
WG-Kolumne #6: Was muss die Frau?
Eine Kolumne über die Möglichkeiten alternativer Lebensentwürfe. In der Reihe “WG-Kolumne – Zwischen Windel und Gin Tonic” berichtet unsere Autorin aus ihrer Eimsbütteler Studierenden-WG: Eine Wohnung, ein Pärchen, ein Baby und sie.
Von Nele DeutschmannMeine Mitbewohner weilen mit Baby an der Ostsee. Ich habe die WG für mich und Zeit, die Ereignisse ein wenig sacken zu lassen. Obwohl mich das Thema Kinder lange kaum berührt hatte, ist es nun automatisch zu einem großen Teil meines Lebens geworden.
Seit der Geburt ist mir wieder bewusst geworden, dass es von Frauen erwartet wird, dass Kinder sie beschäftigen und der Kinderwunsch allgegenwärtig ist. Sonst habe ich mich eher in einem Umfeld bewegt, in dem sich viele Frauen aus unterschiedlichen Gründen aktiv gegen eigene Kinder entschieden haben.
„Na, dann bist du ja jetzt an der Reihe“
Jetzt wird mir vermittelt, dass es zu meinen Aufgaben gehört, Kinder in die Welt zu setzen. Nach der Geburt unserer kleinen Mitbewohnerin habe ich schon das ein oder andere Mal Floskeln gehört wie: „Na, dann bist du ja jetzt an der Reihe“. Ab welchem Zeitpunkt geht der weibliche Körper eigentlich in den gesellschaftlichen Besitz über?
Auch meine Mitbewohnerin hat in der Schwangerschaft die Erfahrung gemacht, dass es Punkte gibt, an denen sich jedermann bemüßigt fühlt, seine Kommentare abzugeben. Würde sich das sonst in der Form keiner trauen, wurde ihr Körper in der Schwangerschaft plötzlich wie selbstverständlich kommentiert. Etwaige Gewichtszunahmen, neu entstehende Rundungen – plötzlich alles Thema.
Muss eine Frau alles wollen, was möglich ist?
Aktuell beschäftigen sich auch in der zeitgenössischen Literatur viele Autorinnen, wie beispielsweise Isabelle Lehn, mit den Erwartungen, die an die Frau und ihren Körper gestellt werden. Lehn fragt in ihrem neuesten Buch „Frühlingserwachen“: „Muss ich alles wollen, was möglich ist?“ Und wem ist man eigentlich Rechenschaft darüber schuldig, was man mit seinem Körper anstellt?
Hatte man als Kind noch die Illusion, dass man niemandem mehr Rechenschaft schuldig ist, wenn man erst einmal dem schulischen Rahmen entflohen ist und ansonsten höchstens noch die Eltern zufriedenstellen möchte, steht man als erwachsene Frau plötzlich vor einer viel erdrückenderen Instanz: der gesellschaftlichen Erwartung.
„So eine Heirat – wäre das nichts für dich?“
Und ja, eigentlich möchte auch ich irgendwann Kinder bekommen und eine Familie gründen. Ich komme selbst aus einer großen Familie und habe dies automatisch als das passende Lebensmodell für mich erachtet. Bis zu einem gewissen Alter war ich auch nie gezwungen, diese Vorstellung zu reflektieren.
Das tat ich erstmalig, als ich mit 19 Jahren von einer Tante gefragt wurde, wann ich denn nun heiraten wolle. Wir befanden uns auf der Hochzeit meiner um einiges älteren Cousine und sie wiederholte diese Frage im Laufe des Abends an die 15 Mal.
Ich fragte mich schon damals, warum sie eigentlich gerade mich piesakte, obwohl drei meiner Cousins anwesend waren, die zum Teil 15 Jahre älter und unverheiratet waren. Aber auf die Idee, diese Frage auch an die Männer zu richten, kam sie nicht.
Fragen an meine Brüder vs. Fragen an mich
Auch in anderen Situationen begegnet man diesem Gefälle. Es kam schon vor, dass meine Brüder auf verschiedenen Anlässen über ihr Studium, ihre Arbeit und andere spannenden Themen ausgefragt wurden – ich wurde gefragt, ob ich einen Freund hätte.
War ich also in der Vergangenheit automatisch davon ausgegangen, dass ich irgendwann einmal Mutter sein möchte, stellte sich irgendwann eine Abwehrhaltung als Reaktion auf die Erwartungen von außen ein. Quasi aus Bockigkeit.
Ich entscheide
Obwohl die Selbstbestimmung der Frau mittlerweile eine Selbstverständlichkeit sein sollte, bekommt man beim Thema Kinder und Schwangerschaft noch immer suggeriert – und das sowohl von Männern als auch von anderen Frauen – dass es doch klar sein sollte, was man sich zu wünschen hat.
Ob und wann ich Kinder bekommen werde, möchte ich selbst entscheiden. Es wäre wünschenswert, sich für diese Entscheidung, die eigentlich so persönlich wie nur möglich ist, nicht rechtfertigen zu müssen.