann auch die Nachbarn stören, die bislang interessiert und freundlich in Atelier und Garten blicken.