Na, altes Haus?
Für manche ist es ein Stück Harry-Potter-Feeling in Hamburg, für andere war es das schönste Postamt der Stadt: das Alte Fernmeldeamt im Grindel. Könnte der imposante Bau sprechen, hätte er wohl einiges zu erzählen. Vielleicht würden seine Memoiren so klingen.
Von Amelie MüllerIn mir haben sich Menschen verbunden, belauscht und misstraut. Sie haben mich umworben und bewundert. Ich habe Technikgeschichte geschrieben. Und bin noch lange nicht am Ende.
Ich bin das Alte Fernmeldeamt, wohnhaft in der Schlüterstraße 51 im Grindelviertel. Wem das kein Begriff ist: Sie erkennen mich an meinem Äußeren. Ich trage Rundbögen und Türmchen, alles im gotischen Stil. Im Sommer werfe ich mir ein grünes Blätterkleid über. Manche vergleichen mich mit Hogwarts, das muss an meinem magischen Aussehen liegen.
Zurzeit bin ich wegen eines Umbaus geschlossen und habe Zeit, meine Geschichte zu erzählen.
Altes Fernmeldeamt: Wie alles begann
Der 6. Juli 1910, ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Es war der Tag, an dem sich meine Türen der Welt öffneten. Dutzende Pressevertreter traten in meine prächtige Eingangshalle. Aufregende Zeiten und ich mittendrin: das größte Fernmeldeamt der Welt. An den Gesichtern der Presseherren konnte ich ablesen, dass sie so etwas wie mich noch nicht gesehen hatten. Wunderwerk, gewaltiger Organismus, Meisterleistung, notierte sich ein Journalist vom Hamburger Fremdenblatt in seinen Notizblock. Er unterstrich die Worte mit einem dicken Bleistiftstrich.
„Und die überirdischen Leitungen verlaufen jetzt alle unterirdisch?”, fragte ein schlaksiger Mann mit Hut den Sachverständigen. „Richtig, 430 Kabel mit jeweils 250 Adern sind verlegt und bilden das Telefonnetz in Hamburg!”
Seien wir ehrlich, die Herren von der Presse staunten zu Recht. Alles an mir glich einer Meisterleistung. Mit meiner 138 Meter langen Hauptfront übertreffe ich selbst das Hamburger Rathaus.
Gemurmel von 1.500 Telefonistinnen
Schon vier Jahre nach dem Baubeginn 1902 zog das Postamt 13 ein, mein treuester Begleiter. 1910 folgte das gesamte Vermittlungswesen für den Fern- und Ortsverkehr – mein aufregendster Gast.
Für alle, die heute mit ihren Armbanduhren telefonieren, sei erklärt, welche Bedeutung ich damals als Fernmeldeamt hatte: Ich wurde gebaut, um Tausende von Telefongesprächen zu vermitteln. Jeder Telefonanschluss in Hamburg hatte eine direkte Leitung zur Vermittlungszentrale – zu mir. Bei jedem Anruf musste eine Mitarbeiterin des Fernmeldeamts die beiden beteiligten Leitungen manuell verbinden.
Ab 1910 erfüllte das Gemurmel von 1.500 Telefonistinnen meine Halle, die mit der neun Meter hohen Glasdecke einem Bahnhof glich. Nur brachten hier keine Züge die Menschen aus fernen Städten und Ländern nach Hamburg, sondern Telefonleitungen.
Und die glühten seit dem ersten Tag. „Zu all den Wundern dieses ungeheuren Hirnes, führt ein hochgewölbtes, prächtiges Tor”, schrieb ein Journalist in jener Zeit. „In Stein gemeißelt schauen aus der verschlungenen Reliefverzierung Papageien auf den Eintretenden.” Wollte der Architekt damit auf geschwätzige Fernsprecher anspielen, fragte er sich.
Das Radio zog ein
An einem Frühlingstag des Jahres 1924 schleppten Männer meterlange Stoffbahnen in einen leeren Raum im Untergeschoss. Sie rollten sie aus, hängten die Wände ab und legten den Boden mit Teppich aus. Mikrofone, Verteiler und eine Menge Kabel folgten. Erst da verstand ich, was auf mich zukam: Am 2. Mai 1924 ging der erste norddeutsche Radiosender auf Sendung. Wohlhabende Kaufleute aus der Landwirtschaft hatten den Nordischen Rundfunk gegründet. Im Obergeschoss richteten sie den Maschinen- und Senderaum ein. Auf meinem Dach installierten Techniker eine Antenne, die das Radioprogramm in einem Umkreis von 150 Kilometern verbreitete.
„Hier ist die Norag”, waren die ersten Worte, die die knapp 1.000 Menschen mit Empfängergerät im Sendebereich hörten.
Sogar einen Saal für die Übertragung von Konzerten richteten sie unter meinem Dach ein. Für mich bedeutete das Radio täglich klassische Musik. Für die Hamburgerinnen und Hamburger ein Schritt in ein neues technisches Zeitalter.
