Der leise Geigenmarkt
Früher gab es mehr von ihnen. Viele Instrumenten-Läden verschwinden. Die übrigen kämpfen – mit zu wenigen Kunden, zu teurer Miete. Zu Besuch bei „Geigenbau Rathmann“ im Heußweg.
Von Julia HaasWer den Laden im Heußweg 10 betritt, wird von einem Glockenspiel begrüßt. Auf die melodische Ankündigung folgt leises Rascheln im Hintergrund, ein Hund bellt. Wenige Sekunden später tritt Birgit Wyrowski durch die hüfthohe Schwingtür, die Laden und Werkstatt trennt. Sie entschuldigt sich für das Bellen. “Ein Corona-Hund”, sagt sie. An Kunden müsse sich die zweijährige Hündin erst noch gewöhnen.
Der Handel ist tot
Seit 35 Jahren betreibt Birgit Wyrowski “Geigenbau Rathmann” in Eimsbüttel – Laden und Werkstatt für Streich- und Saiteninstrumente. “Viele Instrumenten-Läden verschwinden”, sagt Wyrowski. Auch sie kämpft – mit zu wenigen Kunden, einer zu großen Ladenfläche.
Pandemie und Lockdowns erschwerten den Ladenbetrieb. “Und jetzt der Krieg.” Der Handel: tot. Doch: Der Geigenmarkt kränkelte schon davor, ist seit Langem nicht mehr das, was er einmal war: ein Lebenselixier für Virtuose.
Antonio Vivaldi verwandelte Streicherklänge in rauschende Winde und zwitschernde Vögel. Bach spielte Geige. Mozart auch. David Garrett verlieh ihr neue Popularität. Im Tagesgeschäft von Wyrowski spielt das keine Rolle. Der Markt hat sich verändert, sagt sie. Viele Instrumentenläden verschwinden.
Geigen im Abo
Im Heußweg klopft der Eimsbütteler Nachwuchs an die Ladentür. Kinder, die mit jedem Wachstumsschub eine neue Geigengröße benötigen – also ungefähr alle zwei Jahre. “Eltern geben deswegen nicht viel Geld für eine Geige aus”, sagt Wyrowski. Sie versteht das und bietet ihre Geigen zur Miete an. Die Mietpreise beginnen bei 15 Euro im Monat, das Abo kann jederzeit gekündigt werden. Wie Netflix – ohne Filme, mit Geigen.
Mit großen Online-Händlern will und kann Wyrowski nicht konkurrieren. Instrumente würden dort teilweise unter dem Einkaufspreis angeboten. Der Markt sei krank, resümiert sie. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts machte der Online-Einzelhandel 2019 fast 60 Prozent des gesamten Handels mit Musikalien und Musikinstrumenten aus.
Geigenmarkt: Das Internet ersetzt nicht alles
Aufhören will die Ladeninhaberin dennoch nicht. Anonyme Verkaufsplattformen verändern den Instrumentenhandel, können ihn aber nicht ganz ersetzen. Wyrowski kennt viele ihrer Kunden persönlich. Wer ein bestimmtes Instrument sucht, genaue Vorstellung bezüglich Jahrgang, Form und Farbe hat, kann sich bei Wyrowski melden.
In den kommenden Monaten plant Wyrowski, ihr Ladengeschäft zu verkleinern. Wo genau, weiß sie noch nicht. Feststeht: in Eimsbüttel. So kann sie ihrer Stammkundschaft treu bleiben – und ihr Corona-Hund kann sich langsam an Besucher gewöhnen.
„Geigenbau Rathmann“
Anders als es der Name “Geigenbau Rathmann” verheißt, baut Wyrowski die Geigen nicht selbst. Sie widmet sich der Restaurationen und Reparaturen, investiert in den Ankauf, pflegt den Verkauf. “Neubau machen die wenigsten Geigenbauer – dafür braucht man viel Zeit und Ruhe”, sagt Wyrowski. Außerdem: Vieles werde mittlerweile aus China importiert. 2019 importierte Deutschland Musikinstrumente im Wert von 200,7 Millionen Euro aus China – so viel wie aus keinem anderen Land.