Wie der „Kemenate Tagestreff“ wohnungslose Frauen unterstützt
Im Bademantel durch die Wohnung laufen, frisch kochen, Wäsche waschen: Der „Kemenate Tagestreff“ in Eimsbüttel macht das für wohnungslose Frauen möglich – seit 30 Jahren. Trotz Jubiläum sieht der Verein keinen Grund zu feiern.
Von Julia HaasSie bieten ein offenes Ohr, ein warmes Essen, ein frisches Handtuch: Der Kemenate Tagestreff ist eine Anlaufstelle für wohnungslose Frauen – seit 30 Jahren. Dennoch sehen die verantwortlichen Sozialarbeiterinnen in ihrem Jubiläum keinen Grund zu feiern.
„Wir prangern unser Bestehen an“, sagt Davina Kronshage. Seit drei Jahren unterstützt sie das Team von Kemenate. Wie ihre Kolleginnen wünscht sie sich, dass ihr Einsatz bald nicht mehr notwendig ist. „Wir müssen Wohnungs- und Obdachlosigkeit überwinden.“
Von Frauen für Frauen
Anfang des Jahres gab es 18.915 obdachlose Menschen in Hamburg – auf der Straße und verdeckt wohnungslos lebende Personen nicht einberechnet. Das geht aus einer Bundesstatistik hervor. Fast 8.000 davon waren Frauen.
Verdeckt wohnungslos
Menschen, die verdeckt wohnungslos sind, sind nicht darauf angewiesen, die Nächte auf der Straße oder in einer Behelfsunterkunft zu verbringen, sondern kommen bei Bekannten oder Angehörigen unter.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im September einen Forschungsbericht zur Wohnungslosigkeit veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass der Anteil von Frauen in verdeckter Wohnungslosigkeit wesentlich höher ist als bei Wohnungslosigkeit ohne Unterkunft.
Schutzräume, die sich ausschließlich an weibliche Wohnungslose richten, sind in Deutschland rar. Der Kemenate Tagestreff zählt zu den wenigen Ausnahmen. Seit 1998 sitzt der Verein in der Charlottenstraße 30 in Eimsbüttel und arbeitet nach der Devise „für Frauen von Frauen“.
Individuell unterstützen
Durchschnittlich suchen 32 bis 38 Frauen den von der Sozialbehörde finanzierten Tagestreff täglich auf. Manchmal sind es bis 60, erzählt Sozialarbeiterin Kronshage.
Die Kemenate versteht es als ihre Aufgabe Grundbedürfnisse abzudecken, einen Schutzraum zu bieten und bei Fragen jeglicher Art weiterzuhelfen. In der Charlottenstraße haben Frauen die Möglichkeit, zu essen, zu duschen, sich auszuruhen, Wäsche zu waschen oder neue Kleidung zu bekommen. Zudem stehen zwei Computer sowie ein Drucker zur Verfügung – und Schließfächer. Für viele der obdachlosen Frauen die einzige Möglichkeit, Wertgegenstände sicher zu verstauen.
Keiner muss etwas preisgeben
Wer ein Anliegen hat, kann sich an die Mitarbeiterinnen wenden. „Wir unterstützen da, wo es die Frauen wollen, und gehen auf die individuellen Bedürfnisse ein“, erklärt Kronshage.
Der Tagestreff hat an fünf Tagen jeweils fünf Stunden geöffnet. Ein Termin, um das Angebot zu besuchen, ist nicht notwendig. Außerdem: Wer anonym bleiben möchte, kann das. „Keiner muss etwas preisgeben, um hier zu sein.“
Typische Obdachlose? Gibt es nicht!
Frauen, die keine eigene Wohnung haben oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, können die Kemenate aufsuchen. Wer diese Frauen sind, lasse sich nicht pauschalisieren, sagen die Mitarbeiterinnen. „Die typische obdachlose Frau gibt es nicht“, betont Kronshage. Die Frauen seien ebenso vielfältig wie die Gründe, die sie in die Situation gebracht hätten. Alter, Herkunft, Lebensgeschichte spielen in der Kemenate keine Rolle. „Es gibt Studentinnen, die ihre Wohnung verlieren, und Rentnerinnen, die plötzlich auf der Straße stehen.“
Einige Besucherinnen kommen seit mehreren Jahren regelmäßig oder sporadisch in die Kemenate. Was den Sozialarbeiterinnen auffällt: „Es werden immer mehr neue Frauen, die uns aufsuchen.“ Rund 250 Frauen hätten den Tagestreff dieses Jahr zum ersten Mal aufgesucht – Tendenz steigend.
„Kemenate“ sucht nach größeren Räumen
Pro Jahr zählt die Kemenate etwa 8.000 Besucherinnen. Eine Zahl, die sich in den letzten Jahren kaum verändert hat. Mehr ließen die Räumlichkeiten nicht zu, erklärt eine Mitarbeiterin. „Wenn neue Besucherinnen kommen, ziehen sich andere zurück, weil es ihnen zu voll wird.“
Für die Mitarbeiterinnen steht fest: Die Kemenate muss sich vergrößern. Dann würde die Zahl der jährlichen Besucherinnen vermutlich wieder steigen.
Räume gesucht
Die Kemenate sucht neue Räumlichkeiten mit einer Fläche ab 300 Quadratmeter. Außerdem sollte die Unterkunft barrierefrei und zentral bei einer U- oder S-Bahn-Station gelegen sein.
Der Verein freut sich bei der Suche über Unterstützung.
Frühzeitig helfen
Das langfristige Ziel, die Kemenate überflüssig zu machen, scheint vorerst in weiter Ferne. Die EU, die Bundesregierung und der Hamburger Senat haben es sich zum Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. „Das muss auf allen Ebenen ernst genommen werden“, fordert Kemenate-Mitarbeiterin Kronshage.
Bei der Kemenate selbst setzen die Mitarbeiterinnen neben der Betreuung der Wohnungslosen alles daran, Wohnungs- und Obdachlosigkeit mit präventiven Maßnahmen zu verhindern. Frauen, die Gefahr laufen, ihre Wohnung zu verlieren, können sich an den Tagestreff wenden – auch telefonisch. „Wir bekommen Anrufe aus ganz Deutschland“, erzählt eine Mitarbeiterin.
Wenn zum Beispiel eine Räumungsklage droht, helfen die Kemenate-Verantwortlichen, den richtigen Ansprechpartner zu finden oder begleiten bei Behördenterminen.
Kemenate will sich selbst abschaffen
Vor neun Jahren ist aus dem Kemenate-Tagestreff das Projekt „FrauenWohnung“ entstanden. Es zielt darauf ab, Frauen bei der Wohnungssuche und nach einem Einzug zu unterstützen.
Denn eigentlich geht es bei der Kemenate vor allem darum, sich selbst abzuschaffen.
Medizinische Sprechstunde
Vor Corona hat die Kemenate in regelmäßigen Abständen eine medizinische Sprechstunde für ihre Besucherinnen angeboten. Aktuell sucht der Tagestreff nach einer neuen Ärztin.
Der „Kemenate Tagestreff“ hat montags, donnerstags, samstags und sonntags von 14 bis 19 Uhr sowie mittwochs von 10 bis 15 Uhr geöffnet.