Das Interesse am Radio wuchs. Irgendwann war ich zu klein und der Nordische Rundfunk zog in die Engelbrecht’sche Villa an der Rothenbaumchaussee – bis heute sitzt der NDR dort.
Hamburg lag in Trümmern
Mit dem Zweiten Weltkrieg brach mein bisher dunkelstes Kapitel über mich ein. Die Erinnerungen an den Feuersturm im Sommer 1943 sind für mich von roten Flammen gefärbt. Zuerst sah ich die Leuchtmittel am Himmel, die den Bombern das Ziel beleuchteten, dann die Einschläge und das lodernde Feuer. Die Menschen rannten in den nächsten Bunker. Ich aber war dem Angriff schutzlos ausgeliefert. Die Bomben trafen mich ins Herz – sie hinterließen Trümmer und zerstörten mein Haupt. Übrig blieb mein Skelett. Die Euphorie, der Aufbruch der 20er Jahre, waren erstickt. Hamburg lag in Trümmern.
Hoffnung kehrte zurück, als die Nationalsozialisten besiegt und Deutschland von der faschistischen Diktatur befreit war.
Ausgedient
In den Nachkriegsjahren bauten sie mich wieder auf. Die Beamtinnen und Beamten von Post und Telefongesellschaft kehrten zurück – und mit ihnen die britischen Besatzer. Sie kamen in einem englischen Wagen und verschwanden täglich im dritten Stock, Raum 450. Die sonst so aufmerksamen Postbeamten ignorierten es, aber ich bekam alles mit: Über 40 Hamburger Telefonanschlüsse zapften die Briten aus ihrem Kabuff an und hörten so nicht nur militärisch relevante Gespräche ab. Doch was konnte ich schon tun?
Die Technik entwickelte sich rasant und immer mehr Abläufe der Telefonvermittlung wurden automatisiert. Ich diente bald nur noch als Fernmeldeamt für Anrufe ins Ausland. Doch auch diese Tätigkeit sollte automatisiert werden. Immer mehr Räume verwandelten sich in langweilige Büros. Ende der 1990er Jahre wurde ich als Telefonvermittlungszentrale nicht mehr gebraucht.
Niemand will das über sich hören – aber ich hatte ausgedient. Auch wenn ich mich über meine Größe und Schönheit profilierte, am Ende kam es auf die Menschen an, die meine Räume nutzten. Ohne die Telefonistinnen und das rege Treiben im Vermittlungsaal war ich nur ein altes Haus. Ich hieß nun nicht mehr Fernmeldeamt 1, sondern Altes Fernmeldeamt.
Übrig blieb das Postamt 13. Und die Menschen, die Briefe verschickten oder ein Paket abholten. 1998 wurde ich unter Denkmalschutz gestellt. So alt war ich geworden.
„Diese ,Perle’ hätte Hamburg einfacher haben können”
Der Postamt-Alltag folgte. Erst 2003 tat sich wieder etwas. Die Telekom verkaufte mich an eine Fondsgesellschaft des Bankhauses Wölbe. Angeblich war auch die Stadt Hamburg interessiert, doch wollte sie den Preis von 60 Millionen Euro nicht zahlen. Tja.
Später ärgerte sich SPD-Politiker Andreas Dressel, warum die Stadt diese Chance versäumt hatte. Die Ironie: Ab 2023 werde ich für 30 Jahre an die Stadt vermietet. „Diese ,Perle’ hätte Hamburg einfacher haben können”, sagte Dressel dem Abendblatt.
Neue Gespräche, neue Menschen
Für mich macht dieses Gezerre um Geld und wer für mich verantwortlich sein soll, keinen Unterschied. Hellhörig werde ich erst, wenn es darum geht, wer oder was einzieht. Es gab viel Gerede und Gerüchte, bis es 2020 offiziell wurde: Wenn alles glattläuft, wird 2025 die Universität in meine Räume ziehen. Die Vielfalt der Fachrichtungen überwältigt mich. Das Exzellenzcluster Manuskriptkultur soll kommen, der Fachbereich Psychologie, Teile der erziehungswissenschaftlichen Fakultät und die Nachwuchsforschung. Außerdem wird das Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft in meinen Hallen Platz finden sowie das German Institute for Global and Area Studies mit eigener Bibliothek.
Viele neue Menschen und Gespräche warten auf mich. Und das ist das Schönste: Die Stimmen kehren zurück. Ich war es gewohnt, dass Worte in mir verhallen. Im Postamt blieben sie stumm auf Papier – und selbst dieser treue Freund verließ mich vor drei Jahren. Jetzt freue ich mich auf die Universität. Bis dahin erwarten mich noch ein paar Schönheitsoperationen. Man will ja nicht nachlassen, egal in welchem Alter.
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