Ein Kind der Schanze – zwischen Ghetto und Dorf
John Schierhorn ist 49 Jahre alt und lebt seit seiner Kindheit in der Schanze. Wie war es, hier aufzuwachsen?
Von Hanna Anthonisen„Ich bin im Schanzenpark aufgewachsen, also im Kleinen Schäferkamp. Die Schanze war schon damals ein Ausgehviertel, aber ich bin wie in einem Dorf groß geworden. Wir kannten unsere Nachbarn. Damals gab es eine große koreanische Community. Wenn ich bei meinen Freunden zum Grillen war, gab es Korean Barbecue – heute ist das fancy, damals kannte das niemand.
Die Schanze war ein sehr buntes Viertel und galt gleichzeitig als Ghetto. Meine Eltern sind hierhergezogen, weil es Wohnungen ohne Heizung gab. Sie haben damals mit Kohle geheizt. Wir waren die armen Leute. Wenn wir nach Eimsbüttel liefen, waren wir diejenigen mit den billigen Turnschuhen und dem T-Shirt vom großen Bruder. Die Kinder aus Eimsbüttel durften nicht zu uns in die Schanze kommen.
Zusammenhalt und Probleme
Natürlich gab es damals auch Auseinandersetzungen. Um die 2000er kam die harte Drogenszene vom Hauptbahnhof in die Schanze. Das war nicht schön. Wenn meine Eltern sahen, wie jemand ein Drogenversteck öffnete, nahm mein Vater alles heraus und warf es weg. Wenn man das oft genug machte, kamen die Leute nicht mehr. Es gab auch Jugendgangs, die Leute abgezockt haben. Die Jugendkriminalität war schlimmer als heute.
Trotzdem habe ich das Gefühl, behütet aufgewachsen zu sein. Der Zusammenhalt war toll. Wenn ich Ärger hatte, konnte ich in fast jeden Laden hineingehen. Dort waren immer Freunde meiner Eltern oder die Eltern meiner Schulkameraden.
Laut bis leise
Dass schon damals Touristen in die Schanze kamen, hat uns stolz gemacht. Gleichzeitig hatten wir unsere Orte, an die keiner von außerhalb kam. Nachts saßen keine Leute auf den Spielplätzen und tranken Alkohol. Das Ausgehviertel beschränkte sich auf ein paar Straßenzüge. In denen war es laut, aber sonst nicht.
Der Schanzenpark war mein Spielplatz. Ich kenne hier jedes Gebüsch. Ich war in den Bunkern und im Wasserturm, lange bevor dort ein Hotel eingezogen ist. Ich weiß, wo es beim Rodeln am Berg am schnellsten heruntergeht.
Bei gutem Wetter ist die gesamte Wiese im Schanzenpark voller Menschen. Überall läuft Musik und es werden Spiele gespielt. Direkt nebenan sind meine Eltern im Pflegeheim. Da beschwert sich keiner über die Lautstärke – im Gegenteil: „Ach, endlich mal wieder Leben hier.“
Jetzt kommen Menschen, die sich hier eine Eigentumswohnung kaufen und dann sagen, es sei ihnen zu laut. Wer damit nicht klarkommt, für den gibt es doch so viele andere schöne Stadtteile.
Dafür steht die Schanze
Im Wesentlichen kommen aber tolle und nette Menschen aus der ganzen Welt in die Schanze. Ich freue mich, dass sie sich hier wohlfühlen. Das liegt auch am Lifestyle hier. Wir haben immer noch die Flora, viel Musik und verschiedenste Restaurants. Wir sind international und bekannt. Außerdem sind wir eine der Gemeinden in Deutschland mit den wenigsten AfD-Stimmen. Dafür steht die Schanze.
Die Leute, die hier groß geworden sind, sind stolz drauf, wie sich das Viertel entwickelt hat. Mittlerweile ist die Schanze der coole Ort. Und dazu haben wir alle beigetragen.“
Heute leitet John Schierhorn das Schrödingers im Schanzenpark.
Das Protokoll wurde von Hanna Anthonisen aufgezeichnet.
lokal. unabhängig. unbestechlich.
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