
Sängerin Sukie: Im Puls
Die Eimsbütteler Musikerin Sukie hat lange weder sich noch der Welt getraut. Heute singt sie davon, auf Bühnen, vor Menschen. Über Angst und diesen einen Song, der alles ändert.
Von Alana TongersSukie sieht die Welt in Kreisen. Für andere funktioniert das Leben in Linien, läuft in klaren Strukturen geradeaus. Sukie tanzt um sie herum. „Während wir reden, kann ich dir auch sagen, über was sich die beiden unterhalten.” Sie zeigt auf den Tisch nebenan. „Oder die dort. Oder was der Typ da drüben anhat.” Volle Wahrnehmung, 360 Grad. Sie sitzt vorm Café Dailycioso im Eppendorfer Weg, Hafer-Cappuccino vor ihr, New-England-Patriots-Pullover unter der Lederjacke („Man kann sich das Fantum nicht aussuchen”). Frühlingsluft weht durch ihre Locken. Das hier ist ihr Kiez, sie wohnt um die Ecke, hat am Kaifu-Gymnasium Abi gemacht. Hamburg war schon immer Zuhause, Eimsbüttel ist es seit Jahren.
Sie lächelt, ihr Blick wandert, sie ist wach. Sukie nimmt viel von der Welt wahr. Impulse von überall. Sie zuckt zusammen. Dort drüben, zwei Autos, fast zusammengestoßen. Verarbeitet hat sie ihre Art, die Welt zu spüren, über die Musik. Singen, das sei ihr einziger Weg, die Dinge auszudrücken. Als Kind nimmt sie klassischen Klavierunterricht, mit 15 hört sie auf. „Beck’s Lemo an der Alster trinken war wichtiger”, sagt sie und lacht. Das Klavier hat ihr das verziehen, die beiden haben wieder zusammengefunden, führen heute eine harmonische Beziehung. Lange haben sie sich aber versteckt. Nur für sich gespielt, selten vor anderen.
Dieser eine Song
Das ändert sich erst, als sich alles ändert. 2017 stirbt einer ihrer engsten Freunde bei einem Autounfall. Sukie kann nicht bei der Beerdigung sein, sie ist auf Mallorca, ihr Großvater feiert dort Geburtstag. Am Abend der Beisetzung steht sie auf der Insel, schaut in den dunklen Himmel. Dann ein kurzes Aufleuchten. „Die größte Sternschnuppe, die ich je gesehen habe.”
Sie geht wieder ins Haus, drinnen läuft der Fernseher, Werbung mit glücklichen Menschen und inspirierender Message, aber da ist dieser eine Song im Hintergrund. „’Cause I won’t waste another day. Living someone else’s way. I wanna be happy. I wanna be free. Fuck what they say. I’m doing me.”

Sukie schnappt sich ihre Ukulele, covert „Doin’ me” von Mikey Mike und schickt ein Video davon an den Künstler. „Auf Joke”, sagt sie. Ohne sich zu zeigen, da ist nur ihre Stimme, ihre Hand, die die Saiten streift. Aber Mikey Mike sieht ihr Cover und repostet es. Das ist der Anstoß, den es braucht, der Zuspruch gibt ihr Selbstvertrauen. Sie lädt mehr Songs hoch, hört irgendwann auf, ihr Gesicht zu verstecken. Ihre Musik findet zu Leuten, die Leute kennen, die Talent erkennen.
Was gut genug ist
Mit 19 steht sie das erste Mal im Tonstudio. Um sie herum Leute aus dem Management, studierte Musiker, Produzenten. Und Sukie fühlt sich verloren. „Ich war der festen Überzeugung, dass ich nichts zu melden habe.” Nicht, weil ihr irgendwer dieses Gefühl gibt. Weil sie sich selbst nicht vorstellen kann, dass es anders sein könnte. Dabei weiß sie sehr genau, was sie musikalisch will. Zum Beispiel sich auf nichts festlegen lassen. Sie wuchs auf mit Musik von Yvonne Catterfeld und Seeed, hört heute lauten Punk und offensiven Female Rap genauso gern wie Balladen und Jazz. Wenn sie ihre eigenen Songs beschreiben müsste, dann als Mischmasch aus Alternative und Pop.
„Wer Billie Eilish mag, mag auch Sukie”
2020 ist Sukies erste EP rausgekommen. „Wer Billie Eilish mag, mag auch Sukie”, schrieb die Szene Hamburg darüber. Vor dem oft belächelten Genre Pop hat sie keine Angst mehr. Findet sie eben gut. „Sorry, die Shawn-Mendes-Platte ist halt geil – was soll ich sagen!” Sie lacht laut, mit rauher Stimme, die beim ersten Hören so wenig mit ihrer seichten Singstimme zu tun hat.
Heute ist Sukie 24 Jahre alt. Sie hat gelernt, sich und denen, die an sie glauben zu vertrauen. Ist selbstbewusster geworden, legt mehr von sich in ihre Stimme. 50 Songs sind in den vergangenen Jahren entstanden, manche schon fertig, manche noch Schnipsel. Eine Melodie, die sie beim U-Bahn-Fahren heimlich in ihr Handy gesungen hat. Eine Liedzeile, die sie irgendwo notiert. Aus diesen Teilen setzt sie ihre Songs zusammen wie Mosaike.
Musik aus Gefühlen
Hinsetzen und etwas runterschreiben, das funktioniert nicht. Zu geradeaus, zu strukturiert, zu linear. So kann sie nicht denken. Stattdessen folgt Sukie ihren Impulsen, macht Musik aus akuten Gefühlen heraus. „Dann fangen die Sachen im Herzen an.” Sie legt eine Hand auf die Brust. „Und nicht im Kopf.”
Dieses Jahr will sie neue Musik veröffentlichen. Wieder live spielen, auch wenn sie nach zwei Jahren Pause Angst davor hat. Auf der Bühne stehen, das sei das geilste Gefühl der Welt. In den Momenten davor hat sie das Gefühl, zu sterben. Aber wenn sie eines in den letzten Jahren gelernt hat, ist es, Impulsen nachzugeben. „Alles erscheint so unmöglich”, sagt sie. Aber viele ihrer Träume seien gar nicht so unerreichbar. Es bräuchte ein bisschen Glück und viel harte Arbeit. „Dann passieren Dinge, die man sich gar nicht vorstellen kann.”